Gespräch

»Wir müssen täglich für Empowerment kämpfen«

Sabena Donath, Direktorin der Bildungsabteilung, Laura Cazés, Leiterin Kommunikation und Digitalisierung bei der ZWST, und Hanna Veiler, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (v.l.) Foto: Debi Simon

Frau Cazés, Frau Donath, Frau Veiler, Sie haben den »Jewish Women* Empowerment Summit« organisiert und sind Fragen wie »Was bewegt junge jüdische Frauen?« nachgegangen. Was bewegt Sie nach diesen vier Tagen?
Sabena Donath: Besonders bemerkenswert für mich ist, dass die Positionen junger jüdischer Frauen in Deutschland an Sichtbarkeit und Relevanz gewonnen haben. Das ist zum Teil dem mittlerweile etablierten Format zu verdanken, aber auch einer Generation, die sich positioniert, die über sich reflektiert und die in der Lage ist, die Haltung aus ihrem eigenen Gemeindekontext in so einem Format auch in eine politische Öffentlichkeit zu tragen. Ein solches Format auszurichten und in Kooperation durchzuführen, bedeutet aus der Sicht der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden, einerseits den öffentlichen Diskurs mitzugestalten, aber auch unseren Teilnehmenden zu zeigen, dass sie gesehen und gehört werden. Das ist tatsächlich im Sinne des Wortes »bewegend«.

Wie war das bei Ihnen, Frau Cazés?
Laura Cazés: Vielleicht einige Worte zur Genese dieses Formates. Als wir vor vier Jahren den Jewish Women* Empowerment Summit gemeinsam konzipiert haben, stand auch in jüdischen Gemeinden und Institutionen die Frage im Raum, ob es solch ein prominentes Format überhaupt braucht und inwieweit auch die Aushandlungsprozesse jüdisch-feministischer Positionen noch notwendig sind, denn junge jüdische Frauen und auch nicht binäre Personen gelten ja vermeintlich als empowert. Keshet war gerade gegründet worden, die JSUD hatte eine Präsidentin, es gab in den Dachverbänden sichtbare Mitarbeiterinnen in Leitungsfunktionen. Dennoch identifizierten viele junge jüdische Aktivistinnen es als ein für sie zentrales Thema. Als Dalia Grinfeld, die damalige Präsidentin der JSUD, auf die Bildungsabteilung zugegangen ist und gefragt hat, ob man mal so ein Seminar machen könnte, hat Sabena Donath uns das nicht nur ermöglicht, sondern auch die Relevanz erkannt, daraus ein größeres Bildungs- und Austauschformat zu machen. Jetzt, vier Jahre später, hat mich wahnsinnig bewegt, welche Positionen sich in diesem jährlich stattfindenden Summit Schritt für Schritt entwickelt haben.

»Der Weg zur Revolution im Iran« oder What happens after #metoo« – die Bandbreite der Themen war sehr groß. Wie setzten Sie Ihre Themen?
Sabena Donath: Jeder Summit hat bislang ein Leitthema gehabt. Es geht darum, auch für uns immer zu identifizieren, was die relevanten Themen sind, die sich in dem Kalenderjahr ergeben haben. Alles hat ja mit den – teils auch politischen – Ereignissen zu tun, die es im vergangenen Jahr gegeben hat. Wir sind folgenden Fragen in diesem Jahr nachgegangen: »Was bewegt mich? Was bewegt die jüdische Gemeinschaft? Welche internationalen Bewegungen bewegen uns?« Unsere thematische Bandbreite folgt diesem roten Faden, und wir achten darauf, dass die Themen in vier Tagen angemessen und reflektiert besprochen werden können.

