Mit »Willkommen und Abschied« lässt sich die Ratsversammlung in Frankfurt am vergangenen Wochenende wohl am besten betiteln. Dieter Graumann nahm nach fast 20-jähriger Tätigkeit für, im und um das Zentralratspräsidium Abschied. Mit einer gewohnt schmissigen Rede, frei gehalten, eloquent, rührend. Die 82 Delegierten, Direktoriumsmitglieder, Rabbiner, Gäste und das Präsidium zollten ihm stehenden Applaus. Etwas leiser und eher im Hintergrund verabschiedete sich auch Salomon Korn, seit 2003 Vizepräsident.
Willkommen hieß am Ende des Tages das Präsidium zwei neue Mitglieder in seinen Reihen, es sind zwei Frauen. Vera Szackamer aus München und Milena Winter aus Berlin. Das oberste Gremium des Zentralrats habe damit die in den vergangenen Wochen so vehement geforderte »Frauenquote« erfüllt, kommentierte Josef Schuster bei seiner ersten Pressekonferenz als Präsident am späten Nachmittag.
Rechenschaft Doch zuvor wurde Abschied genommen. Nach Graumanns Rechenschaftsbericht, der nicht nur die vergangenen zwölf, sondern 48 Monate umfasste, traten Weggefährten ans Mikrofon, um ihm für seine Arbeit und seinen »unermüdlichen Einsatz« zu danken. »Sieben Tage in der Woche, zwölf Stunden am Tag Einsatz, ich frage mich, wie das die Rabbiner sehen«, sagte Schuster. Außerdem hoffe er, »vielleicht auch mal so viele Adjektive zu kennen und zu benutzen wie Dieter«.
Charlotte Knobloch würdigte Graumanns »Meisterleistung«. Mit der Verdoppelung der finanziellen Ausstattung des Zentralrats durch die Bundesregierung auf zehn Millionen Euro habe Graumann den Zentralrat auf eine zukunftssichernde Basis gestellt, sagte seine Vorgängerin im Amt. Sie mahnte angesichts des vergangenen Sommers, Geschlossenheit zu demonstrieren, da aus dem frischen Wind, der einem entgegenblase, schnell ein eiskalter Sturm werden könne.
Graumann habe jeden mit seinem Engagement, seinem jüdischen Spirit angesteckt, sagte Julian-Chaim Soussan, der nicht nur für die Orthodoxe Rabbiner Konferenz (ORD), sondern auch als Frankfurter Gemeinderabbiner das Grußwort an die Ratsversammlung richtete. »Wenn ein Zaddik einen Ort verlässt, hinterlässt er einen Eindruck«, das sei Graumann außerordentlich gelungen.
»Wir leben in turbulenten Zeiten«, nahm Henry G. Brandt, Sprecher der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK), den Faden auf. In der Beurteilung von Graumanns Arbeit bestehe absolute Einigkeit zwischen ORD und ARK, was ja eher selten sei. Die versammelten Delegierten forderte Brandt auf, ihr Recht wahrzunehmen und nicht »indifferent zu bleiben«, sondern dort konstruktive Kritik zu äußern, wo sie notwendig und angebracht sei. »Sie tragen diese Verantwortung, bitte helfen Sie uns.«
Botschafter Auch Yakov Hadas-Handelsman, der israelische Botschafter in Deutschland, war nach Frankfurt gekommen, um »seinen Freund zu verabschieden«. Er rühmte Graumanns unverbrüchliche Treue zum Staat Israel. Das habe sich in der großen Demonstration am Brandenburger Tor manifestiert. Hadas-Handelsman bemängelte jedoch, dass der Aufruf nicht aus der deutschen Gesellschaft gekommen war, sondern vom Zentralrat initiiert werden musste. »Gegen den Terror der Hamas werden wir mit aller Härte kämpfen«, sagte der Botschafter. »Israel will Frieden, aber einseitig ist das nicht möglich.«
Ebi Lehrer, dankte im Namen der Zentralwohlfahrtsstelle dem scheidenden Präsidenten. »Wir haben in prekären Notsituationen immer Hilfe durch den Zentralrat erfahren. Häufig wurde unser Bitten mit ›ja‹ beantwortet und immer sofort.«
Doch zu diesem Kürprogramm gehörte auch die jährliche Pflichtübung, neben dem Rechenschaftsbericht war dies die Entlastung für das Haushaltsjahr 2013 und der Entwurf für das kommende Jahr, was ohne Probleme geschah.
