Mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus wartet ein dunkles Kapitel aus dieser Zeit noch immer auf seine restlose Aufarbeitung. Im Mittelpunkt steht dabei die bisher noch nicht abschließend beantwortete Frage, ob sich auf dem Gelände der heutigen Siedlung Ludwigsfeld im Norden Münchens ein Massengrab von Schoa-Opfern befindet.
Von Februar 1943 bis zur Befreiung durch die Amerikaner am 30. April 1945 stand auf dem Areal ein Außenlager des Konzentrationslagers Dachau. Mehrere Tausend von den Nazis inhaftierte Menschen mussten dort unter unsäglichen Bedingungen leben und für den BMW-Konzern bei der Produktion von Flugzeugmotoren Zwangsarbeit leisten. Das Außenlager bestand im Wesentlichen aus 22 Holzbaracken, die zuvor Pferdeställe waren. Die Häftlinge mussten unter widrigsten Bedingungen auf Strohsäcken schlafen.
verdrängung Der Münchner Stadtteilhistoriker Klaus Mai, der jahrelang Daten und Fakten über das Dachauer KZ-Außenlager zusammengetragen hat, machte zu Beginn seiner Recherchen eine verblüffende Feststellung: Stadt und Wissenschaft hatten das KZ, immerhin das drittgrößte von 140 Außenlagern Dachaus, »vergessen«. Es gab keine einzige wissenschaftliche Untersuchung, die sich damit beschäftigte.
Ganz so überraschend ist das Vergessen dieses Kapitels der Geschichte auch wieder nicht. Bei der Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums im vergangenen Jahr etwa war der viele Jahre lang ausgesprochen zögerliche Umgang der Stadt München mit ihrer NS-Vergangenheit ein immer wieder ins Gespräch gebrachter Punkt. Die unangenehme Wahrheit, dass auch auf dem Boden der einstigen »Hauptstadt der Bewegung« das Nazi-Prinzip »Vernichtung durch Arbeit« galt, wollte angesichts der Beteiligung des Vorzeigeunternehmens BMW keiner offen aussprechen. Erst spät entschloss sich der Konzern, die Forschungsarbeit von Klaus Mai zu unterstützen.
IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch indes spricht den jahrzehntelangen mangelhaften Aufklärungswillen deutlich an. »Dieser Ort«, sagt sie, »spiegelt symptomatisch das Verdrängungsbewusstsein und die Geschichtsvergessenheit einer bestimmten, zu langen Phase der deutschen Nachkriegsgeschichte wider.« Für die Frau an der Spitze der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern gibt es im Fall des Allacher KZ-Außenlagers auch keinerlei Spielraum. »Sollte sich der Verdacht des Historikers bestätigen, muss alles getan werden, um die sterblichen Überreste dieser Menschen würdevoll und pietätvoll zu behandeln«, unterstreicht Charlotte Knobloch.
Verbrechen Auch wenn das Thema inzwischen auf dem Schreibtisch von Oberbürgermeister Dieter Reiter gelandet ist, gilt – zumindest mit Blick auf das öffentliche Bewusstsein – noch immer der Status, den der Historiker Klaus Mai als Titel für sein fast 400 Seiten umfassendes Buch gewählt hat: Das vergessene Verbrechen. Im Archiv der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg finden sich aber Unterlagen, dass in dem KZ-Außenlager auch Hinrichtungen wegen »Sabotage«, Diebstahl von Essen und Fluchtversuchen durchgeführt wurden. Rund 50 solcher Morde sind aufgelistet.
Das ganze Ausmaß des Grauens, das auch in Allach herrschte, hat Mai in mühseliger Kleinarbeit Stück für Stück zusammengetragen. 17.000 Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge dürften es seinen Forschungen zufolge gewesen sein, die für BMW schuften mussten, darunter etwa 5000 Juden. Mai hat bei seiner Suche in der Vergangenheit Name und Herkunft von mehr als 1800 Menschen herausgefunden, geht aber davon aus, dass es noch Hunderte mehr waren, die an den Folgen der brutalen Zwangsarbeit starben.
Nach seinen Analysen des Archivmaterials, Berechnungen und der Auswertung von Luftbildern, die von dem Gelände gemacht wurden, ist sich der Historiker sicher, dass es auf dem Gelände in Allach, wo eine weitere Wohnsiedlung geplant ist, ein Massengrab gibt. Etwa 300 Holocaust-Opfer könnten seiner Einschätzung nach dort verscharrt worden sein.
verpflichtung Nur etwa 100 Meter von dieser Stelle entfernt dokumentiert auch das einzige sichtbare Überbleibsel des Lagers, eine steinerne Baracke, den fragwürdigen Umgang der Stadt mit ihrer Geschichte. Das Gebäude wurde jahrzehntelang als Vereinsheim eines Sportvereins genutzt.
Ganz nach Belieben kann die Stadt im Umgang mit dem etwaigen Massengrab jedoch ohnehin nicht agieren. In einem Zusatzabkommen zu den »Pariser Verträgen« aus dem Jahr 1954 hat sich Deutschland zur Unantastbarkeit der Grabstätten von Opfern des NS-Regimes verpflichtet. Derzeit weisen nur zwei Tafeln auf das KZ-Außenlager hin.