Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):
Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.
Rosch Haschana naht – eine gute Gelegenheit, ein paar Vorsätze für das neue Jahr zu fassen. Zum Beispiel: Öfter mal zum Gottesdienst gehen. Die Gemeinden bemühen sich, den regelmäßigen Besuch zu erleichtern. Viele Synagogen bieten ihren Betern einen Ort zur Unterbringung persönlicher Gegenstände an. Ein Blick in die Betspinde Deutschlands zeigt auch, wie unterschiedlich die hiesigen Gemeinden oft funktionieren.
In der Synagoge in Duisburg gehen die ersten Reservierungen für das nächste Jahr ein. Für 18 Euro wird jedem Gemeindemitglied ein Fach zur Verfügung gestellt, in dem Siddur, Tallit und Tefillin untergebracht werden können. Etwa 2.800 Mitglieder hat die Gemeinde, die aus den Städten Duisburg, Mülheim und Oberhausen besteht. Und etwa 50 kommen regelmäßig zum Schabbatgottesdienst am Freitagabend und etwa 30 dann auch zum Gottesdienst am Samstagmorgen.
Das Ziel des Vorstandes: die Synagoge noch mehr zum Raum der Versammlung machen. Die »Jüdische Allgemeine« und die »Zukunft« liegen aus und sind auch in manchem Fach zu finden. Jeder Junge, der Barmizwa wird, kann sein Betfach ein Jahr lang kostenlos benutzen, in der Hoffnung, nicht nur ihn, sondern auch die Eltern zum regelmäßigen Besuch zu bewegen. Geschäftsfüher Michael Rubinstein erklärt: »Wir dürfen uns den Wünschen und Anfoderungen nicht verschließen.«
kosten Die 18 Euro haben für Rubinstein eher symbolischen Wert. Und auch, wenn die Nutzung der Fächer seit Einführung der Gebühr abgenommen hat, erinnert er daran, dass diese Praxis in den Großgemeinden Deutschlands längst üblich ist. Wie in der Israelitischen Kultusgemeinde München, wo die Mitglieder Synagogenplätze erwerben können, zu denen auch ein Fach gehört.
Dort finden sich neben Tallit und Siddur häufig auch eine Extra-Kippa für Notfälle und Süßigkeiten für die Kinder. Ab und an auch Schnupftabak.
Ähnlich handhabt man es in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, wo man sich in der Westend-Synagoge ab 80 Euro aufwärts einen Platz samt Box reservieren kann. Oder in der Synagogen-Gemeinde Köln. 500 Plätze samt Fach stehen dort zur Verfügung, von denen »eine gute Anzahl« belegt ist.
Etwas anderes als Betutensilien findet man hier selten. Die Gemeinde Hannover mit 100 regelmäßigen Betern stellt die Fächer kostenlos zur Verfügung. Weil die Gemeinde orthodox ist, haben die Fächer auch religiöse Bedeutung: Schließlich gilt das Tragen eines Siddurs als Melacha und ist deswegen am Schabbat verboten.
Auch in der Jüdischen Gemeinde Schwerin sind die Fächer kostenlos. 50 regelmäßige Beter gibt es hier – die meisten von ihnen ein wenig älter, sodass das Schleppen der Utensilien eine Belastung sein könnte.
bedarf Dass es in Erfurt diese Möglichkeiten nicht gibt, hat verschiedene Gründe. Zum einen hat die Gemeinde ohnehin schon Platzprobleme – zu den Hohen Feiertagen müssen sogar eigens Stühle besorgt werden, damit alle sitzen können. Und zum anderen, sagt Rabbiner Konstantin Pal (der erste Rabbiner der Stadt seit fast 75 Jahren), bestand bisher kein Bedarf. Siddurim werden ausgeteilt. »Wenn das aber gerade en vogue ist«, so Pal, »dann ist das durchaus nachdenkenswert.«
Auch in der konservativen Gemeinde Oldenburg gibt es keine Fächer, die 30 bis 50 Beter der Gemeinde benutzen einfach die Siddurim, die die Gemeinde bereitstellt. Das Gemeindezentrum in Rostock verfügt über 88 Plätze. Auch hier sind die Fächer kostenlos – aus einem einfachen Grund, wie der Gemeindevorsitzende Juri Rosov feststellt: »Alles andere wäre für eine Einwandergemeinde wie Rostock finanziell unmöglich.« Von quasi null nach der Wende ist in den letzten 20 Jahren die Zahl der Gemeindemitglieder auf 750 angewachsen. Viele bewahren, so Rosov, in ihren Fächern auch Fotos aus der alten Heimat, aus Tallinn, Riga und St. Petersburg auf – als Erinnerung.
verbundenheit Dass die Zahl der regelmäßigen Beter in ganz Deutschland so gering zu sein scheint, lässt sich vor allem dadurch erklären, dass eben ein großer Teil der Juden in Deutschland aus dem ehemaligen Ostblock kommt, wo ihnen über viele Jahrzehnte das Ausüben ihrer Religion staatlich verboten war. Diese Menschen wieder an den religiösen Alltag heranzuführen, sehen viele als die größte Herausforderung.
Eine scheinbar banale Angelegenheit wie ein Fach in der städtischen Synagoge kann dabei behilflich sein, weil es Verbundenheit schafft – mit dem Ort, mit den anderen Gemeindemitgliedern, mit dem Glauben.
Oder wie Michael Rubinstein aus Duisburg es ausdrückt: »Wir müssen mit den Regeln umgehen, damit die Menschen sich wieder für die Regeln interessieren.«