Großer Andrang war am Dienstag vergangener Woche vor dem jüdischen Zentrum am Jakobsplatz. Menschen aller Altersgruppen kamen – manche im roten Trikot des FC Bayern. Beim Eingang zum Hubert-Burda-Saal stand, dicht umringt, der einstige Nationalspieler und heutige Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München, Karl-Heinz »Kalle« Rummenigge zusammen mit der Hausherrin und Präsidentin Charlotte Knobloch. Letztere erklärte später auf dem Podium, dass auch sie begeisterter Bayern-Fan sei.
Der FC Bayern und seine Juden war das Thema dieses Abends. Auf dem Podium sprachen darüber neben den beiden Genannten der Ehrenpräsident des FC Bayern, Willi O. Hoffmann und Gil Bachrach von Maccabi München sowie der Sportautor Dieter Schulze-Marmeling.
Die Moderation hatte Eberhard Schulz, Ehrenmitglied von Maccabi München, übernommen. Von der Rückwand der Bühne blickte der langjährige Bayernpräsident und Münchner jüdischen Glaubens Kurt Landauer (1884–1961), in einem Schwarz-weißfoto auf das fußballbegeisterte Publikum.
Engagiert Seine Rolle beim Rekordmeister und andere jüdische Akzente bei dem international angesehenen Fußballverein hat Schulze-Marmeling untersucht und unter dem Titel Der FC Bayern und seine Juden zusammengefasst. Denn Kurt Landauer war nicht der einzige engagierte »Bayer« jüdischen Glaubens. Dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder ethnischen Gruppe heute keine Rolle mehr spielt und spielen sollte, wurde beim späteren Podiumsgespräch deutlich. Das gilt für den FC Bayern ebenso wie für Maccabi.
Beide Sportvereine haben Mitglieder und Anhänger aus ganz unterschiedlichen Kulturen und leisten so einen wichtigen Beitrag zum gegenseitigen Verständnis. Bevor das Gespräch auf dem Podium begann, stellte Eberhard Schulz in einen Gespräch Schulze-Marmeling vor und ging auf die historische Rolle von Kurt Landauer ein.
Der Autor las dazu einige Passagen aus seinem neuen Buch. Was den Untertitel Aufstieg und Zerschlagung einer liberalen Fußballkultur anbelangt, stellte Gil Bachrach später auf dem Podium fest, dass dieser wohl treffender »Aufstieg, Zerschlagung und Wiederaufstieg« lauten sollte.
meisterschaft An diesem Aufstieg wie an dem Wiederaufstieg hatte Kurt Landauer erheblichen Anteil. 1932 hatte sich der FC Bayern unter seiner Präsidentschaft beim Endspiel in Nürnberg mit einem 2:0-Sieg über Eintracht Frankfurt zum ersten Mal die Deutsche Meisterschaft erspielt. Landauer war dem FC Bayern bereits 1901 als 17-Jähriger beigetreten – zunächst als Spieler, »übernimmt aber im Laufe der Jahre mehr und mehr administrative Aufgaben«, wie Schulze-Marmeling schreibt.
Das Buch ist keine reine Fußballgeschichte. Der Autor zeichnet rund um den roten Faden des Sports eine Kultur- und Alltagsgeschichte über mehr als ein Jahrhundert. Und das weit über München und den FC Bayern hinaus. Uri Siegel, Rechtsanwalt und über viele Jahre im Vorstand der IKG, ist ein Neffe Kurt Landauers. Siegel gehört zu denjenigen, die die Arbeit Schulze-Marmelings mit Erinnerungen und Fotos unterstützt haben.
Bald nach dem Meisterschaftstriumph trat Landauer als FC Bayern-Präsident zurück – zwei Tage nach dem Rücktritt des Münchner Oberbürgermeisters und Nazi-Gegners Karl Scharnagl am 22. März 1932. Allerdings bleibt Landauer zunächst in München. Nach dem 9. November 1938 wird er ins KZ Dachau deportiert. Er kommt frei und kann sich in der Schweiz in Sicherheit bringen. Nach 1945 kehrt Landauer – ebenso wie Karl Scharnagl – wieder in sein Amt zurück.
Rekordmeister Während seiner erneuten Präsidentschaft bis 1951 legte er wichtige Grundlagen für den heutigen Erfolg des Rekordmeisters. Da war es nicht verwunderlich, dass auf dem Podium auch sein Andenken seitens der Stadt München angesprochen wurde.
Heute trägt eine kleine, abgelegene Straße in der Nähe der Allianz-Arena und fern jeder Bebauung in Nachbarschaft des Klärwerks seinen Namen. Beim Besuch eines Fußballspiels hatte Charlotte Knobloch diesen unbekannten Weg entdeckt – und war entsetzt.
Mit Karl-Heinz Rummenigge ist sie sich einig, dass Kurt Landauer mehr als einen solch abseitigen Weg verdient. Beide können sich zum Beispiel eine Straße in der Nähe des heutigen Trainingsgeländes an der Säbener Straße vorstellen – nicht zuletzt zu diesem Gelände hatte Landauer seinem Verein nach dem Krieg verholfen.
Diesen Einsatz hebt auf dem Podium einer seiner Nachfolger im Präsidentenamt Willi O. Hoffmann hervor. Er selbst war über ein halbes Jahrhundert in verschiedenen Funktionärsbereichen des Fußballvereins engagiert.
Fairness Doch es gibt noch weitere Wünsche und Ziele: Für Gil Bachrach stehen Toleranz und Fairness ganz oben. Jüngst hat er sie mit seiner »Initiative Gegengerade« als Antwort auf beleidigende Aktionen gegen den derzeitigen Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß wieder in den Vordergrund gerückt.
Rummenigge betonte die gesellschaftliche Verpflichtung des FC Bayern und die Verantwortung für die Spieler. Schon Kurt Landauer war es zu Zeiten des Amateurfußballs wichtig, dass gute Spieler auch eine entsprechende Honorierung verdienten. Charlotte Knobloch schließlich wünschte sich eine weiteres gutes Miteinander zwischen dem FC Bayern und Maccabi.
Und dass der FC Bayern weiterhin die Nummer eins in Deutschland bleibt. In dem Freundschaftsspiel mit jüdischen und arabischen Jugendlichen aus Israel mit der Peres-for-Peace-Stiftung habe sich der Teamgeist bestätigt.
Eberhard Schulz fasste abschließend zusammen: »Was mich am FC Bayern begeistert, sind seine sportliche Leistung und seine Weltoffenheit.« Das solle der Weg für die Zukunft bleiben.
Dietrich Schulze-Marmeling: Der FC Bayern und seine Juden. Aufstieg und Zerschlagung einer liberalen Fußballkultur. Göttingen, Die Werkstatt 2011, 272 S., 14,90 €