Nach einer dreistündigen Mitgliederversammlung war es geschafft: Die Union progressiver Juden in Deutschland (UpJ) hatte einen neuen Vorsitzenden. Auf ihrer 23. Jahrestagung wurde Rabbiner Walter Homolka am vergangenen Sonntag in Bonn mit 86 Prozent der Stimmen zum neuen Chef der Liberalen gewählt. »Ich möchte dem liberalen Judentum in Deutschland eine laute und vernehmliche Stimme geben«, betonte Homolka nach seiner Wahl. Sein Ziel sei »eine gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland«. Deshalb habe er sich »sehr über die Grüße vom Präsidenten und den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden gefreut, betonte der Rektor des Abraham Geiger Kollegs.
Als stellvertretende Vorsitzende wurde die Lehrerin Deborah Tal-Rüttger von der Jüdischen Liberalen Gemeinde Region Kassel in ihrem Amt bestätigt. Sie ist weiterhin für Bildungsfragen zuständig.
Weitere Vorstandsmitglieder sind Inna Shames vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein und Alexandra Khariakova vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein. Neu im Vorstand ist der 25-jährige Dan Rattan von der Liberalen Jüdischen Gemeinde Beth Schalom München.
Er rückt für den 68-jährigen pensionierten Berliner Lehrer Benno Simoni nach, der aus Altersgründen ausgeschieden ist. Dan Rattan ist Deutscher und Israeli. »Ich bin ein wirkliches Kind der Münchner Gemeinde, arbeite dort seit Langem als Jugendkoordinator«, beschreibt sich der 25-jährige Student der Staatswissenschaft.
Familien Zur Jahrestagung der 1995 gegründeten Union progressiver Juden waren rund 170 Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet angereist, darunter viele Familien. Die UpJ ist der Zusammenschluss 26 liberaler Gemeinden in Deutschland mit rund 5200 Mitgliedern, hinzu kommen noch drei befreundete Institutionen.
Im Mai kommenden Jahres werde die Jüdische Liberale Gemeinde in Lübeck dazukommen, sagt Inna Shames. »Das ist eine natürliche Kontinuität, wir freuen uns sehr, dass wir wachsen.« Entscheidend für Shames sei die Gleichberechtigung untereinander. Dies sei ein Kernelement des liberalen Judentums.
Deborah Tal-Rüttger ist schon seit mehr als zwei Jahrzehnten dabei. Sie war auch Gründungsmitglied der Jüdischen Liberalen Gemeinde Region Kassel und kommt ins Schwärmen, als sie über das vier Tage dauernde Treffen spricht: »Eine Jahrestagung ist immer eine Art Familientreffen. Wegen der großen Entfernung kann ich die Gemeindemitglieder ja nur selten treffen. Und wenn wir hier sind, ist das ein wirkliches Erlebnis.«
Meist kämen 200 Mitglieder. In diesem Jahr treffe sich ihre Kinderorganisation parallel zu ihrer Tagung im Harz. »Dort sind aktuell 90 Kinder und Jugendliche, mit ihren etwa 25 Begleitern.«
Eröffnet wurde die Tagung am Donnerstag mit einem Grußwort der bisherigen Vorsitzenden Sonja Guentner. Guentner hat noch Vorstandsämter in der European Union for Progressive Judaism (EUPJ) und der World Union for Progressive Judaism (WUPJ) inne, sodass sie ihre Kräfte dort bündeln möchte.
Der Kölner Bundestagsabgeordnete und Grünen-Politiker Volker Beck war als Gast geladen und hielt einen Vortrag zum Thema »Deutschland – Israel. Wie besonders sind unsere besonderen Beziehungen?«. Tal-Rüttger war von Becks Engagement beeindruckt. »Was ich an ihm mag: Volker Beck spricht nicht mit Floskeln. Alle waren sehr angetan von ihm. Und es gab wirklich außergewöhnlich viele Fragen.« Beck wird zum Ende der Legislaturperiode aus dem Bundestag ausscheiden. Auf besorgte Fragen, was nach ihm komme, entgegnete Volker Beck: »Ich bin nicht allein.« Es gebe mehrere engagierte Abgeordnete, die sich für Israel einsetzen.
Das Themenangebot der Tagung war mehr als abwechslungsreich: Die Workshops reichten von Toralesen für Anfänger, jiddischen und hebräischen Liedern zu Chanukka und einem Vortrag zu »Kaschrut – Ausrichtung liberalen Judentums« bis hin zur »wachsenden Sichtbarkeit trans- und intergeschlechtlicher Menschen in jüdischen/religiösen Kontexten«.
Meditation Wissenschaftlich wurde es bei Rabbiner Tom Kucera. Er sprach über Meditation im Judentum aus Sicht der Hirnforschung. Über »israelbezogenen Antisemitismus« referierte Matthias Küntzel, und Günther B. Ginzel sprach über »Luther und die Folgen – Eine jüdische Reflexion«.
Der frisch gewählte UpJ-Vorsitzende Rabbiner Walter Homolka hob in seiner Rede nach der Wahl die 200-jährige Geschichte des liberalen Judentums hervor: Trotz der Schoa gehe es darum, an diese Tradition zu erinnern.
Die Beziehung zum Zentralrat hätte sich nach anfänglichen Verunsicherungen sehr verbessert, betonte Deborah Tal-Rüttger. Es seien viele Freundschaften entstanden. Für Tal-Rüttger sei entscheidend: »Wir sprechen gerade diejenigen Juden an, die niemals zu den Gemeinden des Zentralrats gehen würden.«
Das langjährige Vorstandsmitglied Sonja Guentner ergänzte: Wichtig sei, die institutionellen – und damit vor allem auch finanziellen – Voraussetzungen der Union progressiver Juden zu stärken. Formal hätten sie zwar seit der juristisch durchgesetzten Anerkennung der Körperschaftsrechte den gleichen Status. Der innerjüdische Pluralismus sei aber durchaus noch gestaltungsfähig.