Wie waren die Diskussionen um diese sehr vielfältigen Themen?
Laura Cazés: Für viele Personen ist der Summit auch ein Community-Raum geworden, dazu gehören »Machane-Kinder«, Aktivistinnen und weniger Engagierte gleichermaßen. Uns ist auch wirklich sehr wichtig, dass wir einen Raum für die Personen schaffen, die sich vielleicht in der einen oder anderen jüdischen Gemeinde nicht so zu Hause fühlen – aus den unterschiedlichsten Gründen. Dieses Jahr haben viele Teilnehmenden die Diskussionen als sehr harmonisch beschrieben. Ich würde das fast als »Confirmation bias« bezeichnen. Also: Wenn Frauen zusammenkommen, die sowieso schon irgendwie auf gleicher Wellenlänge liegen, dann geht es ja bestimmt harmonisch zu, ohne jegliche Diskussion. Aber: Das ist Ergebnis sehr langer, mühsamer und konstanter pädagogischer Arbeit, die auch außerhalb dieses Summits stattfindet und die ohne unsere langjährige Kooperation nicht möglich wäre. Das Netzwerk musste wachsen und das Vertrauen uns gegenüber musste ebenfalls erarbeitet werden.
Hanna Veiler: Es wurde zudem extrem respektvoll diskutiert, auch das eigentlich eine Seltenheit in Räumen wie diesen. Man hat sich zugehört und diesen Raum als eine Möglichkeit, voneinander zu lernen, wahrgenommen. Es war unglaublich, wie wir von einem Thema zu einem ganz anderen Thema springen konnten und trotzdem aber irgendwie die Verwobenheit von all diesen Thematiken mitbedacht haben.

Können Sie das kurz erläutern?
Hanna Veiler: Zum Beispiel: Was macht uns als Jüdinnen und Juden in Deutschland in unseren Gemeinden aus? Was haben wir mit der Revolution im Iran zu tun und was passiert eigentlich gerade in der Welt beim Thema Frauenrechte? Wie verwoben all diese Themen miteinander sind, hat die Veranstaltung auch sehr deutlich gemacht.

Es gab ganz unterschiedliche Panels, die natürlich konsequent weiblich besetzt waren.
Laura Cazés: Das ist ein Punkt unserer Arbeit: Oftmals erleben wir, dass es heißt: »Wir konnten das Panel gar nicht mit Frauen besetzen, weil wir nicht wussten, wen wir da hinsetzen sollen.« Der Jewish Women* Empowerment Summit ist das Beispiel dafür, dass sich für jedes Thema eine wirklich herausragende Expertin finden lässt und dass man einfach nur ein bisschen genauer nachfragen muss.
Sabena Donath: Ein Panel wurde von Hanna Veiler kuratiert: »Post-Post-Sowjet«. Das Faszinierende an diesem Expertinnen-Panel ist, dass das, was im öffentlichen Diskurs verhandelt wird, wir durch unsere eigenen Geschichten erzählen, in unserer eigenen Sprache, sofern wir sie denn haben. Erzählte und unerzählte Familienbiografien, Zukunftsfragen, die politischen Entwicklungen in Deutschland und Europa, all das fand Eingang in den Panel, und das wirkt auch in die jeweiligen Institutionen und auch in die jüdische Gemeinschaft zurück.
Laura Cazés: Die jüdischen Dachverbände haben verstanden, dass das Thema der diversen Abbildung oder der diversen Repräsentation jüdischer Gemeinden elementar ist und auch zur Zukunftsfähigkeit dieser Verbände beiträgt. Aber: Wie wird die Diversität dieser Perspektiven überhaupt sichtbar, wenn keine Strukturen für sie geschaffen werden? Das ist auf diesem Summit sichtbar geworden. Was häufig übersehen wird, ist die Relevanz der Perspektiven, die Frauen auch im Stillen aushandeln, indem sie die Geschichten ihrer Familien tragen.

Wie sind junge jüdische Frauen heute? Sind sie sowieso schon empowert und brauchen das gar nicht mehr?
Sabena Donath: Es geht gar nicht darum, ob eine einzelne Frau empowert ist oder nicht. Es geht darum, ob wir einen Ort schaffen, an dem man das aushandeln kann und an dem diese Positionen sichtbar werden, dass sie Eingang finden in ihre persönliche Biografie oder auch in eine berufliche Biografie. Wir kommen nicht umhin, strukturelle Probleme und Konflikte offen anzusprechen. Auch unsere Institutionen müssen ja alle noch etwas dazulernen.
Hanna Veiler: Nur weil wir gesetzlich gleichgestellt sind, heißt das überhaupt nicht, dass es Dinge wie Sexismus, sexuelle Gewalt oder Queer-Feindlichkeit innerhalb und außerhalb unserer Gemeinden nicht mehr gäbe. Jede jüdische Frau und nicht-binäre Person, die in diesen Raum reingekommen ist, hat eine eigene Identität, hat eine eigene Geschichte und hat eigene Standpunkte. Und alle von ihnen erleben unterschiedlichste Diskriminierungsformen auf unterschiedliche Weise. Empowerment ist etwas, wofür wir weiterhin tagtäglich kämpfen müssen.

