Jeden Tag steigen die Flüchtlingszahlen. »Wir müssen jetzt etwas unternehmen«, sagten sich Amnon Seelig und seine Frau Nathalie Siebert, als sie wieder einmal die Tagesschau sahen. In Berlin war zwischenzeitlich die Not so groß, dass unklar war, wo sie alle unterkommen sollten. Zur gleichen Zeit wurden die beiden Musiker in einer Facebook-Gruppe zu einer Aktion eingeladen, Flüchtlingen zu helfen.
Die Eltern von zwei kleinen Kindern reagierten sofort, sortierten Plüschtiere und Spielsachen aus, fragten nach, was am meisten gebraucht wird, und suchten Decken und Kissen zusammen, kauften Wasser, Windeln und Kindernahrung ein. Mit ihren zwei Kindern und den Sachen machten sie sich auf den Weg zum Flüchtlingsheim im Wedding.
Privatinitiative »Dort empfingen uns Freiwillige, die alles annahmen und schließlich verteilten«, erzählt Seelig. Überwiegend Afrikaner und Syrer waren gerade untergebracht. »Wir würden gerne wieder helfen, aber diese Facebook-Gruppe gibt es leider nicht mehr«, bedauert der Musiker, der Mitglied des Ensembles »Die drei Kantoren« ist.
Anja Olejnik erinnert sich noch sehr gut an den Mitzvah Day vor zwei Jahren. Damals war sie mit von der Partie, als Beter der Oranienburger Straße und Angehörige des Bambinim-Familienclubs ein Spielzimmer im Hellersdorfer Flüchtlingsheim einrichteten. »Die Heimleitung äußerte sich positiv.« Vor allem kam es gut an, dass diese Truppe Zeit mitbrachte.
Denn Kisten mit Spiel- und Bastelsachen hätte es im Keller genügend gegeben, doch es sei niemand im Heim gewesen, der Zeit genug hatte, sie auszupacken oder sich gar länger einmal mit den Flüchtlingen zu beschäftigen und sich mit ihnen zu unterhalten. »Vor allem die Kinder haben sich gefreut, dass wir mit ihnen etwas gemeinsam unternehmen konnten.« Es bedeute viel. Für den kommenden Mitzvah Day im November sei eine ähnliche Aktion geplant. Auf jeden Fall soll es wieder in ein Asylbewerberheim gehen.
Auch die Kinder des Feriencamps von Chabad Lubawitsch in Berlin verbrachten Zeit mit den Flüchtlingskindern. Mehrmals seien die Älteren zu einem Aufnahmelager gefahren, um dort andere Kinder zu treffen. »Sie haben miteinander gesprochen und gespielt«, erzählt Rabbiner Yehuda Teichtal. Umgangssprache sei übrigens Englisch gewesen. Und die Jungen hätten sich eh gleich den Fußball geschnappt und gespielt – das gehe auch ohne Worte, sagte der Rabbi.
Um Flüchtlingen Grundkenntnisse in Deutsch zu vermitteln, kümmerte sich die Jüdische Gemeinde Cottbus. Für die in der Stadt Untergebrachten stellte sie einen Antrag bei der Aktion Mensch auf Unterstützung bei Deutschkursen. Sie sollen allen Flüchtlingen zugutekommen, erklärt Max Solomonik, Mitglied des Vorstandes.
Steve Landau, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde in Wiesbaden, hat soeben Fotos von 200 Stühlen gemacht und versendet. »Die werden nun wahrscheinlich zur Möblierung in ein Flüchtlingsheim nach Frankfurt gehen«, sagt er. In der eigenen Gemeinde werde gerade ein Raum neu bestuhlt – die alten noch brauchbaren, die sogar stapelbar seien, könnten gut weitergenutzt werden und erfüllten auf diese Weise sogar noch einen guten Zweck.
Außerdem kümmerten sich die Gemeindemitarbeiter um drei Familien, die vor den kriegerischen Auseinandersetzungen aus der Ukraine geflohen und derzeit in Wiesbaden untergebracht sind, sagte Landau. »Das Flüchtlingsheim ist voll, auch deshalb bemühen wir uns, die Menschen dort so schnell wie möglich herauszuholen.«
Migrationsberatung Mit der Migrationsberatung für Erwachsene sei auch die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden (ZWST) direkt beschäftigt, sagt ihre Pressesprecherin Heike von Bassewitz. Flüchtlinge suchen auch in diesen Beratungsstellen Unterstützung. »Bedingt durch die von uns bereitgehaltenen Sprachkenntnisse, kann vorwiegend nur in deutscher, russischer und englischer Sprache beraten werden. Ein Teil der Flüchtlinge aus Syrien hat in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion studiert und spricht Russisch.« Hier gebe es bereits Beratungen durch Mitarbeiterinnen der ZWST, immerhin mehr als 25 Syrer haben in der Vergangenheit das Angebot genutzt.
