Der Teil-Lockdown in den vergangenen sechs Wochen hat noch keine Erleichterung im Infektionsgeschehen bewirkt. Die Zahlen bleiben auf einem sehr hohen Niveau, Intensivbetten sind zu einem Viertel mit Corona-Patienten belegt, die Sterberate – vor allem bei älteren Erkrankten – ist so hoch wie nie.
Entsprechende Vorsicht ist auch in Alters- und Pflegeheimen geboten. Die jüdischen Senioren- und Elternheime haben sich indes gut auf die Corona-Pandemie eingestellt. Besuchsbeschränkungen, Fiebermessen, Corona-Schnelltests sind nicht erst nach dem Teil-Shutdown im November und Dezember Standard in den Einrichtungen. Doch die Unwägbarkeiten sind genauso vielfältig wie die Bestimmungen in den Bundesländern.
Andrew Steiman, der als Rabbiner der Budge-Stiftung in Frankfurt über 300 Senioren und deren Umfeld betreut, darunter auch einige der letzten Schoa-Überlebenden, gibt Vergleichen unter den Heimen von Hannover bis Nürnberg kein Gewicht: Zu unterschiedlich sind die Bestimmungen der einzelnen Bundesländer.
Gestaltungsspielraum In Hessen ist der Gestaltungsspielraum relativ groß und damit die Eigenverantwortung besonders hoch, sagt Steiman. »Wir waren streng und bleiben streng mit unseren Besuchsregelungen.« Während der Sommermonate konnten sich Angehörige und Bewohner vor allem in den Außenbereichen und zu Spaziergängen treffen. Das habe sogar zu einer Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes beigetragen, stellt Steiman fest.
Die Unwägbarkeiten sind genauso vielfältig wie die Bestimmungen in den Bundesländern.
In der dunklen Jahreszeit, bei Kälte und Regen, ist die Regelung klar: Nur drei Besucher von außerhalb dürfen gleichzeitig ihre Angehörigen sehen – und diese auch noch verteilt auf verschiedenen Etagen. Im großen Saal, der 200 Besucher fasst, dürfen sich nur 35 Menschen gleichzeitig aufhalten, etwa zum Gottesdienst. Kiddusch gibt es keinen.
»Aber unsere Bewohner akzeptieren diese Maßnahmen voll und ganz«, sagt Steiman. Ohnehin haben vor allem Schoa-Überlebende ein ganz anderes Verhältnis zum Leben. »Sie beklagen sich nicht, im Gegenteil, sie sagen, man macht eben, was dem Leben nutzt. Genau das gibt die jüdische Ethik wieder.«
Für unvorhersehbare Anfragen fand sich bislang immer eine Lösung. Ein Enkel aus Amerika wollte seine 97-jährige Oma besuchen, telefonierte mehrmals mit der Einrichtung, um den Besuch vorzubereiten. »Den konnten wir erst nach fünf Tagen ins Haus lassen. Bis dahin traf er sich mit der Oma in der Sonne draußen.« Eine Tochter aus Israel besuchte ihre Mutter, auch sie trafen sich zuerst im Außenbereich. Sogenannte Partyzelte, die zu Sukkot angeschafft wurden, dienen nun als Treffpunkte außerhalb des Hauses – jetzt allerdings mit geschlossenem Dach und Heizstrahlern.
In vielen jüdischen Elternheimen ist eine Eingangskontrolle obligatorisch. »Wir messen Fieber, fragen nach eigenem Befinden und nach eventuellen Kontakten mit Covid-19-positiv Getesteten, erklärt Wolfgang Brockhaus vom Adolf-Hamburger-Haus in Nürnberg. FFP2-Masken sind im ganzen Haus obligatorisch neben den üblichen Abstands- und Hygieneregeln (AHA-Regeln).
Einige Altenheime dürfen inzwischen selbst Schnelltests vornehmen.
»Tagtäglich halten wir Lagebesprechungen über das Infektionsgeschehen und neue Regeln ab. Dabei werden auch die neuesten Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) erörtert«, sagt Brockhaus, »damit die Dimensionen als solche bewusst werden.« Sollte es Ausnahmeanträge von den strikten Besuchsregeln geben, laufen sie alle über Brockhaus’ Schreibtisch. Sonst gilt generell: keine Besuche im Wohnbereich – viele an der frischen Luft.
