Mit ihrer großen Kuppel, den vier kleinen minarettförmigen Türmen und dem hellen Stein muss die Synagoge in der Kölner Glockengasse schon von Weitem zu sehen gewesen sein. Der imposante Bau, der am 29. August 1861 eröfnet wurde, empfing die Betenden in warmen Farben. Eine Palette aus Rot-, Gold- und Beigetönen, ein weiter und schier unendlich wirkender Sternenhimmel. Dieses harmonische Ensemble wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 von den Nazis zerstört. Köln war eine von 1000 Städten, in denen Synagogen angezündet wurden.
Mit diesen 1000 Namen eröffnet die Ausstellung Synagogen in Deutschland – Eine virtuelle Rekonstruktion im Kölner NS-Dokumentationszentrum. Seit dem 11. Juni sind dort mehr als 20 Synagogen zu sehen, die virtuell rekonstruiert wurden. Wie eben die Synagoge in der Glockengasse.
Frankfurt Das Projekt, das mit drei Frankfurter Synagogen begann, stieß auf so große Begeisterung seitens der Öffentlichkeit und der jüdischen Gemeinden, dass es sukzessive erweitert wurde. Fast 100 Studierende haben sich seit 1995 an dem Projekt beteiligt. Zwölf Studierende bearbeiten derzeit noch zwei Darstellungen, die in der laufenden Ausstellung zu sehen sein sollen.
Die Schau Synagogen in Deutschland – Eine virtuelle Rekonstruktion ist Teil des Festjahrs »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland«. Doch sie will nicht nur das sein: »Ein Anliegen war auch immer, ein Zeichen gegen den stärker werdenden Antisemitismus zu setzen«, betont Marc Grellert, der Leiter des Forschungsbereichs Digitale Rekonstruktion der TU Darmstadt, an der das Projekt realisiert wurde. Zu den Anschlägen komme auch ein zunehmender Antisemitismus im alltäglichen Leben.
Anschlag Das Projekt, das einst als Reaktion auf den Anschlag von Neonazis auf die Synagoge in Lübeck im Jahr 1994 begann, will einen Bogen ziehen von der Vergangenheit bis zur Gegenwart. In vier Themenbereichen – Wahrnehmung, Eskalation, Rekonstruktion und jüdisches Leben heute – können Besucherinnen und Besucher nicht nur die zerstörten Synagogen im virtuellen Modell sehen, sondern sich auch über die Bethäuser informieren, die nach 1945 in Deutschland neu errichtet wurden. Zudem erzählen Menschen in kleinen Filmporträts, »was sie im Jahre 2021 mit dem Thema Synagoge, mit ihrer Synagoge, verbinden«.
Das Konzept der Ausstellung, die bereits zuvor in Bonn, Israel und Kanada zu sehen war, wurde gemeinsam mit dem NS-Dokumentationszentrum aktualisiert. Denn durch diese Ausstellung sollten auch jüngere Menschen angesprochen und ermuntert werden, vielleicht doch einmal in eine Synagoge zu gehen, sagt Grellert. Und mit Jüngeren meint er auch die ganz Jungen, denn Teil der Ausstellung ist sogar ein Clip aus dem bekannten Kinderprogramm Die Sendung mit der Maus, in der das Konzept der virtuellen Rekonstruktion erläutert wurde.
Zeitzeugen konnten Auskunft zu den Synagogen geben, die mit ihrer Hilfe virtuell rekonstruiert werden konnten.
Für Grellert ist das eine ganz besondere Ehre. Auch das Sprechen mit Zeitzeugen, die ihm viel über die Synagogen, die in dieser Ausstellung zu sehen sind, erzählen konnten, war ein Privileg. Die teilweise schon hochbetagten Menschen gaben ihm Informationen, die die Mitarbeiter und er vielleicht sonst in dieser Form nicht erhalten hätten, obwohl die Quellenlage eigentlich gut war. Bei der Synagoge in der Glockengasse zum Beispiel gab es ein Farbbild mit roten, warmen Tönen – und dem endlos wirkenden Sternenhimmel.
»Synagogen in Deutschland – Eine virtuelle Rekonstruktion« ist bis zum 19. September im Kölner NS-Dokumentationszentrum, Altstadt-Nord, Appellhofplatz 23-25, zu sehen.