Ilana Katz, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Kassel, weiß, dass auch in Hessen einige Familien Kleidung, Wäsche und Spielsachen gesammelt haben. Und sie möchte vor den nächsten Gottesdiensten die Beter fragen, ob sie sich engagieren wollen. »Aber unsere Gemeinde ist eher alt, da ist es dann schwieriger«, meint Katz.
»Als die Not auf Lampedusa groß war, da haben wir Spenden gesammelt«, erzählt Xenia Fuchs, Leiterin des Jugendzentrums in Hamburg. Aktuell sei nichts geplant, da derzeit noch viele Familien und Gemeindemitglieder verreist sind. Aber in den nächsten Wochen wollen sie das Thema zur Sprache bringen. »Es ist eine schöne Idee, den Flüchtlingen zu helfen«, sagt auch Anton Tsirin, Leiter des Jugendzentrums in Köln. Er will jedoch schauen, wie viele Jugendliche sich dafür begeistern lassen.
Auch mit wenigen Leuten könne man viel erreichen. Diese Erfahrung hat Alexandra Khariakova von der Jüdischen Gemeinde in Unna gemacht. Zum Mitzvah Day 2014 war sie mit einigen wenigen anderen in ein Flüchtlingsheim gegangen und hatte sich um die Kinder gekümmert, die teilweise traumatisiert waren. Außerdem hatte sie einen Sponsor für Gebäck und Süßigkeiten gefunden. Die Stunden, die die Helfer damals gemeinsam mit den rund 40 Kindern verbracht hatten, waren bei den jugendlichen Flüchtlingen gut angekommen. Vor allem das Fußballspielen.
Nun hat Alexandra Khariakova eine neue Idee: Sie möchte ältere Menschen aus der Gemeinde finden, die regelmäßig ihre Zeit mit den Kindern und Erwachsenen verbringen. Das Flüchtlingsheim liegt genau gegenüber der Jüdischen Gemeinde Unna. Schade sei nur, dass es ein Erstaufnahmelager ist. Bis zu 800 Menschen kommen wöchentlich dort an und werden nach einem kurzen Aufenthalt von dort weitergeschickt.
Ukraine Mit den erwachsenen Flüchtlingen spricht sie Englisch und mit den Kindern verständigt sie sich mit Gesten. »Wir sind selbst als Flüchtlinge vor 20 Jahren aus der Ukraine gekommen, das darf man nicht vergessen«, erinnert sich Khariakova und daran, wir ihr selbst damals geholfen wurde.
Beim ersten bundesweit durchgeführten Mitzvah Day initiierte Esther Graf von der Agentur für Jüdische Kulturvermittlung in Mannheim ein Flüchtlingscafé – was gut angenommen wurde. Immer wieder hörte sie an diesem Nachmittag, dass es an Kleidung fehle. Daraufhin ging sie in die Jüdische Gemeinde Mannheim und startete eine Kleidersammlung.
Sehr bald konnte sie Pullover, Blusen, Hosen und Jacken weitergeben. Seitdem bietet sie zusammen mit der City-Kirche, die die Räume stellt, alle zwei bis drei Monate ein Café an, zu dem überwiegend Syrer kommen. Etwa 30 bis 40 nutzen das Angebot. Außerdem helfen eine Pfarrerin, eine muslimische Kollegin und ein Mitarbeiter der Diakonie mit. »Wir anderen sind nicht ausgebildet, die Flüchtlinge zu betreuen, wir können sie nur willkommen heißen«, sagt Esther Graf. Aber sie kümmert sich auch an diesem Nachmittag darum, Tandempartner zum Deutschlernen oder Interessierte an Sportvereine zu vermitteln.
Vor Kurzem kamen Mitglieder einer Kirchengemeinde zu Besuch, um sich für ein eigenes Café inspirieren zu lassen. »Es ist nicht viel, was wir machen. Aber immerhin unternehmen wir etwas«, sagt Esther Graf. Und das klingt nicht einmal resigniert.