»Abschied schmerzt immer, auch wenn man sich schon lange darauf gefreut hat«, zitierte Graumann Arthur Schnitzler zu Beginn seiner rund 40-minütigen Rede, gewohnt frei vorgetragen. »Dass es so schwer fällt, habe ich nicht gedacht«, bekannte er. Doch er wolle Mut statt Wehmut zeigen. Und das trotz der nahezu zerplatzten Träume, aus der »Dauermeckerecke herauskommen zu wollen«.
Mit diesem Anspruch war Graumann vor vier Jahren angetreten. Die politischen Ereignisse, das Grass-Gedicht und Jakob Augsteins Aussagen zu Israel, der Iran, das unsensible Verhalten des IOC bei den Olympischen Spielen in London, Ungarns Orbán-Regierung, das NPD-Verbotsverfahren, die Beschneidungsdebatte, der heiße Sommer, »der ein Albtraum war«, beschreiben die Schläge der vergangenen Jahre. »Das zerreißt uns das Herz«, sagte Graumann. Nicht nur der offene Antisemitismus an sich, sondern das empathielose Verhalten der deutschen Bevölkerung. Erst als der Zentralrat Solidarität einforderte, kam diese auch. Umso wichtiger sei die Demonstration am 14. September am Brandenburger Tor gewesen, die er einen »Akt der Selbstvergewisserung« nannte.
Arbeit Doch der Zentralrat habe auch viel leisten können und seine Arbeit dank der zehn Millionen Euro deutlich professionalisiert. Dazu zählt der Ausbau der Bildungs- und Kulturarbeit, der Rabbinerausbildung – und hier begrüßte Graumann ausdrücklich alle »Rabbinerinnen und Rabbiner« –, der Kulturarbeit, der jüdischen NGOs, des Mitzvah Day und des Taglitt Programms. Die Jewrovision sei mittlerweile das größte jüdische Musikereignis in Europa. Höhepunkte der politischen Solidarität waren der Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die 2012 zur Ratsversammlung kam und Stellung zur Beschneidungsdebatte bezog, und 2013 der Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck beim Gemeindetag in Berlin.
Graumann gab seinem Nachfolger aber auch Aufgaben mit auf den Weg. Die wichtigsten: der Kampf gegen die Altersarmut und für die Bildungs- und Jugendarbeit.
Herzlich verabschiedete sich der scheidende Präsident von seinen Kollegen im Präsidium und von seinen Vizepräsidenten, von Salomon Korn nach 19-jähriger politischer Zusammenarbeit – »einer der wichtigsten intellektuellen Köpfe des Zentralrats«. Zu Josef Schuster sei aus einer kollegialen Beziehung eine Freundschaft erwachsen. Der Zentralrat werde bei ihm in den allerbesten Händen liegen, nahm Graumann den Wahlerfolg Schusters schon mal vorweg. Der Würzburger konnte sich kaum gegen seine aufsteigende Rührung wehren. Graumann dankte seiner Referentin Michaela Fuhrmann nicht nur für »vier Jahre herausragende Arbeit«, sondern vor allem für »ihren politischen Instinkt«. Er sagte Dank den Mitarbeitern des Zentralrats, den Gremien und vor allem den vielen ehrenamtlichen Helfern: »Sie sind die wahren Helden des Judentums.«
Die Ergebnisse der Direktoriumswahl zum Zentralratspräsidium nahmen nur noch einige Delegierten engegen, ein großer Teil war bereits abgereist.
