Neuss

Tag unermesslicher Freude

Düsseldorfs Gemeindevorsitzender Oded Horowitz trägt die Torarolle in die neue Synagoge.

Ein großer Tag in einer der ältesten Städte Deutschlands: Die Juden in Neuss konnten kurz vor Sukkot die Einweihung ihrer Synagoge und die Wiedereröffnung des Alexander-Bederov-Gemeindezentrums feiern. 83 Jahre nach der Zerstörung der alten Synagoge durch die Nationalsozialisten.

Deutschlands neueste Synagoge in der Neusser Nordstadt bietet Raum für etwa 80 Menschen. Durch eine Tür getrennt, liegt ein Gemeindesaal für rund 130 Personen. Der Bau mit Saal und Synagoge befindet sich zwischen Kleingärten und Schulgelände. Das Zentrum der 155.000-Einwohner-Stadt ist etwa 1,5 Kilometer entfernt. Der jüdische Charakter des Gebäudes wird nicht verheimlicht: Ins Mauerwerk der seitlichen Fassade ist ein großformatiger Davidstern eingearbeitet. Ein steinernes Symbol für den religiösen Mittelpunkt des jüdischen Lebens in Neuss.

Geschenk »Es ist für mich eine große Ehre, an der Einweihung einer Synagoge beteiligt zu sein, es ist ein toller Tag«, sagt Rabbiner Aharon Ran Vernikovsky sichtlich begeistert. Der Düsseldorfer Rabbiner brachte nach den Festreden die Mesusa am Eingang der Synagoge an. Unter Violinenklängen von Igor Epstein trug er anschließend die Torarolle feierlich über die Schwelle der Synagoge. Im Gebetsraum wechselten sich mehrere führende Mitglieder der Gemeinde mit dem Tragen ab. Schließlich legte Projektkoordinator Bert Römgens die Rolle behutsam in den neuen Toraschrein, ein Geschenk der Stadt Neuss.

So endete am 19. September eine Zeit der jahrelangen Provisorien für die circa 600 Gemeindemitglieder aus Neuss und dem Umland. Organisatorisch gehören sie als Filialgemeinde zur jüdischen Gemeinde der Nachbarstadt Düsseldorf.

Organisatorisch ist Neuss eine Filialgemeinde der Düsseldorfer Gemeinde.

2008 hatten die Neusser Juden an diesem Standort eine ausgediente Kita einer katholischen Pfarrgemeinde übernommen. Ein einfacher Flachbau. »Mit viel Engagement und Herzblut haben die Neusser Juden hier ein jüdisches Zentrum geschaffen«, würdige Bert Römgens ihren Einsatz. Sie benannten das Zentrum nach Alexander Bederov. Bederov galt lange als Stimme der Neusser Juden und hatte sich tatkräftig für den Traum vieler Neusser Gemeindemitglieder von einer eigenen Synagoge eingesetzt. 2012 ist er verstorben. Seine Witwe Larissa Bederova saß am vorvergangenen Sonntag im Publikum.

Vertrag Die einstige Kita platzte als Gemeindezentrum bald aus allen Nähten. 2018 schlossen die Stadt Neuss und die Düsseldorfer Gemeinde schließlich einen Vertrag über den Neubau eines Gemeindezentrums mit Synagoge. Neuss stellte 1,5 Millionen Euro zur Verfügung, vom Land Nordrhein-Westfalen kommen weitere Mittel.

Angestoßen hatten das Projekt der langjährige Neusser Bürgermeister Herbert Napp und der damalige Düsseldorfer Gemeinde-Geschäftsführer Michael Szentei-Heise. Der heutige Bürgermeister Reiner Breuer führte Napps Arbeit fort.

Im Januar 2020 startete dann die Entkernung des Altbaus. Der Grundstein für das neue Gemeindezentrum wurde im März 2020 gelegt. »Und dann kam Corona«, erinnert sich Bert Römgens. Die Pandemie brachte den Bauplan letztlich nur wenig durcheinander. Man sei mit nur leichter Verspätung fertig geworden, freut sich der Koordinator.

