Es könnte temperamentvoll zugehen. Mit diesen Worten begrüßt Katja, die mit vollem Namen Ekaterina Kulakova heißt und Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Dresden ist, jeden, der zum Runden Tisch der Gemeinde kommt. Auf ihren kleinen Tisch legt sie Papiere und einen Kugelschreiber, während sich ein Mitarbeiter um die Technik kümmert, sodass Interessierte sich auch online dazuschalten können. Unter ihnen ist auch Nora Goldenbogen, die frühere Gemeindechefin.
»Wir fangen ein neues Leben an«, sagt Katja Kulakova, denn die Gemeinde musste gerade wieder umziehen, da an dem Gemeindehaus und der Synagoge immer noch bauliche Sicherheitsmaßnahmen vorgenommen werden. Das Interimsquartier war von vornherein nur eine Übergangslösung. »Nun sitzen wir in diesen wunderschönen, großzügigen, hellen Räumen«, sagt die Vorsitzende. Das sogenannte World Trade Center ist die derzeitige Adresse.
»Bitte korrigiert mich, wenn ich etwas Falsches sage«, meint sie mit Blick auf die Mitglieder der Repräsentanz, die neben anderen Gemeindemitgliedern an diesem Sonntagnachmittag gekommen sind, um Fragen, Sorgen und Anregungen loszuwerden. Die 54-Jährige moderiert den Nachmittag und ist gleichzeitig Übersetzerin. »Lasst uns nun mit internen Problemen anfangen.«
Wolfram möchte wissen, wie es mit dem geplanten Fahrdienst weitergeht.
Alex steht prompt auf, er möchte wissen, wie es in Zukunft mit der Sicherheit der Neuen Synagoge Dresden und dem Gemeindehaus auf dem Areal am Hasenberg aussehen wird. Doch bevor Ekaterina Kulakova auf diese Frage eingeht, gibt sie erst einmal einen Lagebericht: »Es ist keine Renovierung, sondern eine bauliche Sicherheitsmaßnahme. Bei dem Einbau von neuer Technik, die nach dem Anschlag von Halle notwendig geworden ist, wurde festgestellt, dass das Gebäude in keinem guten Zustand ist.« Immer, wenn etwas Neues an der Baustelle aufgemacht werde, würden die Mängel offensichtlich. »Das alles verlängert die Sanierung.«
Deshalb habe sie das Architekturbüro um einen Besichtigungstermin gebeten, um vor Ort Fragen zu den Baumaßnahmen stellen zu können. Auch sei die Sanierung viel teurer geworden. Diese würde vom Land Sachsen finanziert. »Hoffentlich können wir die Gebäude weiter betreiben«, sagt sie ernst. Die optimistische Variante wäre, im Frühjahr 2025 wieder zurückziehen zu können. »Ich schlage vor, wir bleiben bei der optimistischen«, meint sie mit einem Schmunzeln.
Wolfram möchte wissen, ob es mit dem angedachten Fahrdienst für die Gemeindemitglieder weitergeht, die sich nicht mehr trauen, mit dem Bus zu den Gottesdiensten zu kommen, die derzeit in der Synagoge am Friedhof stattfinden. Lediglich zwei hätten sich bisher gemeldet, die in dieser Situation seien, so die Gemeindechefin. Es gebe verschiedene Möglichkeiten, Ehrenamtliche könnten sie abholen und wieder nach Hause bringen. Die Ehrenamtlichen würden eine Aufwandsentschädigung und Benzingeld erhalten. Am einfachsten wäre es aber, wenn Taxis genutzt werden würden. Dass die Gemeinde ein eigenes Auto und einen Fahrer finanziert, wäre zu teuer. Kulakova möchte erst einmal mit den Betroffenen sprechen.
Als Ekaterina Kulakova 2005 nach Dresden kam, konnte sie selbst kein einziges Wort Deutsch. Mit ihren Eltern und ihrer Familie suchte sie die Sozialabteilung der Gemeinde auf, deren Mitarbeiter innerhalb von drei Tagen alles für sie regelten. »Nun möchte ich etwas zurückgeben«, sagt sie. Vor einem knappen Jahr wurde sie zur Vorsitzenden gewählt, als erstes Mitglied aus der Gruppe der Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion.
