Die Atmosphäre war feierlich und fast ein wenig ehrfürchtig: Am Rande des Gemeindetages beschloss ein neuer jüdischer Studentenverband, die »Jüdische Studierenden Union Deutschland« (JSUD), seine Satzung.
Nachdem die fünf Gründungsmitglieder aus ganz Deutschland auch die letzten Unklarheiten bei strittigen, politisch korrekten Formulierungen ausgeräumt hatten, setzten Benjamin Fischer, Arthur Bondarev, Lionel Reich, Dalia Grinfeld und Mike Delberg am vergangenen Donnerstag der Reihe nach ihre Unterschriften unter das vierseitige Dokument. Danach hielten sie stolz das Schriftstück in die Höhe. Sie gratulierten einander sichtlich erleichtert und mit spontanem Applaus zur Gründung des neuen Verbandes, der künftig als bundesweite Vertretung jüdischer Studierender und junger jüdischer Erwachsener in Deutschland agieren und sich als eigenständige Institution innerhalb des Zentralrats formieren will – mit Sitz in Berlin.
Allen fünf Studentenvertretern ist die Verantwortung bewusst, die damit einhergeht. Genau das ist es auch, was ihnen spürbar unter den Nägeln brennt: der Wunsch, Verantwortung zu übernehmen, sowohl in der Gemeindearbeit als auch auf gesellschaftspolitischer Ebene.
schritt Die Gründung ist ein großer Schritt – und ein längst überfälliger dazu. Denn die bisherige Vertretung, der Bund Jüdischer Studenten in Deutschland (BJSD), existiert de facto nur noch auf dem Papier. So haben schon seit Jahren keine Wahlen stattgefunden. Jüdische Studierende haben damit weder in Deutschland noch europaweit und international offiziell eine Vertretung.
Das will der Gründungsvorstand des JSUD ändern. »Wir brauchen eine demokratisch legitimierte Vertretung – genau die hat bisher gefehlt«, sagt Benjamin Fischer, Präsident der European Union of Jewish Students (EUJS) in Brüssel und nun auch frisch gewählter JSUD-Gründungspräsident. Besonders in seiner Funktion als EUJS-Präsident habe er an diesem Vakuum seit Jahren etwas ändern wollen. Denn der Vorgänger, der BJSD, so Fischer, habe eine lange Tradition in seinen Beiträgen zu politischen Debatten gehabt. Die wolle der neue Verband nun wiederbeleben.
Themen Die Ziele der neu gegründeten Studentenorganisation sind hochgesteckt: Ganz allgemein will man als Interessenvertretung junger jüdischer Erwachsener sowohl nach außen in die Gesellschaft als auch nach innen in die jüdische Gemeinschaft hineinwirken. Konkret umfasst das eine Vielzahl von ehrgeizigen Aufgaben.
So will der Verband unter anderem »jüdisches Bewusstsein und Solidarität unter den Studierenden fördern«, außerdem »jede Form fremdenfeindlicher, religiöser, rassistischer und politischer Diskriminierung, insbesondere von Antisemitismus« bekämpfen sowie nichtjüdische Studenten für jüdische Themen sensibilisieren.
Um diese Ziele zu erreichen, hat sich die JSUD vorgenommen, bisherige, oftmals regional engagierte Studentenaktivitäten unter ihrem Dach zu bündeln. Künftig sollen in Zusammenarbeit mit der Zentralwohlfahrtsstelle (ZWST) regelmäßige Seminare angeboten werden. Außerdem ist geplant, dass Verbandsvertreter auf öffentlichen Veranstaltungen und in sozialen Netzwerken über ihre Aktivitäten informieren und sich bei politischen Diskussionen einbringen – deutschlandweit wie auch international.
idee Mit ehrenamtlichem Engagement in verschiedenen studentischen Initiativen haben alle fünf Gründungsmitglieder Erfahrung: Arthur Bondarev als Gesamtsprecher des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks (ELES), Dalia Grinberg als frühere Präsidentin des jüdischen Studentenverbandes in Heidelberg, Mike Delberg als Repräsentant der Jüdischen Gemeinde zu Berlin sowie als langjähriger Leiter des Jüdischen Studentenzentrums Berlin, und Lionel Reich ist als ELES-Stipendiat ebenfalls Studentenvertreter. Im vergangenen Jahr mündeten dann die Überlegungen in Gespräche mit dem Zentralrat.
»Der Grundgedanke ist: von jungen Leuten für junge Leute«, bringt Benjamin Fischer das Anliegen der JSUD auf den Punkt. So richtet sich der neue Verband in erster Linie an jüdische Studenten zwischen 18 und 35 Jahren. »Wir verstehen uns als progressive, eigenständige, starke Stimme«, betont Fischer. Zudem will der JSUD Anregungen für das Gemeindeleben geben: »Wir wollen jungen Menschen die Möglichkeit bieten, sich aktiv in den Gemeinden einzubringen«, so Fischer.
Unterstützung Dieser Wunsch sei auch eine Reaktion auf die Altersstruktur in den Gemeinden. So will die JSUD junge Leute dazu ermutigen, schon früh Verantwortung zu übernehmen und Gemeindeleben aktiv mitzugestalten – und damit die Zukunft der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland.
Der Zentralrat unterstützt die Gründung ausdrücklich. Zentralratspräsident Josef Schuster erwähnte die fünf Gründer namentlich in seiner Eröffnungsrede zum Gemeindetag. Er freue sich sehr, so Schuster, »dass sie die neue Jüdische Studierenden Union Deutschland gegründet haben«, und hoffe, »dass der Verband den jungen jüdischen Erwachsenen eine neue Stimme verleiht«.
Bei der JSUD ist jeder Jude willkommen – alle Denominationen, alle Ansichten, genderübergreifend. Die JSUD will »anecken, laut sein, sich einmischen in politische Debatten, vor allem aber sichtbar sein«, sagt Mike Delberg. Die neue Plattform solle in ihrem Kern »eine Bewegung in die Gemeinden« hinein sein.
Urwahl »›Ihr müsst Dinge in den Gemeinden verändern – nicht als Konkurrenz, sondern als Input.‹ Das wollen wir jüdischen Studierenden mit auf den Weg geben und ihnen mit unserer Struktur entsprechende Hilfestellung leisten«, stellt Arthur Bondarev klar, der sich selbst in der Gemeinde Konstanz engagiert. »Wir wollen von der älteren Generation lernen, aber eben auch eigene Visionen einbringen, denn irgendwann werden die Älteren die Verantwortung auf uns übertragen«, begründet Mike Delberg den Ansatz.
Im März 2017 soll der Vorstand auf einer Urwahl demokratisch gewählt und auf einer Vollversammlung legitimiert werden. Die ersten strukturellen Wege sind also geebnet. Nun hoffen die fünf Gründer, dass es dann die Mitglieder übernehmen werden, Themen, Ziele und Bedürfnisse weiter zu konkretisieren.