Die Liebermann-Villa am Großen Wannsee in Berlin ist zurzeit für Besucher geschlossen. Die Ausstellung Wir feiern Liebermann! konnten im Oktober 2020 bisher nur wenige Menschen sehen, bevor die Museen wegen des Corona-Lockdowns im November dichtmachen mussten. Doch am Großen Wannsee gibt es trotzdem viel zu tun: Die Max-Liebermann-Gesellschaft, deren 25. Gründungsjubiläum mit der Ausstellung gefeiert wird, geht der Provenienz von Werken des jüdischen Künstlers nach, die in der Villa hängen.
Zwei Provenienzforscherinnen – Denise Handte, die vorher an der Berlinischen Galerie tätig war, und Alice Cazzola – widmen sich derzeit der Herkunftsgeschichte der Bilder. Sie waren als Ankäufe oder Schenkungen in das Haus gelangt: Ölgemälde, Zeichnungen, Pastelle, Aquarelle und druckgrafische Arbeiten. Lucy Wasensteiner, Direktorin der Liebermann-Villa, hat dafür beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste (DZK) eine Förderung beantragt.
verlängerungsantrag »Es geht um 73 Kunstwerke – insgesamt haben wir 150 Kunstwerke. Aber im ersten Jahr machen wir nur die erste Hälfte, und wir möchten dann einen Verlängerungsantrag stellen, sodass wir im zweiten Jahr die zweite Hälfte erforschen können«, sagt die Leiterin des Museums.
Es geht um 73 von insgesamt 150 Kunstwerken.
Die Grundsätze der Washingtoner Konferenz von 1998 in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden, hatten den Anstoß für Provenienzforschung weltweit gegeben. »Die Grundsätze hatten aber nur eine konkrete Wirkung auf öffentliche Häuser, weil sie von Staaten unterschrieben wurden«, erklärt Wasensteiner. »Aber allmählich fangen auch mehr private Häuser solche Projekte an, weil sie sehen, dass es inzwischen sehr wichtig ist und alle eine Verantwortung haben, sich zu fragen: ›Woher kommen unsere Sammlungen eigentlich?‹«
Das könnte auch bei Max Liebermann, einem der bedeutendsten Vertreter des deutschen Impressionismus, spannend werden. Die Nazis hatten ihn 1933 gezwungen, sein Amt als Präsident der Akademie der Künste aufzugeben, weil er Jude war. Später wurden seine Werke aus zahlreichen deutschen Museen entfernt.
NACHLASS »Die Familie Liebermann wurde aus Berlin vertrieben, die Witwe Martha hat bis zu ihrem Freitod 1943 alles verloren, die Tochter ging in die USA. Es gab eine Kunstsammlung der Familie Liebermann, sie ging teilweise mit in die USA und teilweise verloren«, sagt Lucy Wasensteiner.
»Hier in Berlin gab es am Ende des Krieges fast nichts mehr von der Familie, keinen Nachlass und keine zentral gelagerte Kunstsammlung. Die Villa am Wannsee wurde von der Reichspost benutzt, später als Krankenhaus.« Liebermanns Enkelin verkaufte das Haus 1958 an das Land Berlin.
1995 wurde die Max-Liebermann-Gesellschaft gegründet, sie ist Träger der Villa am Wannsee. »Es war völlig leer, keine Möbel von Liebermann, keine Kunst, kein Archiv«, sagt Lucy Wasensteiner über die Anfänge. Eine kleine Kunstsammlung, ein Archiv und eine Bibliothek wurden aufgebaut, Fotos gesammelt, Bücher herausgegeben und Forschungsprojekte auf den Weg gebracht. Seit 2006 sind Haus und Garten originalgetreu wiederhergestellt und für die Öffentlichkeit als Künstlerhaus, Museum und Garten zugänglich.
Die gebürtige Britin Wasensteiner, die inzwischen auch einen deutschen Pass besitzt, hat von 2015 bis 2018 als wissenschaftliche Volontärin und spätere Kuratorin an der Villa gearbeitet. Als Rechtsanwältin und als Provenienzforscherin war die Juristin und Kunsthistorikerin in London tätig, als Wissenschaftlerin an der Universität Bonn. Im Februar 2020, kurz vor dem ersten Corona-Lockdown, kehrte sie als Direktorin in die Liebermann-Villa zurück.
