Ursprünglich war es nur ein Schulprojekt, aber Talia Rosenkranz machte daraus eine große Veranstaltung. Gut 100 Freunde und Familienangehörige sind ihrer Einladung in das Crowne Plaza Hotel in Berlin gefolgt, um bei Sufganiot, Bagels und Liedern an die Zerstörung des Tempels und das Chanukkawunder zu erinnern. Vor allem aber wollte die 16-Jährige die Organisation Taglit, deren Arbeit und Ziele bekannt machen und Geld für sie sammeln.
Taglit bedeutet Entdeckung und ist der Name einer Non-Profit-Bildungsorganisation. Seit ihrer Gründung 1999 hat Taglit mehr als 360.000 jungen Juden aus aller Welt eine zehntägige Reise nach Israel ermöglicht. Nur etwa ein Viertel des dafür nötigen Geldes stammt vom israelischen Staat, den Rest haben hauptsächlich jüdische Philanthropen und Gemeinden beigesteuert.
»Mit diesem Abend«, erläutert Talia ihr Ziel, »möchte ich es anderen jungen Menschen ermöglichen, nach Israel zu fahren und ihre Wurzeln zu erkunden.« Etwas nervös steht die Jugendliche vor ihren Gästen. Aber die fünf Kerzen, die neben ihr auf der silbernen Chanukkia flackern, beweisen ihr Durchsetzungsvermögen.
Jede einzelne Kerze hat Talia heute versteigert und allein damit mehrere Hundert Euro eingespielt. Die Kerzen durften nach der Versteigerung von ihren Käufern angezündet werden. Den Erlös des Abends, der aus Eintrittsgeldern, Spenden und Auktion zusammengekommen ist, will Talia an Taglit spenden.
Eigeninitiative Im Hintergrund wirft derweil ein Beamer den Schriftzug »Taglit – Birthright Israel« auf eine Leinwand. Joshua de Goffer, der Taglit in Deutschland vertritt, findet Talias Projekt bemerkenswert. »Ihr Vorhaben ist für Taglit von großer Bedeutung. Zum ersten Mal überhaupt ergreift eine Jugendliche die Initiative, ohne von Taglit motiviert worden zu sein, und bietet jüdischen Familien eine Veranstaltung, bei der unsere Organisation und ihre Ziele vorgestellt werden.«
Es gehe darum, die Zukunft und das Weiterbestehen der jüdischen Gemeinden außerhalb Israels und des jüdischen Lebens insgesamt zu sichern. »Wir wollen junge Erwachsene ihrer jüdischen Identität, dem Staate Israel und ihren örtlichen Gemeinden näherbringen«, sagte de Goffer.
Ein Video soll die Arbeit von Taglit vorstellen: Junge Menschen erzählen von ihren Erfahrungen in Israel. Reggae-Musik untermalt Bilder vom Strand in Tel Aviv. Frauen im Bikini laufen auf der Promenade. Jemand erzählt von seinem Gefühl, dazuzugehören. Eine junge Frau weint vor Yad Vashem. Die Fakten habe sie alle schon gekannt, sagt sie, aber nichts sei so emotional wie ein Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem. »Wir müssen verstehen, dass wir die nächste jüdische Generation sind.«
Eine weitere Szene zeigt den Besuch an der Westmauer. Einem jungen Mann werden vermutlich zum ersten Mal in seinem Leben die Gebetsriemen angelegt. Der Film zeigt Menschen, die ihre Wurzeln gefunden haben. Menschen, die endlich wissen, wer sie sind, die wissen, dass es einen Ort in der Welt gibt, wo sie hingehören, wo sie jederzeit Zuflucht finden können.
Noch ist Talia zu jung, um selbst mit Taglit nach Israel zu reisen. Die Organisation bietet Reisen für junge Menschen zwischen 18 und 26 Jahren an. Aber auch in Zukunft wird Talia das Angebot der Organisation wohl nicht in Anspruch nehmen. Sie hat Familie in Israel und war schon häufig dort. »Ich kenne das Land schon seit meiner Kindheit, und durch meine Familie habe ich jederzeit die Möglichkeit, nach Israel zu reisen«, erklärt die Schülerin. »Taglit ist für Menschen da, die sonst nicht die Möglichkeit haben, nach Israel zu fahren.«
Planung Seit Beginn des Schuljahres hat Talia an ihrem Projekt gearbeitet. Sie schrieb Einladungen, musste eine Location finden und sich um die Dekoration kümmern. Ihre ganze Familie hat sie für diesen Abend eingespannt.
Ihre Eltern haben sie mit dem Auto quer durch die Stadt gefahren, und auch ihr kleiner Bruder hat eine Aufgabe zugewiesen bekommen. Mit seinen Freunden Jonathan und Jakob ist Mathan für die Garderobe am Empfang verantwortlich. Doch irgendwer hat nicht nur seinen Mantel, sondern auch einen kleinen weißen Pudel bei den Jungen gelassen, die jetzt mit dem Hund über den Flur toben.
Draußen auf der Terrasse unter einem Heizpilz stehen die Raucher. Die Männer gönnen sich eine Zigarre, besprechen ihre Geschäftsangelegenheiten und erzählen sich Witze. Drinnen, im Warmen, hört man dezente Klavierklänge. Emanuel ist Physiker, aber nebenbei spielt er leidenschaftlich gerne Klavier. Mit sanften Improvisationen unterlegt er das gedämpfte Gemurmel im Saal.
Erfolg Talia besucht die zehnte Klasse der Berlin Brandenburg International School (BBIS) im Süden von Berlin. Auch ihr Supervisor ist gekommen, um sich den Erfolg seiner Schülerin anzusehen. »Ich verdanke ihm sehr viel«, erzählt Talia. »Er hat mich dazu ermutigt, dieses Projekt zu machen.« Inzwischen hat sich Talia mit dem Organisieren angefreundet. »Die Vorbereitungen haben mir sehr viel Spaß gemacht«, erklärt sie.
Vielleicht studiert sie irgendwann einmal Event-Management. Aber bis dahin ist es noch ein ganzes Weilchen. Erst einmal ist Talia glücklich, diesen Abend erfolgreich hinter sich gebracht zu haben. Bei allem Spaß bei der Vorbereitung lastet doch auch ein großer Druck auf der 16-Jährigen. Es sei zwar kein Fulltime-Job gewesen, sagt ihre Mutter, aber Talia sei mit ihren Gedanken doch immerzu bei ihrem Projekt gewesen. Jetzt will Talia erst einmal die restlichen Chanukkatage genießen. Aber das nächste Event kommt bestimmt.