Josef und Else Oster mit ihrer dreijährigen Tochter Julie – verschleppt aus der Langgasse nach Bonn-Endenich. Walter Eis, Max und Johanna Wolf mit ihren Söhnen Otto und Fritz aus der Polligstraße – interniert in Endenich und abtransportiert ins Konzentrationslager. Im Februar 1942 endete die jahrhundertealte jüdische Geschichte der rheinischen Kleinstadt Rheinbach mit der Verschleppung der letzten 34 verbliebenen Juden. Sie kamen zuerst in das von den Nazis zwangsgeräumte Benediktinerinnen-Kloster »Maria Hilf« in Bonn-Endenich und danach in die Lager Minsk, Lodz, Riga und Theresienstadt.
Die Stadt Rheinbach, 27 Kilometer vor den Toren Bonns gelegen, gedenkt der jüdischen Opfer der Nazizeit an mehreren Stellen: durch den Erhalt des jüdischen Friedhofs, durch ein Mahnmal am Standort der ehemaligen Synagoge und eines im Lichthof des Rathauses, mit Gedenkveranstaltungen zur Pogromnacht am 9. November 1938 und dem Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar.
Letzte Wohnstätten Doch seit fünf Jahren wird in der Bürgerschaft der Stadt um eine weitere Form des Erinnerns heftig gerungen: Es geht um die sogenannten Stolpersteine mit den eingravierten Namen und Lebensdaten der Opfer, die der Kölner Künstler Gunter Demnig in ganz Europa auf den Bürgersteigen vor den letzten Wohnstätten verschleppter und ermordeter Juden verlegt.
Der Streit entzündet sich vor allem an den Fragen, ob es den heutigen Besitzern der Häuser zugemutet werden kann, mit den Mahnmalen vor der Türe zu leben und ob man der Stadtgeschichte gerecht wird, wenn sich historisches Gedenken auf düstere Epochen fokussiert.
Die Befürworter halten die Stolpersteine für eine angemessene Form des Gedenkens an den Holocaust und meinen, dass den Eigentümern keinerlei Einspruchsrecht zukomme, weil die Steine im öffentlichen Raum verlegt werden sollen. Die Finanzierung hingegen ist längst geregelt, denn Paten und Spender aus der Bürgerschaft wollen für die rund 34.000 Euro aufkommen.
Bereits 2008 stellte Bündnis 90/Die Grünen den Antrag, Demnig mit der Verlegung zu beauftragen. Der Stadtrat lehnte mehrheitlich ab. Im Herbst 2011 unternahmen die Befürworter einen neuen Anlauf und befassten die städtischen Gremien erneut mit dem Vorhaben.
Initiative Den entscheidenden Schub bekam es aber erst durch die Gründung einer Initiative »Rheinbacher Bürgerinnen und Bürger für Stolpersteine« im Mai 2012, bei der auch viele Gymnasiasten aus der Stadt mitmachten. Dieses Engagement der jungen Leute beeindruckte Bürgermeister Stefan Raetz (CDU) und auch die FDP, die im Stadtrat ein Mehrheitsbündnis mit der CDU unterhält. Unter der Voraussetzung, dass die Eigentümer zustimmten, sei man einverstanden.
Mehr als 1200 Unterschriften untermauerten das Begehren der Bürger, die mit Spannung eine Entscheidung des städtischen Kulturausschusses Ende Januar erwarteten, die dann jedoch mit einem Eklat endete: Ohne der Initiative Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben, beschlossen CDU und FDP, zunächst die betroffenen Hauseigentümer befragen zu lassen.
SPD, Grüne und eine Reihe von Zuschauern nannten die Vertagung »rücksichtslos und arrogant« und verließen die Sitzung unter Protest. In einem offenen Brief zu dem Vorgang machte die Initiative ihrer Wut Luft: »So viel Arroganz den Bürgern gegenüber hatte niemand einem örtlichen Politiker zugetraut.«
Abscheu Zuletzt spitzte sich die Kontroverse derart zu, dass sich Gegner der Aktion, die vornehmlich in den Reihen der örtlichen CDU zu finden sind, als »antisemitisch« bezeichnen lassen mussten. Die Ratsfraktion sah sich genötigt, öffentlich klarzustellen, »dass auch diejenigen, die eine kritische Haltung zur Verlegung von Stolpersteinen haben, sich in ihrer Abscheu über das verbrecherische Nazi-Regime und dessen Gräueltaten nicht von denen unterscheiden, die Stolpersteine befürworten«.
Gerade in der Erinnerung an die damaligen Ereignisse sei psychologischer Meinungsdruck unerträglich. In der Frage nach einer würdigen Form der Erinnerung und Mahnung geht es laut CDU nicht um das »Ob«, sondern allein um das »Wie«. Die Argumente, die bereits im vergangenen Jahr auf Vorschlag der Verwaltung über Parteigrenzen hinweg die Grundlage für die Ablehnung des Antrags von Bündnis 90/ Die Grünen zur Verlegung der Stolpersteinen bildeten, hätten weiter Bestand.
Befragung Bürgermeister Stefan Raetz räumte in der vergangenen Woche ein: »Die Behandlung des Themas im Ausschuss für Standortförderung und Kultur ist so richtig in die Hose gegangen, das war keine Sternstunde unserer Diskussionskultur.« Eventuell sei eine Sondersitzung des zuständigen Ausschusses angebracht. »Wir sollten die Sache jedenfalls nicht auf die lange Bank schieben«, machte der Bürgermeister deutlich. Die Befragung der Eigentümer der betreffenden Immobilien werde es auf jeden Fall geben.
Inzwischen hat die Bürgerinitiative recherchiert, dass es zumindest für eine Rheinbacherin bereits einen Stolperstein gibt. Er liegt in Neuss am Rhein. Dora Geisel wurde am 4. Mai 1891 in Rheinbach geboren und 1941 deportiert. Sie starb als Dora Stein in Lodz.