PRO - Daniel Killy meint, der Wiederaufbau geschehe »zum Wohle der ganzen Stadtgesellschaft«.
Es war wie ein Geschenk für die Jüdische Gemeinde in Hamburg. Am 27. September 2023 votierte die Hamburger Bürgerschaft einstimmig für eine Rückgabe zweier Flurstücke am Joseph-Carlebach-Platz an die Jüdische Gemeinde. Die Flächen am ehemaligen Bornplatz waren Teil des historischen Standorts der Bornplatzsynagoge, die 1938 vom Nazi-Mob geschändet und niedergebrannt wurde. Damit ist nach der positiven Machbarkeitsstudie eine weitere Hürde auf dem Weg zum Wiederaufbau des einstmals größten jüdischen Gotteshauses im Norden genommen.
Bald schon soll der Architekturwettbewerb für den Wiederaufbau ausgeschrieben werden, der Bund gibt dazu 13,2 Millionen Euro. Die Gelder sollen 2024 und 2025 fließen. Die Freude ist groß bei der Stiftung Bornplatzsynagoge, der Jüdischen Gemeinde in Hamburg und der Politik in der Hansestadt. Denn laut Machbarkeitsstudie – und darin sind sich Stadtgesellschaft und Bürgerschaft einig – ist die Rückkehr der Bornplatzsynagoge »(…) Beginn eines neuen Kapitels jüdischen Lebens in Hamburg«.
Beim Wiederaufbau der Synagoge gehe es daher »weniger um Erinnerung und Mahnung, sondern um Neuanfang und Zukunft – jüdisches Leben soll wieder ein sichtbarer und selbstverständlicher Teil des öffentlichen Alltags sein«. Die neue Synagoge sei »Zeichen und Einladung an die Stadtgesellschaft. Sie ist Zeichen und Zukunft für die wachsende Gemeinschaft. Sie ist Teil eines größeren Ganzen, verschiedenster Gemeindeeinrichtungen, zentraler Punkt eines aufblühenden Stadtquartiers«.
Gegner des Projekts, man kann sich das kaum vorstellen, aber die gibt es, halten den Wiederaufbau für ein Potemkinsches Dorf, sprechen der Jüdischen Gemeinde die Fähigkeit ab, den Ort mit Leben füllen zu können, und plädieren deshalb für mehr Investitionen in jüdische Kultur in Hamburg. Das ist eine ebenso vergiftete wie anmaßende Aussage, die unter anderem in einem offenen Brief des israelischen Historikers Moshe Zimmermann und weiterer Unterzeichner formuliert wurde.
In dem Schreiben aus dem Jahre 2021 wird unter anderem kritisiert, der Wiederaufbau solle an einem Ort entstehen, »an dem derzeit eine beeindruckende Gedenkstätte existiert«. Zimmermann weiter in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt: »Die Botschaft ist gefährlich: Hier wird das Alte wiederhergestellt und die Spuren verwischt« (Originalzitat).
Die Argumentation ist abstrus. Ein Mahnmal soll für Hamburg und seine Jüdische Gemeinde wertvoller sein als ein lebendiges Zentrum jüdischen Lebens an seinem historischen Ort. Das Bodenmosaik der Künstlerin Margrit Kahl, das das vormalige Deckengewölbe der historischen Bornplatzsynagoge abbildet, soll zudem durchaus in das Neubaukonzept integriert und keinesfalls einfach vernichtet werden. Als Margrit Kahls Mahnmal im Jahre 1988 entstand, war ein Wiedererstehen der Synagoge im Übrigen ebenso undenkbar wie der Fall der Mauer.
»Ein Neubeginn in historischem Umfeld.«
Daniel Killy
Nun tut sich Großes im Herzen des Grindelviertels. Schon der Umzug der Jüdischen Gemeinde 2007 in die ehemalige Talmud-Tora-Schule, direkt neben den vormaligen Bornplatz, war ein Neustart an historischer Stelle. Denn rund ums heutige Univiertel wohnten bis zur Schoa rund 25.000 in jüdischen Gemeinden registrierte Hamburger. Einer von ihnen war der Namensgeber des heutigen Joseph-Carlebach-Bildungshauses, an dem von der Krippe bis zum Abi jüdische Identität vermittelt wird: Hamburgs ehemaliger Oberrabbiner und »Hausherr« der Bornplatzsynagoge, Joseph Carlebach, der am 26. März 1942 mit seiner Frau Charlotte und seinen drei jüngsten Töchtern Ruth, Noemi und Sara im Wald von Bikernieki bei Riga erschossen wurde.