TEsts Auch im Elternheim der Synagogen-Gemeinde Köln durchlaufen die Besucher erst einmal Tests. »Mit der neuen Regelung seit dem 2. November dürfen wir jetzt Schnelltests durchführen«, sagt Leiterin Irina Rabinovitch. Ist der Schnelltest negativ und ergeben die Befragungen nach eigenem Befinden keine Auffälligkeiten, darf der Gast in den Wohnbereich, dort gelten natürlich die AHA-Regeln.
Seit Oktober müssen sich die Besucher vorher telefonisch anmelden. Die Mitarbeiter werden derzeit alle zwei Wochen getestet. Trotz der derzeitigen Situation und dem Verzicht auf große Veranstaltungen und Versammlungen versuche das Elternheim, das alltägliche Leben der Bewohner und Bewohnerinnen »weiterhin positiv und schön zu gestalten. Wir feiern ihre Geburtstage im kleinen Kreis. Gerade diese Woche hat eine Bewohnerin ihren 102. Geburtstag gefeiert. Trotz Corona haben wir den Tag schön und feierlich für sie bereitet, gesungen, Kuchen gebacken und ihr Zimmer sehr schön dekoriert«, erzählt Rabinovitch.
Für die Chanukkafeier hat sich das Elternheim-Team der Synagogen-Gemeinde Köln gut vorbereitet.
Für die Chanukkafeier habe sich das Elternheim-Team gut vorbereitet. »Wir werden in kleinen Gruppen mit dem nötigen Abstand Chanukka feiern, Kerzen in den Wohnbereichen anzünden, der Gemeinderabbiner steht unseren Bewohnern und Mitarbeitern unterstützend zur Seite und wird uns an Erew Chanukka besuchen«, sagt Irina Rabinovitch.
Wirkung Strenge Maßnahmen hat auch das Lola-Fischel-Haus in Hannover ergriffen, berichtet Geschäftsführer Lars Helbsing. Telefonische Anmeldung ist seit Beginn der Pandemie im März notwendig. »Bundesweit hat sich gezeigt, dass frühzeitige drastische Maßnahmen gute Wirkung gezeigt haben«, erklärt Helbsing dazu. Mund-Nasen-Schutz, Hygiene und Abstand sind Standard. Und dennoch seien Besuche für die Bewohner im Rahmen der Möglichkeiten sehr wichtig, schließlich sei dies auch eine Frage des seelischen Gleichgewichts. Aber das müsse jeden Tag neu abgewogen werden.
»Chanukka wird in diesem Jahr jedoch vollkommen anders als in den Jahren zuvor aussehen. Was und ob wir etwas machen können sowie die konkrete Umsetzung kann aufgrund der gegebenen Umstände nur kurzfristig entschieden werden«, sagt Helbsing.
Hilfreich bei der Umsetzung von Schutzmaßnahmen während der Corona-Pandemie ist der regelmäßige Austausch mit den Kollegen anderer Einrichtungen und die Hilfe der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Aron Schuster, Direktor der ZWST, gibt das Kompliment an die Leiter der vollstationären Einrichtungen zurück. »Es ist eine Mammutaufgabe, die sie leisten«, sagt er anerkennend. »Ich habe höchsten Respekt vor ihrer Arbeit. Sie müssen sich täglich auf neue Verordnungen einstellen, diese innerhalb kürzester Zeit umsetzen und währenddessen den regulären Betrieb sicherstellen. Die Mitarbeitenden sind am äußersten Limit«, weiß Schuster.
Die Mitarbeiter in den Heimen sind am äußersten Limit, sagt Aron Schuster.
