Er ist anders», sagt der Rostocker Gemeindevorsitzende Juri Rosov über seinen ehemaligen Landesrabbiner William Wolff. Auch der Dokumentarfilm über den kleinen zierlichen Mann, Rabbi Wolff, der am Donnerstagabend im Filmtheater am Friedrichshain in Berlin seine Weltpremiere feierte, ist im strengen akademischen Sinne keine Dokumentation. Zu anekdotisch ist die 90-minütige RBB-Produktion von Britta Wauer, um sie in ein starres Genreformat zu pressen.
Lustvoll springt der Film mit seinem umtriebigen Protagonisten zwischen Szenen, Städten und Ereignissen hin und her. Aus Little Paddock, einem kleinen englischen Landhaus bei London, in die Welt: nach Schwerin, Jerusalem, Amsterdam und Berlin.
Er zeigt – von der Gegenwart zurück in die Vergangenheit gehend – Stationen eines langen erfüllten Lebens. Und so pathetisch sich das anhören mag – dieses Leben ist bis oben angefüllt mit Spaß und folgt damit einer Lebensmaxime des heutigen Rabbiners. Er beendet immer genau dann eine Tätigkeit, wenn sie ihm keinen Spaß mehr bereitet, und macht sich auf die Suche nach etwas Neuem.
ascot Von dieser Lebensfreude – seine Freunde, auch jene, die er durch diesen und den Vorgängerfilm von Britta Wauer Im Himmel, unter der Erde gefunden hat, nennen es Lebenskraft – ist der Film getragen. Er erzählt von einer vorausschauend klugen Mutter, die Deutschland 1933 mit ihren drei Kindern Richtung Niederlande verließ. Und ebenfalls hellsichtig in den letzten Augusttagen 1939 den Niederlanden Richtung England den Rücken zuwandte.
Wolffs jahrzehntelange Tätigkeit als Journalist wird mit einem Einspieler aus dem «Internationalen Frühschoppen» aus dem Jahr 1972 mit Werner Höfer dokumentiert und aus dem britischen Unterhaus, wo Wolff noch einmal auf der Bank Platz nimmt, von der aus er das Geschehen im Parlament als politischer Korrespondent verfolgte.
Immer wieder kommen Wolffs kleine Marotten ins Bild, sei es seine intensive Zeitungslektüre, von der das gesamte Häuschen in Paddock zeugt und derer die getreue Aufwartefrau kaum noch Herr wird. Sei es die Liebe zum Pferderennen in Ascot, wo Wolff – begleitet von einer alten Freundin – mit grauem Zylinder und dazu farblich abgestimmtem Cutaway nie mehr als 50 Pfund verspielt. Sei es das Bad im Atlantik, zu dem er sich im weißen Bademantel und in Schlappen vom Taxi fahren lässt, oder seine Suche nach dem richtigen Schlüssel in einem riesigen Wirrwarr von mehreren Bunden.
schlüssel Das durchweg junge Premierenpublikum lacht. Denn bei aller Lebensfreude sieht es auch einen Rückversicherer, der am liebsten drei Wecker in seinen winzigen Rollkoffer mit großem Aufkleber zwängt oder gleich drei Schlüssel für sein Heim in Little Paddock mit auf Reisen nimmt.
Versicherung sind ihm auch seine jährlichen Besuche in Amsterdam, die er braucht, um seine Lebensbrüche wie auf einen verbindenden Faden immer wieder aufzuketteln, ebenso wie seine Besuche in Jerusalem, bei den orthodoxen Großcousins, Neffen und Cousinen, die von ihrem Willy in den höchsten Tönen schwärmen, obwohl er häufig die Gesetze des Schabbats bricht. Versicherung ist auch die Liebe zu seinen deutschen Gemeinden in Schwerin, Rostock, Greifswald oder Wismar und Berlin.
In Berlin trifft er sich noch regelmäßig mit alten Freunden, Peter Fischer, beim Zentralrat lange für die Gedenkstättenarbeit zuständig, mit Rabbinerkollegen von der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, und er begegnet bei der Uraufführung Benzion Wieber, lange Geschäftsführer der Synagogen-Gemeinde Köln, mit Frau. Sie ist Engländerin und kennt den Rabbiner noch von einer seiner ersten Anstellungen in Newcastle.
Freundschaftlich waren denn auch die Atmosphäre und der donnernde Applaus, als Willy Wolff nach der Vorführung im Reigen von Regisseurin und Filmteam auf die Bühne gerufen wurde.