Im Ariowitsch-Haus ist derzeit viel los, denn die Buchmesse, die an diesem Donnerstag beginnt, wird auch im Leipziger jüdischen Kulturzentrum stattfinden. Mit der Reihe »›Leipzig liest‹ 2025 – Jüdische Lebenswelten« und dem Themenabend »1965 bis 2025: Deutschland – Israel«, bei dem auch der israelische Autor Assaf Gavron sein neues Buch Everybody Be Cool im Großen Saal des Kulturzentrums vorstellen wird. Der Literaturwissenschaftler Thomas Sparr liest aus Grunewald im Orient. Das deutsch-jüdische Jerusalem. An der Bibliothek der Israelitischen Religionsgemeinde (IRG) werden Besucherinnen und Besucher des Ariowitsch-Hauses sicherlich auch vorbeigehen. Für eine Ausleihe ist die Bibliothek allerdings abends nicht geöffnet.
Bücher ausleihen kann man auch in der Kultusgemeinde Bielefeld. Wenn Irith Michelsohn die Synagoge betritt, kommt sie im oberen Foyer erst einmal an Regalen vorbei, in denen Bücher eng aneinandergedrückt stehen. »Unsere Bibliothek ist derart gewachsen, dass der eigentliche Raum schon lange nicht mehr ausreicht«, sagt die Gemeindevorsitzende. Da der Platz nicht unbegrenzt ist, stehen in manchen Regalen die Bände mittlerweile zweireihig. »Die Bestände sind alle digital erfasst, sodass wir jedes Exemplar immer wiederfinden«, meint sie – auch wenn die Bücher in der hinteren Reihe fürs Auge verdeckt sind.
Mehr als 5000 Bände laden zum Lesen ein
Mehr als 5000 Bände laden zum Lesen ein. Früher waren es nur etwa 500 bis 600. Doch nach dem Umzug in das neue Gemeindehaus 2008 wurde die Sammlung immer größer. Und jüngst kamen 140 Umzugskisten vollgepackt mit Büchern an. Es ist die Bibliothek von Rabbiner Henry G. Brandt sel. A., die er nach seinem Tod der Bielefelder Gemeinde hinterlassen hatte. Jahrelang hat er dort amtiert und fühlte sich der Gemeinde so verbunden, dass neben den Büchern auch sein Flügel dorthin kam. »Uns erreichen häufig Spenden«, sagt Gemeindechefin Michelsohn. Doppelt vorhandene Werke werden an die Gemeinde HaKochaw in Unna weitergegeben.
Genutzt wird die Bibliothek von den Gemeindemitgliedern, vielen nichtjüdischen Freunden und Bekannten der Gemeinde oder Schülern und Israelis, die in einer nahen Fachklinik behandelt werden. »Wir werden gut frequentiert, auch unsere Geflüchteten aus der Ukraine lesen gern, denn bei uns findet man russische, deutsche und hebräische Literatur.«
Nur Werke mit jüdischem Bezug werden aufgenommen, darunter judaistische Fachliteratur und Nachschlagewerke. Belletristik von jüdischen Autoren ebenfalls. Lena Gorelik, Dmitrij Kapitelman, Sara Klatt und Wladimir Kaminer sind beispielsweise dabei.
Jüngst kamen Graphic Novels dazu. Selbst ein Angebot für Kinder gibt es dank der Zentralratsprogramme PJ Library und Mischpacha. Wenn jemand auf der Suche nach einem speziellen Werk ist, hilft ein Blick in den Computer. »Ilana Zotova, Mitarbeiterin der Gemeinde, katalogisiert alles, so finde ich beispielsweise eine Biografie über Leo Baeck in Sekunden«, lobt Michelsohn.
Lena Gorelik, Sara Klatt, Dmitrij Kapitelman und Wladimir Kaminer – sie sind alle vertreten.
Zweimal in der Woche ist die Bibliothek, die überwiegend von einer Gemeindeangestellten betreut wird, geöffnet. Wenn ein älteres Gemeindemitglied anruft und sich ein Buch wünscht, dann »bringen wir es ihm auch gerne vorbei. Wir machen fast alles für unsere Senioren«, sagt Irith Michelsohn.
Kürzlich hat die Kultusgemeinde das Tischgebet »Birkat haMason« auf Deutsch, Russisch und Hebräisch herausgebracht. »Das dürfen sie behalten.« Ihre eigenen Bücher dagegen gibt sie nur ungern weiter. Derzeit vertieft sich Michelsohn in Schaut, wie wir tanzen von Leïla Slimani.
Zu fünft sortieren sie an diesem Sonntag einige Werke aus
Behutsam nimmt Christopher Willing ein Buch nach dem anderen aus dem Regal und befreit es vom Staub. »Vor allem die, die im offenen Regal stehen, haben es nötig«, sagt das Gemeindemitglied von Emet weSchalom aus dem nordhessischen Felsberg. Zu fünft sortieren sie an diesem Sonntag einige Werke aus, andere bekommen einen neuen Platz. Denn die Bibliothek hat neue Regale und Schränke bekommen.
Es findet ein Aktionstag in der Synagoge statt. Rund 5000 Bücher umfasst die Bibliothek mittlerweile, die ehrenamtlich betreut wird. »Solche Aktionstage sind wichtig, da sie uns ermöglichen, konzentriert an einem Thema zu arbeiten«, sagt Sarah-Elisa Krasnov, Gemeindevorsitzende von Emet weSchalom. Und diesmal sind die Bücher dran. 2022 konnte die Gemeinde, die 1995 in Kassel gegründet wurde, in die sanierte Synagoge der Kleinstadt in Nordhessen einziehen. Für die Vorstandsmitglieder war und ist es ein Anliegen, eine schöne, einladende Bibliothek einzurichten.