Die ZWST konnte vor allem mit ersten Maßnahmen helfen, Atemschutzmasken, CO2-Messgeräte und Desinfektionsmittel besorgen. Am Anfang sei der Bedarf groß gewesen, und man habe die Anfragen bündeln können, erzählt Schuster. Jetzt tausche man sich regelmäßig per »Zoom« aus. »In diesem Jahr haben bereits 17 Netzwerktreffen stattgefunden«, resümiert er. Wichtig war es, eine Plattform zu schaffen, um über Besuchsregelungen zu sprechen, zu fragen, wie mit Mitarbeitern der Einrichtungen zu verfahren sei, die aus dem Urlaub zurückkommen, oder mit der neuen Testverordnung. »Es gibt nach wie vor große regionale Unterschiede«, erklärt Schuster und ergänzt: »Und die Politik neigt dazu, zu viel Verantwortung auf die Leitungen der vollstationären Einrichtungen abzuwälzen.«
Vernetzung Ein Leiter einer solchen Einrichtung ist auch Bert Römgens, Geschäftsführer der Maimonides gGmbH, die das Nelly-Sachs-Haus in Düsseldorf betreibt. Römgens vertritt die jüdischen Seniorenheime bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW). Hier kann er auf kurzem Dienstweg die Bedürfnisse der jüdischen Einrichtungen vertreten und Informationen zurück an die Kollegen leiten.
Für das eigene Haus gelten selbstverständlich die AHA-Regeln, der Mindestabstand sollte zwei Meter betragen. Wichtig ist ihm, die Mitarbeiter für das eigene Verhalten in ihren privaten Netzwerken zu sensibilisieren. Außerdem führt er regelmäßig Mitarbeitergespräche durch: »Jeder trägt Verantwortung, wir bekommen das nur gemeinsam hin.« Zudem konnte das Stellenkontingent für den sozialen Dienst aufgestockt werden. Das Heim habe zwei CO2-Messgeräte angeschafft, und es gibt ein ausgeklügeltes Lüftungsmanagement, berichtet Römgens.
»Die Lage ist schwierig, aber wir haben ein hohes Verständnis von den Bewohnern«, sagt Bert Römgens, Geschäftsführer der Maimonides gGmbH, die das Nelly-Sachs-Haus in Düsseldorf betreibt.
Selbstverständlich sollen den Senioren nach wie vor Angebote gemacht werden, dies geschieht aber nur in kleinen Gruppen. »Die Lage ist schwierig, aber wir haben ein hohes Verständnis von den Bewohnern, den Mitarbeitern und im familiären Kontext, das funktioniert wunderbar«, sagt Römgens. Die Mitarbeiter des Sozialen Dienstes haben ihre Angebote äußerst kreativ an Corona angepasst. »In diesem Jahr zünden leider keine Gäste die Kerzen der Chanukkia, sondern wir bleiben unter uns«, berichtet Römgens. Somit werde Chanukka »im wahrsten Sinne des Wortes ein Familienfest im Elternheim mit Bewohnern und Mitarbeitern«.
Notfälle Sich auf feste Strukturen verlassen zu können, ist auch für Rabbiner Andrew Steiman das A und O. Er ist mit Leib und Seele Rabbiner und Seelsorger. Wenn es einen Notfall gibt, ist er schnell zur Stelle, auch wenn sich dann seine kleine Tochter beschwert, sie brauche ihn auch. »Die Große erklärt dann ihrer Schwester, warum es jetzt aber wichtig ist, dass der Aba ins Budge-Heim geht«, erzählt Steiman.
Er selbst hat schon drei Herzinfarkte hinter sich und zählt mit 62 Jahren zur Risikogruppe. In dieser Zeit sind auch andere Dinge wichtig geworden. Steiman weiß: Es sind Humor und das Gefühl, gebraucht zu werden. Für die Pflegekräfte aber wünscht er sich mehr Anerkennung. »Am Anfang von Corona wurde applaudiert. Das gab es schon lange nicht mehr.« Inzwischen werde die Arbeit als Selbstverständlichkeit hingenommen, sagt Steiman, »und es gibt nicht einmal mehr Applaus«.
Zu Chanukka sei vorgesehen, vor den Fenstern und Balkonen der Senioren jeden Abend eine Vorstellung mit Lichtinstallation zu geben. Nach Brauch des Hauses wurde auch schon das zweite Adventslicht mit dem Schamasch des großen Chanukkaleuchters entzündet. Denn Advent wäre ja nicht möglich ohne den Sieg der Makkabäer und den Fortbestand des Judentums in vorchristlicher Zeit. Und schließlich: Im Budge-Heim leben Christen und Juden zusammen.