Hermann Landshoff war es weniger wichtig, ob er ein »großer Unbekannter« bleiben würde, als vielmehr ein möglichst vollkommenes Bildarchiv zu hinterlassen. Die Bandbreite seiner Fotoarbeiten weist ihn – angesichts von so unterschiedlichen Sparten wie Street Photography, Mode-, Stilleben-, Architektur-, Landschafts- und Porträtfotografie – als »Universalisten« aus.
Akribisch zerstörte Landshoff oft seine Negative, erstellte präzise Fotomappen und vernichtete alle Dubletten. Diese Arbeitsweise beschrieb Andreas Landshoff, der Neffe von Hermann und Sohn des Verlegers Fritz Landshoff, kürzlich anlässlich der Fotoretrospektive Hermann Landshoff – Photographien 1930–1970. Zum Beispiel habe man nur dank einer Novelle von Silvia Plath Kenntnis von ihrem Fototermin bei diesem. Das Bild selbst aber existiert nicht, es wurde offenbar verworfen.
Nachlass Der Neffe hat nicht nur viele Geschichten parat. Ihm ist es auch in der Hauptsache zu verdanken, dass der erhaltene Nachlass von Hermann Landshoff komplett an die Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseum ging. In Sammlungsleiter Ulrich Pohlmann fand er einen Partner, der die Bewahrung, Erforschung und Präsentation der Sammlung versprach, was er mit einer Ausstellung bis 21. April und einem umfangreichen Katalog inzwischen bewiesen hat.
Bei der Ausstellungseröffnung wurde deutlich, dass auch IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch mit einer Petition an den New Yorker Supreme Court zur Übereignung des Fotoarchivs aus dem New Yorker Fashion Institute for Technology ans Münchner Stadtmuseum beigetragen hat. Über 20 Jahre dauerte es von der Idee bis zur Realisierung des Gesamtprojekts.
Am Anfang der Schau wird die Geschichte vom Sprössling einer gutbürgerlichen, schöngeistigen und jüdischen Familie in München erzählt. Er wuchs an der Ludwigshöhe in Solln und in Schwabing auf. Im Elternhaus gingen unter anderem Thomas Mann, Christian Morgenstern, Rainer Maria Rilke und Karl Wolfskehl ein und aus. Der Vater Ludwig war Bach-Experte, Komponist und Dirigent. Die Familie Landshoff sprühte nur so von Begabungen: Aus ihr gingen in München und Berlin, später in Amsterdam und New York Musikwissenschaftler und Verleger, Schauspieler und Naturwissenschaftler, Musen und Salondamen hervor.
Emigrant Die Beschäftigung mit dem Fotografen erweist sich somit als Erhellung eines Kapitels lange Zeit verdrängter jüdischer Kulturgeschichte in München, ja, deutsch-jüdischer Geschichte insgesamt, und gleichzeitig als »archäologische Spurensicherung«. Denn die Flucht nach Paris, der Eintritt in die Fremdenlegion, um einer Auslieferung an die Deutschen zu entgehen, schließlich die Überfahrt nach New York und das schwere Leben eines mittellosen Emigranten mit Kamera lassen erahnen, wie viel unwiederbringlich zerstört worden ist.
Andreas Landshoff kennt viele Details. Hermann Landshoff stellte 1957, als es ihm finanziell nicht gut ging, einen Antrag auf Wiedergutmachung: »Er wurde abgelehnt, weil er keine Steuerunterlagen aus der Zeit vor 1933 vorlegen konnte.« Da hatte der Fotograf endgültig genug, wollte nie mehr nach Deutschland zurück.
Dass sein Archiv nicht zerlegt wurde, sondern nun ausgerechnet in seiner Geburtsstadt München komplett erhalten bleibt, ist eine Ironie der Geschichte. Für Charlotte Knobloch vor allem aber »eine Geste, um eine historische Ungerechtigkeit zu korrigieren« und »ein wichtiger Versuch, das künstlerische Schaffen von Hermann Landshoff und seiner Familie wieder sichtbar zu machen«.
Berufung Wer Hitler 1928 im »Simplicissimus« karikierte, war hellsichtig, aber auch waghalsig. Wer 1930 für die »Münchner Illustrierte Presse« eine Fotoreportage mit Albert Einstein beim Segeln in Caputh an Land zog, wurde von der Fotografie fasziniert.
Wer Mode in Paris und New York ablichtete, Exilanten und Surrealisten, Atomwissenschaftler und Fotografen-Kollegen, Arme in Harlem und auf Kuba porträtierte, mit Kameras experimentierte und als Berater für Kodak arbeitete, der hatte seine Berufung gefunden. Ganz besonders schätzte Hermann Landshoff, der im September 1986 im Alter von 81 Jahren in New York starb, übrigens den skurrilen Humor von Karl Valentin. Ausgerechnet aus dem Film Im Photoatelier (1932) sind dank ihm Fotos von Valentin und dessen Partnerin Liesl Karlstadt überliefert.
Die Fotografie war Hermann Landshoffs universell verständliche Sprache. Zuhause aber pflegte der von Deutschland so Enttäuschte das Deutsche weiter. Kam Andreas Landshoff mit seinem Vater zu Besuch, so gab es ein »deutsches Sonntagsfrühstück« – und man sprach Deutsch.