Rottweil

Stiftszelt am Nägelesgraben

Es war ein beeindruckender Anblick am Sonntag in Rottweil. Mitglieder der jüdischen Gemeinde trugen drei Torarollen vom bisherigen provisorischen Betsaal in der Oberen Hauptstraße in die neue Synagoge am Nägelesgraben, an den mittelalterlichen Häusern der historischen Altstadt und dem Münster vorbei – singend und tanzend, mit vielen »Masel Tov«-Rufen, begleitet von einem Akkordeonspieler.

Ein Auftakt für ein großes Fest, denn es wurde nicht nur der Synagogenneubau eingeweiht, sondern auch der neue Rabbiner, Levi Yitschak Hefer (25), in sein Amt eingeführt. Viele nichtjüdische Bürger beteiligten sich an der Zeremonie, auch Oberbürgermeister Ralf Broß, der zur Feier des Tages eine der drei Torarollen auf dem letzten Stück des Weges bis zur Synagoge tragen durfte.

Kosten Für die Israelitische Kultusgemeinde Rottweil/Villingen-Schwenningen mit fast 270 Mitgliedern ist die Einweihung der neuen Synagoge – mehr als 78 Jahre nach der Zerstörung des alten Betsaals im November 1938 durch die Nationalsozialisten – ein Schritt, auf den die Mitglieder lange gewartet haben. Mussten die Beter der 2002 gegründeten Gemeinde anfangs noch nach Stuttgart, Freiburg oder Konstanz fahren, um einen Gottesdienst zu besuchen, steht ihnen nun eine Synagoge samt Mikwe, Senioren- und Jugendtreff zur Verfügung, die kaum Wünsche offen lässt.

Finanziert wurde der etwa vier Millionen Euro teure Neubau größtenteils vom Oberrat der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden. Die Gemeinde beteiligt sich ebenfalls an den Kosten. Die Zahl der Ehrengäste war beachtlich: Gekommen waren unter anderem Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Die Grünen), Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Zentralratspräsident Josef Schuster, seine Stellvertreter Abraham Lehrer und Mark Dainow, Barbara Traub, Präsidiumsmitglied und Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW), Zentralratsgeschäftsführer Daniel Botmann – und natürlich Rami Suliman, Vorsitzender des Oberrats der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden, der mit seiner Stellvertreterin Tatjana Malafy, Geschäftsführerin der Gemeinde in Rottweil, als »Motor« des Synagogenneubaus gilt.

Amtseinführung Der badische Landesrabbiner Moshe Flomenmann brachte die Mesusa am Eingang des Neubaus an. Eine weitere Mesusa ziert jetzt auch die Tür zum eigentlichen Betsaal. In seiner Rede zur Amtseinführung von Levi Yitschak Hefer sagte Flomenmann, der Rabbiner »heirate« eine Gemeinde, sie sei sozusagen seine Familie. Rabbiner Jehuda Puschkin, Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ORD) betonte, der Talmud gebe zwar vor, dass zwei verschiedene Feierlichkeiten nicht vermischt werden dürften. Doch die Synagogeneinweihung und die Amtseinführung des Rabbiners seien zwei Dinge, die nicht voneinander getrennt werden könnten: »Ohne Rabbiner ist eine Synagoge eine Waise!«

Hefer gab zu, sehr aufgeregt zu sein: »Das ist eine große Ehre und Verantwortung für mich.« Er hofft auf aufstrebendes jüdisches Leben in der Stadt und darauf, »dass die Synagoge in ein paar Jahren zu klein sein wird«. Im Beisein seines Vaters wurde dem neuen Rabbiner der weiß-blaue Tallit umgelegt.

Für Rami Suliman war es ebenfalls ein bewegender Moment: »Wir schlagen ein neues Kapitel auf«, betonte der Vorsitzende der IRG Baden. »Wer ein Haus baut, will bleiben. Ja, wir gehören hierher.« So viele Rabbiner in einer Synagoge, das sei eine Seltenheit, so Suliman – gekommen war auch Joel Berger, ehemaliger Landesrabbiner von Württemberg. Suliman begrüßte auch die drei Landräte Wolf-Rüdiger Michel (Rottweil), Stefan Bär (Tuttlingen) und Sven Hinterseh (Schwarzwald-Baar-Kreis).

Reden Anschließend sprach Ministerpräsident Kretschmann. »Sie haben sich von keinen Schwierigkeiten beirren lassen. Die Mühe hat sich gelohnt«, sagte er im Rückblick auf anfängliche Probleme bei der Finanzierung des Neubaus. Das neue Gotteshaus sei ein Ort des Lebens, »das vor 79 Jahren ausgelöscht wurde«. Der jüdische Friedhof Rottweils sei bis 1946 als Schuttablageplatz genutzt worden. »Bei aller Freude: 79 Jahre, das ist ein ganzes Menschenleben!«

Wenn in Teilen der Gesellschaft wieder Judenfeindlichkeit offen propagiert werde, so Kretschmann, müsse widersprochen werden. Er fände es unerträglich, dass im Stuttgarter Landtag ein Antisemit sitze. Dafür gab es spontanen Beifall. »Wir stehen vor und hinter Ihnen!«, versprach der Ministerpräsident der jüdischen Gemeinschaft. Baden-Württemberg sei ein weltoffenes und tolerantes Land.

Zentralratspräsident Schuster sagte: »Was lange währt, wird endlich gut!« Er dankte den Politikern für ihre Unterstützung: »Ohne Sie wäre das nicht möglich gewesen.« Seit 2002 habe sich das jüdische Leben in Rottweil Schritt für Schritt wieder etabliert, was vor allem Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion zu verdanken sei. »Ich bin sicher, dass mit der Synagoge das jüdische Leben stärker wird«, sagte Schuster.

Auch der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder gratulierte der Gemeinde: »Sie beschenken uns mit jüdischem Leben!« Deutschland habe dem Judentum Ruhm und Glanz zu verdanken. Den zunehmenden Antisemitismus »sehen wir mit Sorge, aber wir schweigen nicht, wir reden«.

Faksimile Oberbürgermeister Ralf Broß hatte ein Faksimile des ältesten Dokuments aus dem Rottweiler Stadtarchiv dabei: eine jüdische Handschrift, die wohl aus dem 12. oder 13. Jahrhundert stammt. Mit der neuen Synagoge kehre in die Stadt ein Stück Normalität zurück, so Broß. »Wir sind bereichert worden. Sie sind angekommen im Herzen unserer Stadt.«

Die Vorsitzende der Gemeinde, Elena Logunova, betonte, die neue Synagoge sei nicht nur für Gottesdienste da, sondern auch für andere Veranstaltungen: »Ich würde mich freuen, wenn Menschen unterschiedlicher Konfessionen zu uns kommen.« Die Geschäftsführerin der Gemeinde, Tatjana Malafy, dankte vor allem ihrer Familie für die Unterstützung.

Fast drei Jahre sei man gemeinsam den Weg zum Neubau gegangen, sagte Architekt Christof Birkel. Der einmalige Bau sei eine besonders reizvolle Herausforderung gewesen. Sein Kollege Tobias Thiel betonte, das dem Stiftszelt der Israeliten nachgebildete Gebäude sei mit seinem Gewand aus Naturstein sozusagen tief in die Erde gedrückt: »Unser Stiftszelt soll bleiben!«

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