In Uljanowsk an der Wolga wurde sie geboren, aber die Stadt Omsk in Westsibirien war ihre Heimat, so die Pianistin, die als Musikpädagogin unterrichtete. »Derzeit bin ich sechs Tage die Woche hier in meinem Büro und arbeite ehrenamtlich als Vorsitzende. Meine Familie sagt immer, dass ich mit der Gemeinde verheiratet sei.« 700 Mitglieder zählt die Dresdner Einheitsgemeinde. Etwa 670 stammen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. 1989 gab es nur 61 Mitglieder. »Das ist natürlich für die Alteingesessenen auch nicht immer leicht.« Den Spruch, das sei nicht mehr ihre Gemeinde, habe sie öfters gehört. »Deshalb ist es mir wichtig, auch sie zu erreichen.«
Ebenso möchte sie mit jüngeren Nichtjuden im Gespräch sein. »Keiner hat einen Plan gegen Antisemitismus«, sagt sie bei der Versammlung. Vor ein paar Tagen sei sie beim Schülergipfel zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust dabei gewesen. »Die Jugendlichen wollen mit uns reden.« Deshalb sei jeder Kontakt wichtig, und aus diesem Grunde auch die Führungen, die die Gemeinde anbietet. Es gebe ihr Hoffnung, dass die Schüler, nicht die Lehrer, sie angefragt haben.
»Der Antisemitismus ist so populär, dass man sich nicht rausziehen kann. Wir müssen etwas tun«, sagt die derzeitige Vorsitzende der Repräsentanz, die Vorsitzende des Sächsisches Landesverbandes und ehemalige Gemeindechefin, Nora Goldenbogen. Mit Blick auf die AfD und das »Reimigrationsprogramm« sagt sie weiter, dass alle Leute mit Migrationshintergrund hier nicht mehr erwünscht seien. »Dann betrifft das auch uns. Aber was könnte man tun?«, fragt sie in die Runde. Sie seien zu wenige Juden. Deshalb schlage sie eine Veranstaltungsreihe vor. »Reden ist die einzige Möglichkeit.« Es ist »unsere Aufgabe, auch wenn sie Mühe macht«. Dann: »Ich bin schon ruhig.« Und beendet ihre ausführliche Rede. Schmunzeln unter den Zuhörern.
»Der Antisemitismus ist so populär, dass man sich nicht rausziehen kann. Wir müssen etwas tun.«
Nora Goldenbogen
»Wir verfügen hier über geeignete Räume, wir können das machen«, meint die amtierende Gemeindechefin. Der Schwerpunkt sollte dann bei politischen Gesprächen liegen.
Ein anderer möchte wissen, wie viele neue Gemeindemitglieder es gibt. »Mehr als 15 haben sich angemeldet.« Katja hat den Eindruck, dass Leute, die schon länger in Dresden wohnen, nun auch offiziell dabei sein wollen. »Dann sollte es auch Treffen für neue Mitglieder geben«, schlägt ein älterer Herr vor. Ein etwa 40-Jähriger, der seit einer Woche ordentliches Gemeindemitglied ist, meldet sich zu Wort: »Mich interessiert vor allem, wie wir Antisemitismus verhindern können.«
»Das ist die siebte Aufgabe, die ich mir notiert habe«, sagt Katja Kulakova. Doch in ihrem Büro wartet noch mehr Arbeit. Neben der Sanierung der Synagoge und des Gemeindehauses kommt die Renovierung der Trauerhalle am Friedhof und der Wohnhäuser hinzu. Auch der Jüdische Friedhof in Görlitz gehört nun zu ihrem Aufgabenbereich. »Die Stadt Görlitz hat sich an uns gewandt.« Der dortige Friedhof sei in einem schlechten Zustand, und es müssten Grabstellen saniert werden.
Letztlich verlief der Austausch am Nachmittag harmonisch. Aber Katja Kulakova sagt auch: »Die Gemeinde muss sichtbarer werden, wir tragen dafür die Verantwortung. Wir haben zwar Rechte, aber auch Pflichten.« Sie legt die Papiere mit ihren Notizen gut sichtbar auf ihren Schreibtisch. Am nächsten Tag will sie anfangen.