Wie ist Ihr Eindruck, Frau Cazés?
Laura Cazés: Junge Frauen von heute haben viele Möglichkeiten: diverse Lebenskonzepte, Karriereperspektiven, Lebensfragen usw. Sie beschäftigen aber auch Unsicherheiten, weil es für viele Lebensfragen kaum Vorbilder gibt. Frauen wollen elterlichen Ansprüchen gerecht werden, ihrem eigenen Ehrgeiz, sie tragen aber oft das familiäre Gepäck aus Trauma, Migration und Fluchterfahrungen. Empowerment bedeutet nicht nur: You can do it all! Sondern auch: Man kann auch in sehr unterschiedlichen Lebensrealitäten voneinander lernen. Für mich ist es ganz besonderer Moment, wenn wir feststellen, dass auf dem Summit auch vermeintlich sehr hermetische Grenzen aufgebrochen werden.

Haben Sie ein Beispiel?
Laura Cazés: Dass die Gespräche zwischen queeren Personen und orthodoxen Frauen über strukturelle Marginalisierung in der jüdischen Community stattfinden, und dass dann eine Offenheit füreinander entsteht. Man könnte es esoterisch fast schon einen Heilungsprozess nennen, aber vor allem geht es darum, miteinander zu sprechen, um die strukturelle Ebene der Marginalisierung auch zu verstehen. Diese Momente tragen maßgeblich zu dem Empowerment bei.

Frau Donath, welche Momente nehmen Sie aus dem Summit mit?
Sabena Donath: Dass zum Teil junge Frauen Anfang 20 ihre persönlichen Biografien mit Karrierefragen und politischen Positionierungen verknüpfen und bereit sind, sie zur Diskussion zu stellen. Es hat mich beeindruckt, wie klug diese Frauen ihre Positionen besprechbar machen.

Was möchten Sie den Frauen mit auf den Weg geben?
Sabena Donath: Das ist jetzt eine pädagogische Antwort. Es gibt Dinge, die dieser Raum kann, und es gibt Dinge, die dieser Raum nicht kann. Und was er definitiv kann, ist, einen Aushandlungsort zu bieten, einen Ort der Sichtbarmachung von jüdischen Gegenwartsperspektiven, auch von jüdisch-feministischen Positionen. Das kann dieser Ort und er kann auch Relevanzen benennen und sie auch nach außen tragen.

Haben Sie einen Wunsch an das Format?
Sabena Donath: Es wird sich weiterentwickeln; wir denken bereits über eine internationale Ebene nach. Aus meiner Perspektive inspiriert dieses Format auch die künftige Arbeit der entstehenden Jüdischen Akademie: innovative Formate und Themen, die Aushandlungsprozesse bieten und anstoßen; jüdische Gegenwartsperspektiven als Teil jüdischer Bildung.
Laura Cazés: Ich möchte die Frauen wissen lassen, dass ihre Positionen relevant sind, dass sie in jüdischen Gemeinden relevant sind, auch wenn es manchmal schwer ist.
Hanna Veiler: Ich wünsche mir sehr, dass diese Community, die auf dem Summit entstanden ist und eigentlich jedes Jahr aufs Neue entsteht, dass sie nicht nur auf dem Summit bleibt, sondern dass wir gemeinsam im Gespräch bleiben, auch während des Jahres. Das ist mein Aufruf an uns alle.
Sabena Donath: Und ich möchte noch eine philosophische Frage stellen: Wo wären wir, wenn wir diesen Summit nicht hätten?

Mit den Organisatorinnen des Jewish Women* Empowerment Summits sprach Katrin Richter.

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