Nachdem Dieter Graumann angekündigt hatte, nicht mehr erneut für das Amt des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland zu kandidieren, war der Schock groß. Es hätten keine noch so guten »Überredungskünste gefruchtet«, sagte sein designierter Nachfolger Josef Schuster, während in seiner Heimatgemeinde Würzburg gerade zwei junge Rabbiner ordiniert wurden. Er werde sich der Wahl stellen, sagte der Internist. Und schon sahen viele – auch die Medien – in ihm den selbstverständlichen Nachfolger des scheidenden Zentralratspräsidenten.
So selbstverständlich ist die Nachfolge allerdings nicht – wiewohl Schusters Wahl als allgemein sicher und vor allem von vielen Beteiligten als gewünscht gilt. Vorher ist jedoch ein durchaus differenziertes Wahlverfahren zu berücksichtigen.
neuwahl Da sich Dieter Graumann nicht nur als Präsident zurückzieht, sondern das oberste Entscheidungsgremium des Zentralrats ganz verlässt, muss auf jeden Fall ein oder eine Neue(r) ins Präsidium gewählt werden. Diese Exekutive des Zentralrats hat neun Mitglieder, von denen sechs aus den Reihen der Direktoriumsmitglieder und drei aus den Reihen der Delegierten der einmal jährlich stattfindenden Ratsversammlung gewählt werden.
Das Direktorium ist so etwas wie das Kontrollgremium, es überwacht die Tätigkeit des Präsidiums und wählt den Generalsekretär oder Geschäftsführer des Zentralrats. Großgemeinden und Landesverbände entsenden entsprechend ihrer Mitgliederzahl, das heißt pro angefangene 5000 Mitglieder, einen Gesandten in das Gremium. Da aus ihren Reihen sechs Vertreter ins Präsidium gewählt werden, haben sie einigen Einfluss auf die Geschicke des Zentralrats.
Die Ratsversammlung, die jeweils gegen Ende eines Kalenderjahres zusammentritt und den wirtschaftlichen wie gesamtpolitischen Rechenschaftsbericht des Zentralrats durch ihr Votum billigen muss, setzt sich aus Vertretern der Gemeinden zusammen. Je 1000 Mitglieder wird ein Delegierter zu der Versammlung entsandt und nimmt vor Ort die Interessen seiner Ortsgemeinde wahr. Alle vier Jahre, also für eine Legislaturperiode, wählen sie aus ihrer Mitte drei Mitglieder in die Exekutive.
Vizepräsidenten Die auf diese Weise ermittelten neun Mitglieder des Zentralratspräsidiums setzen sich in einer kurzen Konferenz nach der Ratstagung zusammen und bestimmen den neuen Präsidenten und seine beiden Vertreter. Derzeit gehören dem Präsidium Heinz-Joachim Aris (Dresden), Mark Dainow (Offenbach), Küf Kaufmann (Leipzig), Abraham Lehrer (Köln), Hanna Sperling (Dortmund) und Barbara Traub (Stuttgart) an. Sie vertreten die Landesverbände von Sachsen, Hessen, Westfalen-Lippe sowie Württemberg und darüber hinaus die Synagogen-Gemeinde Köln.
Noch offen ist, wer bei der kommenden Ratsversammlung aus dem 28-köpfigen Direktorium in das Präsidium gewählt wird. Auch ist nicht klar, ob sich möglicherweise weitere Mitglieder aus diesem obersten Leitungsgremium zurückziehen werden. Mit 60 Jahren ist Josef Schuster, Gemeindevorsitzender aus Würzburg und Präsident des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Bayern, in der jüdischen Community Deutschlands sehr bekannt und im besten »Präsidentenalter«.
Auch Dieter Graumann und einige Präsidenten vor ihm waren bei ihrem Amtsantritt in ihren Sechzigern. Auf die längste Amtszeit konnte Werner Nachmann (1969–1988) verweisen. Dessen Nachfolger Heinz Galinski hatte den Zentralrat nicht nur von 1954 bis 1963 angeführt, sondern folgte Nachmann 1988 bis zu seinem Tod 1992 erneut im Amt des Vorsitzenden. Mit Charlotte Knobloch hat es bislang erst eine Frau in das Amt geschafft.
Zuwanderer Auch wenn die Wahl Josef Schusters als sicher gilt, sind Überraschungen möglich. Wird es aus den Reihen der Ratsdelegierten möglicherweise Vorschläge für neue Mitglieder des Präsidiums geben? Wird sich neben Küf Kaufmann vielleicht ein weiteres Mitglied aus den Reihen der Zuwanderer zur Wahl stellen? Werden die beiden einzigen Frauen im Präsidium, Hanna Sperling aus Dortmund und Barbara Traub aus Stuttgart, eine weitere Frau an ihre Seite bekommen? Werden jüngere Mitglieder den Sprung in die Exekutive wagen? Werden überhaupt alle Präsidiumsmitglieder wiedergewählt?
Josef Schuster wäre der achte Präsident des Zentralrats nach der Schoa und der zweite nach Graumann, der der Zweiten Generation angehört. Die 95 Mitglieder der Ratstagung des Zentralrats der Juden in Deutschland werden am 30. November abstimmen.