Helle, freundliche Farben, Tage der Freude, »eine Begeisterung, wie man sich das heute gar nicht mehr vorstellen kann«, so erinnert sich Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), an die Olympischen Spiele von 1972 in München – zumindest bis zu jenem 5. September, als die palästinensische Terrororganisation »Schwarzer September« einen Anschlag auf die israelische Mannschaft verübte.
Sie kann sich noch gut an dieses Datum vor nunmehr genau 50 Jahren erinnern, ebenso wie der spätere Münchner Oberbürgermeister Christian Ude und die damalige Goldmedaillengewinnerin im Hochsprung, Ulrike Meyfarth. Alle drei saßen vor Kurzem als Gäste auf dem Podium im Literaturhaus, ebenso wie Roman Deininger und Uwe Ritzer.
Die beiden Journalisten der »Süddeutschen Zeitung« stellten ihr Buch Die Spiele des Jahrhunderts. Olympia 1972, der Terror und das neue Deutschland vor, das »ein umfassendes Spektrum aus Sport, Politik und Geschichte« biete, wie Tanja Graf bei ihrer Begrüßung für den dtv-Verlag und als Leiterin des Literaturhauses betonte. Die Veranstaltung ist der Auftakt zu einem Jubiläumsjahr. Mit einer Zeitreise setzten die Autoren »unsere Stadt in einen weltgeschichtlichen Zusammenhang«.
idee Denn die Geschichte der Olympischen Spiele in München, die vom 26. August bis zum 11. September 1972 stattfanden, beschränkt sich nicht nur auf diese Tage und auf den Austragungsort. Ein entscheidender Termin war der 28. Oktober 1965. Moderator Ulrich Wilhelm, langjähriger Intendant des Bayerischen Rundfunks, bezeichnete die Ereignisse an diesem Tag als eine der Schlüsselszenen: Willi Daume, damals Präsident des Deutschen Sportbundes und des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland (NOK), hatte einen Besuchstermin bei Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel angemeldet.
Dabei eröffnete er ihm seine Idee, München solle sich für die Austragung der Olympischen Spiele bewerben. Kein einfaches Vorhaben für ein Land, das für viele immer noch als Aggressor des Weltkrieges galt. Doch die Bundesrepublik könne mit diesem Fest die Jugend der Welt begrüßen und für eine internationale Aufwertung sorgen, so Daume. Nach kurzer Bedenkzeit sagte Vogel der Bewerbungsidee zu. Am 26. April 1966 vergab das IOC die Spiele an München.
Es sollten heitere Spiele werden. Dieses Konzept ging zunächst auf.
Die städtebaulichen Vorbereitungen liefen auf Hochtouren, das optische Konzept für die Spiele mit dem lichtdurchfluteten Dach des Olympiastadions und den hellen, ansprechenden Farben lieferte den Gegenentwurf zu den strengen Formen 1936 in Berlin. Am 26. August 1972 fand die Eröffnung mit Bundespräsident Gustav Heinemann statt. Und es sollten heitere Spiele werden. Dieses Konzept ging zunächst auf. In der sportinteressierten Familie von Charlotte Knobloch wurde die Faszination durch die Begeisterung der Kinder noch verstärkt. Dieselbe Begeisterung war allgegenwärtig und auch auf den Straßen zu spüren. Es herrschte Freude über das, was in München stattfand.
signal Während Charlotte Knobloch einzelne Wettkämpfe auch im Stadion verfolgte, sah Christian Ude, damals noch Jura-Student und Pressesprecher der SPD-Stadtratsfraktion, dort kein einziges Spiel live: »Unsere studentische Wohngemeinschaft fand es so sensationell, dass man im Farbfernsehen alle Spiele verfolgen konnte. Sie waren so in der ganzen Stadt präsent, in jeder Kneipe.« Mit den Spielen sei gerade durch die junge Generation ein Signal an die ganze Welt gegangen. Mit Blick auf den Titel des präsentierten Buchs nannte Ude die »Jahrhundertspiele« einen »Zenit, von dem es hinterher bergab geht«.