Düsseldorfs Gemeindevorstand Oded Horowitz erinnerte an die vielen Jahrhunderte jüdischer Geschichte in Neuss.

Oded Horowitz, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, erinnerte an die vielen Jahrhunderte jüdischer Geschichte in Neuss. Eine Synagoge war 1867 eingeweiht und 1938 zerstört worden. Der Neubeginn nach der Schoa verlief zaghaft. Erst der Zuzug russischsprachiger Juden in den 90er-Jahren änderte die Lage. »Das war ein Geschenk für uns. Langsam schlug jüdisches Leben wieder Wurzeln«, sagte Horowitz. Dazu gehöre auch die Eröffnung von Kitas, Schulen und Gemeindezentren. Sein Fazit: »Ich wünsche mir, dass dieses Zentrum ein Raum für jüdisches Leben sein wird. Aber auch ein Raum der Begegnung, des Austauschs mit der Neusser Stadtgesellschaft.«

Ina Scharrenbach (CDU), NRW-Heimat- und Bauministerin, spannte in ihrer Festrede den Bogen vom jüdischen Beitrag zu 1700 Jahren deutscher Geschichte und Kultur zu Antisemitismus in Internet und sozialen Medien. Aktueller Anlass war nicht zuletzt der verhinderte mutmaßliche Anschlag auf die Synagoge in Hagen. »Antisemitismus ist immer auch ein Seismograf dafür, wie es um unsere Demokratie steht«, mahnte die Ministerin. Die Lehre aus der Geschichte könne nur sein: »Wir als gesamte Gesellschaft dulden keinerlei Antisemitismus. Wir wehren den Anfängen, ehe aus Worten Taten werden.«

Zusammenarbeit Der Neusser Bürgermeister Reiner Breuer sieht die Wiedereröffnung des Zentrums als einen Schritt hin zu einer noch engeren Zusammenarbeit zwischen Stadtgesellschaft und jüdischer Gemeinde. Darüber hinaus sei eine Städtepartnerschaft mit dem israelischen Herzliya praktisch unterschriftsreif. Diese solle nach dem Ende der Pandemie mit Leben erfüllt werden. Den Neusser Gemeindemitgliedern rief er zu: »Wir sind froh und dankbar, dass Sie hier zu Hause sind und sich in unsere Stadtgesellschaft einbringen. Sie sind Neuss. Schalom!«

Der Toramantel hatte die Pogromnacht auf ungeklärten Wegen überstanden.

Breuer lenkte die Aufmerksamkeit auf eine eher unscheinbare Hülle aus Seidensamt in einem Glaskasten in der Synagoge. Es handelt sich um einen Toramantel aus der alten Neusser Synagoge, der die Pogromnacht auf ungeklärten Wegen überstanden hat. Er lag jahrzehntelang unbeachtet in einem Neusser Museum. Inzwischen wurde der gerettete Mantel fachgerecht restauriert. Nun ist er zurück in einem Gebetssaal: Eine symbolische Verbindung zwischen der zerstörten alten und der neu gebauten Synagoge. Eine kleine Infotafel weist darauf hin.

Nummer 20 Harry Schnabel, Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden, erinnerte daran, dass in der Pogromnacht 1400 Synagogen und Gebetshäuser zerstört worden seien. Seit 1995 seien in Deutschland 19 neue Synagogen errichtet worden. Der Neusser Bau ist nach dieser Zählung die Nummer 20. Daran sehe man, wie schnell es gehe, gesunde Strukturen zu zerschlagen – und wie lange der Wiederaufbau dauere.

Eine Gemeinde brauche einen gemeinsamen Ort – zur Förderung des Zusammenhalts und der Identitätsbildung. Solche Zentren seien aber auch Orte der Kommunikation mit der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft. Und das beinhalte auch die Möglichkeit, zu vermitteln, dass jüdisches Leben mehr umfasst als ausschließlich die Themen Antisemitismus, Schoa oder den sogenannten Nahostkonflikt.

Schnabel kam auch auf den Namensgeber des Gemeindezentrums zu sprechen. Dessen Traum von der Neusser Synagoge sei nun wahr geworden: »Alexander Bederovs Freude wäre am heutigen Tag unermesslich gewesen.«

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