Das neue jüdische Zentrum, das hinter der naturgetreuen Fassade der Bornplatzsynagoge erstehen soll, liegt also an einem historisch einmaligen Ort. Links der heutige Gemeindesitz samt Schule, im Gebäude der ehemaligen Talmud-Tora-Realschule, daran anschließend die künftige Bornplatzsynagoge. Dass diese historische Nähe wiederhergestellt wird, ist das Gegenteil eines Verschleierns der Vergangenheit, wie die Bornplatz-Gegner es so scheinheilig formulieren. Es ist ein Neubeginn in historischem Umfeld. Innen wird die neue Bornplatzsynagoge weit mehr sein als »nur« ein Gotteshaus.
Laut Stiftung Bornplatzsynagoge und deren engagiertem Vorsitzenden Daniel Sheffer ist es »unsere Aufgabe, sichtbares und erlebbares, jüdisches Leben im Herzen der Hansestadt wieder zu etablieren«. Durch Bildung, Kultur und Dialog, so Sheffer weiter, »schaffen wir eine Brücke zwischen den Generationen und Kulturen, um Vorurteile abzubauen und ein harmonisches Miteinander zu fördern. Gemeinsam streben wir nach einer Zukunft, in der die Bornplatzsynagoge ein Ort des Gedenkens, der Bildung und des Zusammenhalts wird und als Wahrzeichen der Weltoffenheit und jüdischen Identität unserer Stadt erstrahlt«.
All dies ist und kann nur Aufgabe der Jüdischen Gemeinde in Hamburg sein – zum Wohle der gesamten Stadtgesellschaft. Das sehen in Hamburg zum Glück auch Senat und Bürgerschaft so.
Daniel Killy ist Journalist und sitzt im Beirat der Jüdischen Gemeinde Hamburg.
CONTRA - Alfred Jacoby entgegnet: »Architektur erfordert ein Denken mit der Geschichte, nicht über sie hinweg.«
»Es gibt keine Frage mehr für einen Baumeister der Neuzeit, ein jüdisches Gotteshaus auch in deutschem Stil zu bauen. Denn das Bauwerk – will es Anspruch auf Monumentales machen – muß vor allem National sein. Der deutsche Jude muss im deutschen Staat auch im deutschen Stil bauen. Der romanische Stil ist durch und durch deutsch.« Das schrieb der jüdische Architekt Edwin Oppler 1870 über seine gerade vollendete, im romanischen Stil erbaute Synagoge in Hannover.
Auch die 1906 am Hamburger Bornplatz errichtete Synagoge war ein solches Gebäude. Wie in Hannover war auch in Hamburg die Absicht die gleiche: Das im Kern national-konservativ gesinnte deutsche Judentum erschuf sich damit wirksame Symbole einer vermeintlichen sogenannten deutsch-jüdischen Symbiose. Architektur war dazu das perfekte Mittel.
Aber: Die in diesen Gebäuden ausgedrückte Sehnsucht nach Anerkennung, führte die jüdische Gemeinschaft hierzulande schließlich nie in eine verlässliche Wirklichkeit. Mit dem Holocaust und seinen Millionen ermordeten europäischen Juden ging das Deutsche ebenfalls mit unter.
Heute besitzt die große Mehrheit der Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft hierzulande einen deutschen Pass. In Deutschland geboren sind die meisten jedoch nicht. Bislang hat keiner dieser Ankömmlinge eine Sehnsucht nach »nationalem Deutschtum« geäußert. Niemand will »unseren alten Kaiser Wilhelm wiederhaben«. Geschweige denn, was danach kam. Trotzdem strebt man jetzt in Hamburg danach, die alte Synagoge nach den alten Plänen an gleicher Stelle originalgetreu wiederaufzubauen.
