Rosch Haschana

Süß wie Honig

Alles bereit für das neue Jahr: Äpfel, Honig, Schofar und Gebetbuch – schana towa le kulam Foto: Miryam Gümbel

Wenn wir heute Abend, Erew Rosch Haschana, mit der Familie und mit Freunden zusammensitzen, dann ist das ein ganz besonderer Abend. Ein neues Jahr beginnt. Beim Essen wird auf die Challe nicht wie sonst Salz gestreut. Wir tauchen sie in Honig, damit das kommende Jahr süß werden soll. Auch viele der anderen Speisen haben ihren besonderen Bezug zum Anfang eines neuen Jahres. In der Synagoge ruft uns der Klang des Schofars auf zum Nachdenken, zum Innehalten im Alltagsablauf. Wir suchen Verzeihung bei unseren Mitmenschen und bei G’tt und bitten ihn, dass er uns einschreiben möge in das Buch des Lebens. Rosch Haschana ist somit auch Anlass, auf das zu Ende gegangene Jahr zurückzuschauen und unseren Blick auf das zu richten, was vor uns liegt und was wir künftig besser machen können.

Am vergangenen Sonntag hat sich beim Europäischen Tag der Jüdischen Kultur 2010 einmal mehr gezeigt, wie sehr auch die nicht jüdische Bevölkerung Münchens Interesse an einem Miteinander hat. Bei der Ausstellung der Fotografien von Rafael Herlich über jüdisches Leben in Deutschland hat mich das Bild berührt, auf dem zwei junge Menschen aus unserer Gemeinde bei der Einweihung unseres Gemeindezentrums 2006 die Tore zur Ohel-Jakob-Synagoge öffnen. In dem Buch zu der Fo- to-dokumentation hat der Erfurter Professor Doron Kiesel dazu folgenden Text geschrieben: »Mit der Öffnung des Eingangstors der neuen Synagoge in München wird zugleich der Hoff- nung Ausdruck gegeben, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland eine gedeihliche und sichere Zukunft erwarten möge.«

Heimat Vielerlei Gedanken bewegen dabei sicherlich nicht nur mich. Da ist die Freude darüber, dass wir im Herzen der Stadt München eine Heimat gefunden haben, dass wir uns nicht mehr in »Hinterhöfen« verstecken müssen. Da ist der Dank an alle, die zum Gelingen unseres Gemeindezentrums beigetragen haben – von der Stadt München und dem Freistaat Bayern bis zu all denen, die dieses Projekt mit großen und kleinen Spenden, aber auch mit persönlichem Einsatz und viel Engagement begleitet haben. Danken möchte ich an dieser Stelle allen Mitarbeitern, die dafür sorgen, dass dieser Ort der Begegnung und des Miteinanders mit Leben erfüllt wird – einschließlich derer, die dabei weniger im Rampenlicht stehen, aber ohne die unser Zentrum nicht das sein könnte, was es ist, wie zum Beispiel unsere Hausmeister und unser Sicherheitsdienst oder fernab vom Jakobsplatz der Familie Nißl und Johanna Angermeier, die sich um die beiden »Guten Orte«, die Friedhöfe, in unserer Stadt kümmern. Um die Vielzahl unserer Aktivitäten und vor allem unserer Dienstleistungen aufrechtzuerhalten, die dazu beitragen, unseren Mitgliedern ein jüdisches Leben in allen Lebenslagen bieten zu können, bedarf es eines erheblichen Aufwandes. So gilt mein Dank auch all jenen, die uns über die Bekenntnissteuer hinaus allgemein oder zu bestimmen Projekten auch finanziell unterstützen. Ob Rabbinat, Kulturarbeit, Soziales und Integration – gemeinsam mit meinen Vorstandskollegen, von denen sich jeder in seinem Bereich einbringt, hat unsere Gemeinde viel geleistet.

Das reicht von Aufgaben, die häufig nur diejenigen zu würdigen wissen, die ihrer bedürfen. Unser Seniorenheim ist hierfür ein gutes Beispiel. Auf der anderen Seite gibt es Einrichtungen, die weit über die Gemeinde hinaus strahlen: Unsere Sinai-Schule besuchen auch Kinder nichtjüdischer Münchner – und die Leistungen werden immer wieder auch von offizieller Seite gelobt. Wie begeistert die Kinder ihre Lernerfolge umsetzen, das hat uns erst kürzlich das beeindruckende Sommerfest der Sinai-Schule ebenso gezeigt wie der Abschlussauftritt der Vorschulkinder aus dem Kindergarten. Dass Abiturienten sich im Leistungskurs immer wieder für das bayerische Abiturfach Jüdische Religionslehre entscheiden, erfüllt mich mit besonderer Freude. Die Kinder und die Jugend sind unsere Zukunft – dieser Satz mag ein wenig abgedroschen klingen. Wenn ich aber das Positive sehe, was Jugendliche heute erreichen und an andere weitergeben, dann ist dieser Satz Anlass zu Stolz. Dass darüber hinaus einige unserer Kinder, die im Ausland studiert haben, wieder in ihre Geburtsstadt zurückkehren, gibt Zuversicht. Und dass sich insbesondere die zweite Generation der Zuwanderer in Schule, Studium und Beruf gut etabliert hat, zeigt, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben.

Positiv Gleichwohl gibt es im neuen Jahr 5771 viel zu tun: Das Erreichte muss gefestigt, neue Herausforderungen angenommen und gelöst werden. Der demografische Wandel macht vor unserer Gemeinschaft nicht halt. Neue Formen eines Miteinanders der Generationen müssen angedacht und umgesetzt werden. Bei aller Freude über all das Positive im Blick zurück übersehen wir nicht die Bedrohungen, mit denen wir in München ebenso leben müssen wie in Israel. Dass viele Münchner dabei Verbundenheit mit uns zeigen, gibt Mut für die Zukunft. Ich denke dabei an den jährlichen Israel-Tag ebenso wie an Solidaritätskundgebungen gegen Neonazis. Dass wir aufwendige Sicherheitsmaßnahmen und den Schutz durch Staat und Gesamtgesellschaft brauchen, ist eine traurige Bestätigung dafür, dass die jüdische Gemeinschaft trotz vieler Freunde immer noch zahlreiche Gegner hat. Aufklärungsarbeit, wie sie zum Beispiel durch die Arbeit unseres Kulturzentrums unter Leitung von Ellen Presser oder durch diejenige der Literaturhandlung von Rachel Salamander geleistet wird, ist hier nicht hoch genug einzuschätzen.

Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, dass all dies zu einer positiven Zukunft beiträgt. Möge Haschem uns allen für ein gutes und friedvolles Jahr seinen Segen geben – in unserer Stadt ebenso wie in aller Welt und in Israel. Unsere Gedanken sind dabei nicht nur bei unseren Freunden, die dort leben, sondern auch bei Gilad Shalit, für den wir hoffen, dass ihm das kommende Jahr endlich die Freiheit und Rückkehr in seine Heimat bringen wird. »LeSchana towa tikatewu« – Möge uns allen ein gutes Jahr beschieden sein!

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