Bereits seit 2005 wachse die Benjamin-Bahr-Bibliothek beständig, so Krasnov. Die Präsenzbibliothek ist mit mehreren Leseplätzen ausgestattet.
»Wir haben leider nicht die Möglichkeit, Bücher zu verleihen, denn für so ein Angebot bräuchten wir hauptamtliche Mitarbeiter, über die wir nicht verfügen«, sagt Sarah-Elisa Krasnov. Aber jeder kann zu den Öffnungszeiten kommen, sich an einen Leseplatz setzen oder es sich mit einem Buch in der Sofaecke gemütlich machen.
Jüdinnen und Juden steht ein breites Spektrum an Büchern zur Verfügung
Sarah-Elisa Krasnov liest gern Kindern und Erwachsenen vor. »Das kommt immer gut an.« Während der Gottesdienste mögen es die Kinder, in den Büchern der PJ Library zu blättern. Die Bibliothek soll eine jüdische Bildungsstätte im Hier und Jetzt und für die Zukunft werden und sei weit mehr als eine Büchersammlung. »Unser Ziel ist es, ein Lernort für jüdische und nichtjüdische Menschen zu sein, die sich zu jüdischen Themen weiterbilden möchten.«
Jüdinnen und Juden stehe ein breites Spektrum an Büchern zur Verfügung, um ihre jüdische und religiöse Identität zu stärken. Die meisten Bücher sind deutschsprachig, aber auch viel Hebräisch und Englisch ist auf den Buchrücken zu erkennen. Es gebe einen Sprachenbereich, der Hebräisch und Jiddisch umfasst, eine Kinder- und Jugendbibliothek mit vielen Büchern aus der PJ Library sowie Werke zum Thema jüdische Regionalgeschichte, Geschichte des Volkes Israel, Geschichte des Staates Israel und natürlich religiöse Literatur.
Jeder kann es sich zu den Öffnungszeiten mit einem Buch in der Sofaecke gemütlich machen.
Wenn ein Gemeindemitglied von einem spannenden Buch erfährt, wird es bestellt – sofern es das Budget erlaubt. Buchspenden hat die Gemeinde ebenfalls reichlich erhalten. »Die müssen dann aufbereitet werden.« Aber nicht jedes Buch ist noch aktuell. So kann es auch vorkommen, dass man einige wegen des limitierten Platzes weitergibt und anderen Bibliotheken zur Verfügung stellt. »Unsere ist dank vieler Spender so umfangreich geworden. Für die Anschaffung von Bibliotheksschränken haben wir eine besonders großzügige Spende erhalten.«
Auf dem Tisch im Büro von Aron Russ liegt der Pentateuch – ausgeliehen aus der gemeindeeigenen Bibliothek natürlich. Ab und an geht auch der Verwaltungsleiter der Jüdischen Gemeinde Dessau-Roßlau eben gern mal in die Bibliothek. Mit 40 Quadratmetern ist sie klein, aber mit circa 8000 Büchern recht fein. »Unser Bestand erstreckt sich vom Liebesroman bis hin zu historischen Schriften, religiösen Schriften, Belletristik, Poesie, Sachbüchern. Der überwiegende Anteil der Bücher ist auf Russisch, aber etwa ein Sechstel ist auf Deutsch.«
Mit 40 Quadratmetern ist sie klein, aber mit circa 8000 Büchern recht fein
Für eine vergleichsweise kleine Gemeinde sei das schon eine der größeren Bibliotheken, betont Russ. Um die 8000 Bücher auch richtig gut unterzubringen, habe man die Regale extra bis unter die Decke gebaut – »und es passt trotzdem nicht alles hinein«.
Die Bibliothek steht in der Gemeinde selbst, aber religiöse Bücher, die für den Gottesdienst gebraucht werden, die, erzählt Russ, sind in der Synagoge, die nur wenige Minuten vom Gemeindehaus entfernt ist. Die Weill-Synagoge, entworfen von dem Frankfurter Architekten Alfred Jacoby, eröffnet 2023, ist dafür der beste Ort.
Im Zuge des Synagogenneubaus wurde damals auch ein Teil des Gemeindehauses saniert, und spätestens da kam die Bibliothek an ihre Grenzen, denn Tausende Bücher sehen zwar schön aus, aber sie haben auch Gewicht. Die Decke des 1889 erbauten Hauses unter der Bibliothek hatte große Statikprobleme, »also musste noch ein Träger eingezogen werden. Denn es sind ja einige Tonnen, die dann auf so einen Raum einwirken.« Die Folge: Die Decke wölbte sich. Nun ist aber alles stabilisiert, die Bibliothek ist an drei Tagen die Woche geöffnet und hat – nach Voranmeldung – auch Gäste, die nicht zur Gemeinde gehören.
Was Aron Russ besonders freut, ist die große Spendenbereitschaft. »Eigentlich wollten wir unsere Bibliothek eher verkleinern. Wir hatten um die 6000 Bücher und wollten etwas kleiner werden, aber mittlerweile sind wir bei 8000 Büchern.« Und manchmal befinden sich unter den gespendeten Titeln auch wirkliche Schätze: »Im vergangenen Jahr haben wir eine 16-bändige Encyclopaedia Judaica gespendet bekommen.«
Und die steht in Russ’ Büro – in der Nähe des ausgeliehenen Pentateuch. Das Buch zurückzugeben ist leicht, die Bibliothek ist ja gleich im Haus.