AUKTIONSHÄUSER »Ich freue mich, wieder hier zu sein, obwohl das für alle natürlich ein sehr komisches Jahr war«, sagt Lucy Wasensteiner über die Zeit seit ihrem Amtsantritt. »Ich hatte immer mit moderner deutscher Kunstgeschichte, aber auch mit Provenienzforschung zu tun. Und als ich an die Liebermann-Villa zurückkam, dachte ich, das wäre ein sehr spannendes Thema für unser Haus.« Viele privat getragene Museen hätten normalerweise nicht die Ressourcen, solche Projekte anzufangen.
»Es geht auch um Werke, die vielleicht in anderen NS-verfolgungsbedingt entzogenen Sammlungen waren.«
Lucy Wasensteiner
Die kleine hauseigene Sammlung in der Liebermann-Villa bestehe »hauptsächlich aus Schenkungen oder Werken, die wir auf dem Markt erwerben konnten«, sagt die Museumsleiterin. »Es geht nicht unbedingt um Werke, die früher in der Sammlung der Familie Liebermann waren. Es geht auch um Werke, die vielleicht in anderen NS-verfolgungsbedingt entzogenen Sammlungen waren.«
Möglicherweise hätten die Auktionshäuser geschaut, woher die Werke kamen, »aber Ende der 90er-Jahre war das nicht so ein großes Thema. Und bei uns war es aus Kapazitätsgründen nicht immer möglich, die Provenienzen im Detail zu erforschen«, erklärt sie.
Lucy Wasensteiner sieht es nicht als Gefahr, möglicherweise Kunstwerke restituieren zu müssen. »Wir werden faire und gerechte Lösungen anstreben, sie können verschiedene Formen annehmen. Aber wenn wir etwas zurückgeben müssen, dann ist es so. Wir sind mit der Liebermann-Familie im Kontakt und auch mit ihrer Vertretung hier in Berlin. Falls da etwas auftaucht, sind wir bereit, diese Gespräche zu beginnen.«
KONFERENZ Ende 2021 ist eine wissenschaftliche Konferenz zum Provenienzforschungsprojekt an der Liebermann-Villa geplant. Die Erfahrungen sollen mit anderen privaten Häusern und Wissenschaftlern geteilt werden, die im Kontext zu Liebermann forschen. 2022 will die Liebermann-Gesellschaft das Ergebnis der Forschungen auch in einer Ausstellung vorstellen und die Werke zusammen mit ihrer Provenienzgeschichte präsentieren.
Bis das Museum wieder öffnet, können die Provenienzforscherinnen nun in aller Ruhe arbeiten. »Der erste Schritt in der Forschung ist, alle Werke physisch anzusehen, die Rückseite zu betrachten, die Provenienzmerkmale zu fotografieren.
Das können wir jetzt in Ruhe machen in unseren Ausstellungsräumen. Unser Haus ist relativ klein. Das ist schon ein Vorteil, dass wir jetzt ein bisschen mehr Platz haben«, sagt Lucy Wasensteiner
LOCKDOWN Doch der Lockdown setzt auch ihrem Haus, das in normalen Zeiten bis zu 80.000 Besucher pro Jahr zählt, stark zu: »Das Jahr 2020 war extrem schwierig für uns. Den größten Teil unserer Einnahmen erzielen wir über die Eintrittskarten. Wir haben ausgerechnet, dass uns für 2020 inklusive fehlender Führungen und Veranstaltungen über 450.000 Euro fehlen.« Hilfe kommt unter anderem durch eine Spendenaktion der Liebermann-Gesellschaft sowie November- und Dezemberhilfen wegen Corona.
»Aber natürlich wünschen wir uns von Herzen, dass wir bald wieder öffnen können«, sagt Lucy Wasensteiner. Und dann könnten diejenigen, die die Sonderausstellung Wir feiern Liebermann: Leihgaben aus deutschen Sammlungen zu 25 Jahren Liebermann-Gesellschaft bisher verpasst haben, vielleicht doch noch zum Zug kommen. Verlängert wurde die Schau, für die ein ausgeklügeltes Hygienekonzept entworfen wurde, jedenfalls bis zum 21. Juni.