Die Freiheit und Leichtigkeit der Spiele, bei denen die Sportler alle Wettkämpfe miterleben konnten, hob auch Ulrike Meyfarth hervor. Das sei einmalig und bei späteren Spielen in dieser Form nicht mehr möglich gewesen. Sie verbrachte zwar einen großen Teil der Zeit im Allgäuer Trainingslager – die Momente in München genoss die damals 16-jährige Athletin jedoch sehr. Am 4. September gewann sie mit übersprungenen 1,90 Metern die Goldmedaille.
Die angesprochene Freiheit war auch Teil eines nicht öffentlich erkennbaren Sicherheitskonzeptes. Die Polizei war in Zivil und ohne Waffen unterwegs – ein Leichtsinn, der den Terroristen den Anschlag erleichterte. »Man hat geglaubt, was man sich wünscht, wird auch Wirklichkeit bleiben. Deswegen stolperte man derart unvorbereitet und dilettantisch in die Krise«, erklärte Ude. Die Allgegenwärtigkeit des Fernsehens habe den Terroristen zudem stets einen Einblick in die aktuelle Situation ermöglicht.
schock Der Schock über das Attentat auf die israelischen Sportler saß tief. Ein Plan für diesen Fall habe nicht existiert. Dabei, so Uwe Ritzer, habe es im Vorfeld genügend Warnsignale gegeben, die man hätte beachten sollen – wie Anschläge auf jüdische Einrichtungen und Flugzeugentführungen: »Die Gefahr kam nicht aus dem Nichts«, so der Autor.
Die Gefahr kam nicht aus dem Nichts, es habe genügend Warnsignale gegeben.
Die jüdische Gemeinschaft war bestürzt. Charlotte Knobloch sprach von unglaublichem Leichtsinn. Doch neben dem Entsetzen und der Trauer über den Tod der Sportler quälte sie persönlich noch eine andere Sorge: Was war mit ihrer Tochter, die als Hostess bei den Spielen arbeitete? Schließlich gab es damals noch keine Handys.
krisenmanagement Fehlende Kommunikation erwies sich auch mit Blick auf das Krisenmanagement als großes Problem. So bestand keine Funkverbindung zum Militärflughafen nach Fürstenfeldbruck, von wo die Täter und Opfer ausgeflogen werden sollten. Auch Scharfschützen fehlten. Die GSG 9 wurde erst nach der Tragödie aufgebaut. Den erfahrenen Polizeischützen Anton Fliegerbauer rüstete man mit einem Gewehr aus. Er wurde beim Einsatz in Fürstenfeldbruck erschossen.
In den frühen Stunden des 6. September endete die Geiselnahme schließlich mit dem Tod der israelischen Sportler. Fünf der acht Geiselnehmer wurden ebenfalls getötet, die drei überlebenden wurden wenige Wochen später durch eine Flugzeugentführung freigepresst. »Es hat nie einen Untersuchungsausschuss gegeben«, stellte Ritzer fest. »Noch heute sind Akten gesperrt. Ich bin gespannt, was da alles herauskommt.«
proteste Die sportlichen Wettkämpfe liefen zunächst weiter. Erst nach Protesten wurden sie für einen halben Tag ausgesetzt. IOC-Präsident Avery Brundage hatte auf die Fortsetzung der Spiele gedrängt: »The Games must go on!«
Für Ulrike Meyfarth waren die Tage eine emotionale Achterbahnfahrt: »Es ist menschlich, sich immer nur an das Schöne zu erinnern.« Doch bei diesem Attentat sei das anders. Und: »Was ist geblieben von der olympischen Idee?« Diese Frage warfen die Autoren des Buches am Ende des Abends auf. Solle das Jahr 2022 50 Jahre danach ein Jubiläumsjahr, ein Freuden- oder ein Gedenkjahr werden?
Gedenken sei wichtig, hob Charlotte Knobloch hervor und verwies dabei auf das langjährige Engagement des Fürstenfeldbrucker Landrats. Gleichzeitig denke sie aber auch an die Jugend, die sich wünsche, dass auch in Deutschland wieder Olympische Spiele stattfinden können.
Roman Deininger, Uwe Ritzer: »Die Spiele des Jahrhunderts. Olympia 1972, der Terror und das neue Deutschland«. dtv, München 2021, 528 S., 25 €