Alles begann mit einem Brief: Ob er nicht mal auf einen Kaffee in Aschkelon vorbeikommen wolle, fragte Eva Erben Günther Jauch vor zehn Jahren. Sie kenne den TV-Moderator zwar nicht, schaue aber so gerne mit Freundinnen seine Sendung Wer wird Millionär?. Wenn er wolle, könnten die beiden sich in Israel treffen und über ihr bewegtes Leben sprechen, schlug Erben vor.
Und Günther Jauch wollte. Einige Zeit nach dem ersten Brief trafen sich die beiden bei ihr zu Hause in Aschkelon – und mochten sich auf Anhieb. Erben kochte dem Gast aus Deutschland eine Suppe, gab ihm Tipps für schwierige Quizfragen und erklärte ihm Israel. Und je länger sich die beiden kannten, desto mehr sprach sie auch über ihr Schicksal als jüdisches Mädchen in Nazi-Deutschland. Seitdem stehen die ungleichen Freunde in regelmäßigem Kontakt.
Zeitzeugen Am Donnerstagabend gab es in der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum nach längerer Zeit ein Wiedersehen zwischen Erben und Jauch. Im Rahmen der Gesprächsreihe »Zeitzeugen« in Kooperation mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas befragte der 57-jährige Moderator die 84-jährige Schoa-Überlebende zu ihrem Leben. Mehr als 200 Zuschauer hörten gebannt und stellenweise fassungslos den Erzählungen der im Sudetenland aufgewachsenen Erben zu.
Wie zum Beispiel die Geschichte mit dem Heuhaufen und der Kuh, der sie ihr Leben verdankt. Nachdem die damals 14-Jährige bereits das Ghetto Theresienstadt und das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau überlebt hatte, brach Erben im April 1945 nach einem Todesmarsch in der Tschechoslowakei entkräftet zusammen. In einem Kuhstall ließen die Wachmänner sie und die anderen Juden übernachten, erinnerte sich Erben im Gespräch mit Jauch.
Was ihr auf den ersten Blick als unangenehm erschien, rettete ihr am nächsten Morgen das Leben: In dem Heuschober war nur noch neben der Kuh ein Platz zum Schlafen frei. Übermüdet schlief Erben direkt neben dem Tier ein. Als die SS die Gefangenen am nächsten Morgen weckte, übersahen sie das junge Mädchen, das sich über Nacht mit Stroh zugedeckt hatte. Selbst die Spürhunde der Nazis wurden nicht auf sie aufmerksam, da der Gestank der Kuh Erbens Geruch überdeckte.
Lebensjahre Es ist dieses Glück im Unglück, das ihr im Leben mehrmals widerfahren ist und das sie immer wieder gerettet hatte. Dabei begannen Erbens erste Lebensjahre alles andere als dramatisch. Geborgen und liebevoll sei sie aufgewachsen, erzählte die Israelin Jauch. Ihr Großvater hatte eine Fischkonservenfabrik, ihr Vater war in der Gummiindustrie tätig. Ob die Familie reich gewesen sei, fragte sie der Moderator. »Wir waren wohlhabend, aber nicht verschwenderisch«, antwortete Erben. »Alle zwei Monate kam eine Schneiderin und stopfte Löcher in unsere Kleidung.«
Als die Lage sich für Juden im Sudetenland zunehmend verschlechtert, ziehen Erbens Eltern mit der Sechsjährigen nach Prag. Durch den Einmarsch der Wehrmacht am 15. März 1939 ändert sich ihr Leben schlagartig, berichtete Erben. Im Dezember 1941 wurde die Familie in das Ghetto Theresienstadt deportiert. »Das war ein Glück«, sagte Erben und lacht bitter auf. Denn die Nazis führten das Ghetto dem Roten Kreuz als vermeintliche »Mustersiedlung« für Juden vor.
Im Herbst 1944 werden Erben und ihre Mutter nach Auschwitz deportiert. Ihren Vater sieht das Mädchen in Theresienstadt zum letzten Mal. 1944 wird er nach Kaufering verschleppt und ermordet. Ihre Mutter stirbt während des Todesmarsches von Auschwitz in die Tschechoslowakei. An dieser Stelle stockt Erben, hält kurz inne, strauchelt ein wenig. Moderator Jauch stellt nicht direkt seine nächste Frage, gibt Erben die Zeit, bis sie sich nach wenigen Sekunden wieder gefangen hat.
Baugeschäft Eva selbst gelang während des Todesmarsches die Flucht, von einer tschechischen Familie wurde sie versteckt. 1948 wanderte sie mit ihrem Ehemann über Frankreich nach Israel aus. Sie arbeitete als Krankenschwester, ihr Mann fand eine Anstellung im Baugeschäft. Auf den ersten Blick ging es ihr gut, betonte sie. »Aber ich konnte jahrzehntelang nicht über meine Erlebnisse während der Schoa reden«, bekennt Erben.
Irgendwann aber habe sie gemerkt, dass sie sich die Dinge von der Seele schreiben müsse, um sich von ihnen halbwegs befreien zu können. In ihrer Autobiografie Mich hat man vergessen schildert sie all das, von dem sie bisher stets geschwiegen hatte. Zu Jauch gewandt sagt sie: »Hätte ich das Buch nicht geschrieben, wäre ich vermutlich verrückt geworden. Schreiben war meine Rettung.«
Am Ende des Gesprächs will Günter Jauch von der agilen 84-Jährigen wissen, wie es für sie sei, nach Deutschland zu reisen. Erben gibt zu, dass es für sie lange Zeit nicht einfach gewesen sei, das Land der Täter zu besuchen. Aus diesem Grund hat sie es früher konsequent vermieden, älteren Deutschen die Hand zu geben. »Heute gebe ich insbesondere der jungen Generation gerne die Hand«, sagt Erben – und beschwert sich bei Jauch.
Der Moderator habe viele intelligente Fragen gestellt, aber viele Passagen in ihrem Leben ausgelassen. Über ihre großartigen Kinder zum Beispiel hätten sie gar nicht gesprochen. »Immerhin habe ich drei Kinder, neun Enkel und 13 Urenkel«, sagt Erben bestimmt. Aber darüber können die beiden sich vielleicht bei ihrem nächsten Zeitzeugen-Gespräch unterhalten. Oder womöglich bei einem Kaffee in Aschkelon.