Dem neuen Präsidium gehört Heinz-Joachim Aris, Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden, an. Aris feierte in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler arbeitete bis 1991 in verschiedenen Leitungsfunktionen in der Industrie. 20 Jahre lang war er Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Dresden. Im Präsidium war er bislang für die Bildungsabteilung zuständig.
Mark Dainow ist neuer Vizepräsident und kam 1973 nach Deutschland. Er wurde zwei Stunden, bevor Ben Gurion die Staatsgründung Israels verkündete, in Minsk geboren. Er studierte Maschinenbau, arbeitete als Ingenieur in einem Konstruktions-Institut. Nach einem kurzen Aufenthalt in Israel kam die Familie nach Offenbach. Fast 30 Jahre hat Mark Dainow im technischen Entwicklungszentrum von Opel in Rüsselsheim gearbeitet. Der 66-Jährige war bislang Jugenddezernent und gehört dem Präsidium seit 2010 an.
Als Präsidiumsmitglied bestätigt wurde auch der Gemeindevorsitzende aus Leipzig, Küf Kaufmann. Der Schauspieler, Kabarettist und Sänger zieht sich regelmäßig Anfang des Jahres zum Schreiben in wärmere Gefilde zurück. Der im russischen Marx geborene 67-Jährige gehört dem Gremium seit zehn Jahren an.
Abraham Lehrer, zweiter Vizepräsident, ist in jüdischen Kreisen durch seine langjährige Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland gut bekannt. Er wurde 1954 in New York geboren und rückte 2012 für Johann Schwarz aus Krefeld ins Präsidium nach. Er kümmerte sich dort bislang um die Anerkennung von Renten für Zuwanderer. Im Berufsleben ist er Geschäftsführer eines Softwareunternehmens.
Josef Schuster ist durch und durch Würzburger, obwohl er 1954 in Haifa geboren wurde. Er studierte in Würzburg Medizin und betreibt seit 1988 seine eigene internistische Praxis. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Seine Praxis will er nicht aufgeben, da das Präsidentenamt ein Ehrenamt sei und er noch die Brötchen verdienen müsse.
Hanna Sperling vertritt den Landesverband Westfalen-Lippe im Direktorium, das sie erneut ins Präsidium wählte, dem sie seit 2003 angehört. Die Mutter von zwei Kindern leitete bislang das Kulturprogramm des Zentralrats. Sie hat eine fast 30-jährige Erfahrung in der Gemeindearbeit vorzuweisen, zunächst im Vorstand, danach seit 20 Jahren im Landesverband. Kultur ist für sie das Bindeglied zwischen Alteingesessenen und Zuwanderern.
Die gebürtige Wienerin Barbara Traub gehört dem Präsidium seit 2013 an. Die Psychotherapeutin war bislang als Dezernentin für die Gemeinden zuständig. Sie vertritt die IRGW Stuttgart. Um die Zukunft der Gemeinden zu sichern, sei es wichtig, den jüngeren Mitgliedern ein offenes Ohr zu schenken, sagt sie.
Mit Vera Szackamer kehrt ein bekanntes Gesicht ins Präsidium zurück. Die 62-jährige Soziologin war aus den Reihen der Delegierten benannt worden. Die Münchnerin ist verheiratet, Mutter von zwei Kindern und hat lange Jahre eine Paar- und Familientherapeutische Praxis betrieben. Sie nennt Bildung und Soziales als mögliche Aufgabenfelder.
Mit 29 Jahren ist Milena Winter das jüngste Präsidiumsmitglied. Die Anwältin für Bau- und Immobilienrecht lebt in Berlin. Mit ihr ist die vierte Frau in das Exekutivgremium des Zentralrats gewählt worden, in dem somit auch wieder die beiden mitgliederstärksten Gemeinden München und Berlin vertreten sind.