Die Täter schlugen in der Nacht vom 21. auf den 22. Januar zu: Mit zwei Stolpersteinen, die an deportierte Juden erinnern, zertrümmerten sie Scheiben des Rathauses im südhessischen Seeheim-Jungenheim. Die verwendeten Steine waren zwei Monate zuvor im 20 Kilometer entfernten Gräfenhausen gestohlen worden. Am 8. November 2013 hatten Unbekannte schon einmal Scheiben des Rathauses zerstört. Die damaligen Stolpersteine waren ein Jahr zuvor in Griesheim gestohlen worden.
Die Zeitpunkte waren beide Male offenbar bewusst gewählt. Die Angriffe im November fanden unmittelbar vor dem Gedenken an die Pogromnacht statt. Außerdem wurde damals im Rathaus eine Ausstellung über Rechtsextremismus gezeigt. Die jüngste Tat ereignete sich kurz vor dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, und die Gemeinde hatte am Tag davor in einer Pressemeldung auf die im Rathaus stattfindende Ausstellung »Alltag jüdischer Kinder während des Holocaust« hingewiesen. »Die Wahl des Zeitpunkts für diese verabscheuungswürdige Tat ist kein Zufall«, meinte dann auch Bürgermeister Olaf Kühn (parteilos).
Tathergang Als im April 2013 Stolpersteine in Seeheim verlegt wurden, gab es Schmierereien vor dem Rathaus: »Steine der Lüge« hatte damals jemand auf die Straße gesprüht. Tatzeitpunkt und -hergang sowie der Umstand, dass die Stolpersteine über viele Monate aufbewahrt wurden, deuten auf Täter hin, die ihre Angriffe von langer Hand geplant haben. »Klar ist, dass es sich um keinen einfachen Steinwurf handelt«, meint auch Ferdinand Derigs, Sprecher des Polizeipräsidiums Südhessen. Er betont, dass die Ermittlungsbehörden bemüht seien, die Tat aufzuklären.
Auch von den Tätern, die im Mai 2013 ein Denkmal für die deportierten Juden, Sinti und Roma am ehemaligen Güterbahnhof in Darmstadt stark beschädigten, fehlt bislang jede Spur. Das enttäuscht Daniel Neumann, Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde Darmstadt. »Die Ermittlungsbehörden haben sich bisher noch nicht mit Ruhm bekleckert, weshalb wir stets fordern, dass derartigen Straftaten die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wird und sie nicht als ›Dumme-Jungen-Streiche‹ abgetan werden.«
Als positiv empfindet er allerdings, dass die jüdische Gemeinde mit diesem Problem nicht alleingelassen wird. »Die Häufung der Vorfälle erhält zivilgesellschaftliche Aufmerksamkeit«, sagt Neumann. »Die Gründung eines ›Bündnisses gegen Rechts‹ im Landkreis Darmstadt-Dieburg und das geplante ›Aktionsbündnis gegen Rechts‹ in Groß-Gerau zeigen, dass diese Einschätzung in der Bürgergesellschaft geteilt wird.« Die Gemeinde Seeheim-Jungenheim werde weiterhin aktiv an die Geschichte erinnern, betont Bürgermeister Kühn: »Wir lassen uns nicht einschüchtern.«