Die Herstellung von Architektur erfordert aber immer ein Denken mit der Geschichte und nicht über sie hinweg. Mit der Umsetzung einer solchen Rekonstruktion würde man nicht nur so tun, als wäre nichts geschehen. Nein, mehr noch: Man würde ein Gebäude erschaffen, welches in seiner nostalgischen und geschichtsvergessenen Rückwärtsgewandtheit die heutige jüdische Lebenswelt gar nicht abbildet. Seine Nutzer würden in ihm zu Statisten einer Geschichte gemacht, der sie sich im wahren Leben aus eigener Kraft zu entziehen vermochten. Ein Rückzug in eine Wirklichkeit, die nicht mehr existiert.
»Es ist ein Rückzug in eine Wirklichkeit, die nicht mehr existiert.«
Alfred Jacoby
Um diese zerstörten Erinnerungsstücke wieder räumlich erlebbar zu machen, stehen uns heute wirksamere Werkzeuge als Beton und Backstein zur Verfügung. Es ist weitaus sinnvoller, sie durch digitale Rekonstruktion wiederherzustellen. Besonders durch das zwar sichtbare und originalgetreu aber nicht mehr greifbare Wesen dieser Welt erschließt sich einem beim Eintritt in den virtuellen Raum der erlittene Verlust. Gegenüber der Vergangenheit bleibt man Besucher, man wird nicht Nutzer. Wer in Ausstellungen in Frankfurt, New York oder anderswo war, konnte das nachempfinden.
Zum anderen hat gute Architektur zu jeder Zeit die Kraft besessen, sich neu zu erfinden, um Bauaufgaben zeitgemäß zu gestalten. Bereits vor jetzt fast 20 Jahren schrieb die »Neue Zürcher Zeitung« Erstaunliches darüber in ihrem Feuilletonbeitrag »Licht der Diaspora«: »In keiner anderen Baugattung hat die deutsche Architektur in den letzten Jahren ähnlich außergewöhnliche Leistungen erbracht, wie in der Synagogenarchitektur.«
Diese Meinung aus der Schweiz ist zwar an sich bemerkenswert, aber letztlich nicht verwunderlich. In Deutschland haben sich Architekten nach dem Holocaust bemühen müssen, Synagogen und Gemeindezentren baulich so zu gestalten, damit für ihre Gemeinden ein Gefühl von »im Judentum beheimatet zu sein« entstehen konnte. Das verlieh ihnen Echtheit. Das ist nicht deshalb gelungen, weil ihre Bauwerke per se von gestern sind und dem »Wahren, Schönen, Guten« einer vergangenen Zeit hinterherlaufen, die dieses Versprechen nie hielt.
Sondern weil hier Form und Inhalt miteinander kommunizieren. Weil sie Raum schaffen für ein jüdisches Leben, das den unterschiedlichen jüdischen Traditionen entspricht. Es sind Orte entstanden, wo man heute jüdische Identität unterschiedlich religiös feiern kann. Und denen es offenbar gelingt, der jüdischen Kultur aus ihrem inneren Wesen heraus in der erweiterten Stadtgesellschaft Gehör zu verschaffen.
Die monumentalen Tempel der »deutschen Juden bürgerlichen Glaubens«, wie Kurt Tucholsky sie einst nannte, wurden vernichtet. Darunter auch die Synagoge am Hamburger Bornplatz. Er heißt heute Joseph-Carlebach-Platz. Benannt nach dem letzten Hamburger Oberrabbiner, der an diesem Ort zuerst seine Synagoge verlor und dann in Auschwitz sein Leben. Den Carlebach-Platz zeichnet insbesondere seine Leere aus.
Er taugt nicht zur Stadtreparatur. Und er macht eines deutlich: Der allerschlimmste Verlust, den die Juden Europas als Gemeinschaft erlitten haben, sind die ermordeten Menschen und nicht die verbrannten Steine.
Alfred Jacoby ist Architekt und hat unter anderem die 2023 eröffnete Synagoge in Dessau entworfen.