Lange Zeit war es selbst in einer Stadt wie München alles andere als selbstverständlich, dass die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft Interesse an jüdischer Kultur zeigt. Daran, dass das lange beiderseitige Schweigen überwunden werden konnte, hatten die 1987 von Simon Snopkowski initiierten Jüdischen Kulturtage entscheidenden Anteil. Aus bescheidenen Anfängen hat die Veranstaltung sich längst zu einem Fixpunkt im Münchner Event-Kalender entwickelt, der nicht nur inhaltlich wichtige Impulse gibt, sondern auch Prominente aus vielen Bereichen der Stadtgesellschaft anzieht.
Diese Tradition führten Ende 2023 die 37. Jüdischen Kulturtage fort, die zwischen dem 14. November und dem 11. Dezember stattfanden. Judith Epstein, Vorsitzende der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition, hatte erneut ein reichhaltiges Programm zusammengestellt, das Kunst, Musik und Literatur miteinander verband. »Unser Ziel ist es jedes Jahr, die Vielfalt und den Reichtum der jüdischen Kultur und Tradition aufzuzeigen«, fasste Epstein den Gedanken hinter der Planung zusammen. »Das nehmen wir mit in einen großen gesellschaftlichen Austausch, für den wir den Rahmen schaffen.«
Dass dies überzeugend gelang, bewies bereits die erste Veranstaltung im restlos gefüllten Hubert-Burda-Saal des Gemeindezentrums der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Mit der Eröffnung der Ausstellung Zeichnen gegen das Vergessen des Künstlers Manfred Bockelmann, die 100 überdimensionale Kohlezeichnungen von in Auschwitz ermordeten jüdischen Kindern versammelte, wurde zum einen auf die allgemein wachsende Bedeutung einer bedrohten Gedenkkultur hingewiesen. Auf der anderen Seite erhielt das Thema nur wenige Wochen nach dem barbarischen Angriff der Hamas auf Israel mit 1200 zivilen Todesopfern neue traurige Aktualität.
»Auf dem Fundament der Kultur muss die Gesellschaft zusammenfinden.«
Judith Epstein
Auch Gastgeberin Charlotte Knobloch nahm in ihrem Grußwort auf diesen Umstand Bezug und unterstrich: Wie sehr das berühmte Wort vom »Nie wieder« »ganz konkret unsere Gegenwart berührt, haben wir am 7. Oktober in aller Grausamkeit erleben müssen«. Die Indifferenz, mit der einige in Deutschland auf das Morden in Israel reagiert hätten, erinnere sie an »dieselbe Kälte und Teilnahmslosigkeit, die in diesem Land nach 1945 auch in der Abwehr des Gedenkens vorherrschte«. Die frisch vereidigte Bayerische Staatsministerin für Unterricht und Kultus, Anna Stolz, lobte die Ausstellung vor diesem Hintergrund als »wertvollen Beitrag gegen das Vergessen und für eine lebendige Erinnerungskultur«, während der Antisemitismusbeauftragte der Staatsregierung, Ludwig Spaenle, zum Einsatz gegen Judenhass in der Gegenwart aufrief.
Eine Feier im eigentlichen Sinne ließen die Umstände nicht zu. Diese wurde aber einige Wochen später beim zentralen Festakt der Kulturtage im Gasteig in Anwesenheit unter anderem der israelischen Generalkonsulin Talya Lador-Fresher, des Bayerischen Staatsministers der Justiz, Georg Eisenreich, sowie des Schirmherren, Oberbürgermeister Dieter Reiter, nachgeholt.
Unter dem Motto »Die Sprache der Musik verbindet« genossen die 250 Gäste unter anderem die Darbietungen des Vokal-Ensembles »Mafteach Soul« und der Zwillinge Melanie und Franziska Überreiter, die das Publikum am Klavier mit israelischen Klassikern und jüdischen Klängen des Broadway auf eine musikalische Reise mitnahmen. Nicht nur IKG-Präsidentin Knobloch, die den Festakt als »deutliches Zeichen der Zugehörigkeit« jüdischer Kultur würdigte, auch Organisatorin Judith Epstein zeigte sich nach der Veranstaltung sehr zufrieden.
Der Auftrag der Jüdischen Kulturtage bleibt auch 2024 derselbe.
»Uns war es wichtig, gemeinsam mit der Münchner Stadtgesellschaft ein starkes Signal der Verbundenheit und gegen Antisemitismus zu setzen. Das ist an diesem Abend voll und ganz gelungen.« Als besonderes Highlight bleibe zudem die Bekanntmachung des Oberbürgermeisters im Gedächtnis, der im Rahmen des Festaktes den städtischen Beschluss einer Unterstützungszahlung in Höhe von einer Million Euro an die israelische Partnerstadt Beer Sheva verkünden konnte.
Abgerundet wurde die Veranstaltungstrilogie eine gute Woche später mit der Lesung aus Erwin Javors Buch Ich bin ein Zebra: Eine jüdische Odyssee. Mit Witz und Charme umreißt der österreichische Unternehmer, Publizist und Herausgeber der Internetplattform »Mena-Watch« darin in Anekdoten den Weg seiner Familie vom »Schtetl« Osteuropas nach Budapest und Wien, von dort nach Tel Aviv und schließlich zurück nach Europa. Dem launigen Stoff zeigte sich der Regisseur Heinz Marecek in seiner Lesung zur Unterhaltung des Publikums mehr als gewachsen.
Alle Sorgen, ob die 37. Jüdischen Kulturtage sich in schwierigem Umfeld würden behaupten können, dürfen somit in der Rückschau ad acta gelegt werden. Mit der würdigen Verbindung von anspruchsvoller Unterhaltung und politisch-gesellschaftlichem Impuls traf das Programm den Ton. Auch Judith Epstein zog eine positive Bilanz – und richtete den Blick bereits auf das kommende Jahr. Der Auftrag bleibe auch 2024 derselbe, so Epstein: »Auf dem Fundament der Kultur muss die Gesellschaft zusammenfinden.«