Am vergangenen Freitag stand Hanau ganz im Zeichen des Gedenkens. Die Namen und Gesichter der vor einem Jahr beim rassistischen Anschlag vom 19. Februar getöteten neun Männer und Frauen, Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kenan Kurtovic, Vili-Viorel Paun, Fatih Saraçoglu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov, waren vielerorts präsent. Oft war die Aufforderung: »Say Their Names« zu lesen. Mehrere Plakate forderten Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen. Auch am Brüder-Grimm-Denkmal vor dem Hanauer Rathaus wurde namentlich der Opfer gedacht.
»Der Täter hat sich nicht in einem Vakuum radikalisiert.«
Zentralratspräsident Josef Schuster
Die hessische Stadt wirkt bis heute vom Anschlag gezeichnet. In seiner Erklärung zum ersten Jahrestag ging Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, auf die Auswirkungen des 19. Februar ein: »Als ich im vergangenen Jahr einen Tag nach dem Anschlag in Hanau war, war die Trauer in der ganzen Stadt zu spüren. Die Angehörigen der Opfer müssen seit diesem Tag mit dem schrecklichen Verlust leben. Viele Betroffene leiden noch heute unter den Spätfolgen des Anschlags.« Schuster betonte: »Ihnen gilt unsere Solidarität und unser Mitgefühl. Die Hinterbliebenen brauchen konkrete und nachhaltige Unterstützung.« Und der Zentralratspräsident mahnte: »Der Täter hat sich nicht in einem Vakuum radikalisiert.« Jetzt gelte es, die rechtsextremen Netzwerke, die weiterhin existieren, aufzudecken.
Bundespräsident Eine offizielle Gedenkfeier fand am Freitagabend im Hanauer »Congress Park« statt. Neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nahmen daran Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) sowie die Familien der Opfer teil. Zuvor gedachten Bürger und Organisationen bei dezentralen Kundgebungen und Aktionen der Getöteten. Die Jüdische Gemeinde Hanau veranstaltete gemeinsam mit der Wallonisch-Niederländischen Kirche und den katholischen Stadtpfarreien eine Gedenkstunde, die an die Tradition des toleranten Zusammenlebens unterschiedlicher Religionen gemahnen sollte.
»Vor einem Jahr ist etwas zerbrochen, was wir als Gesellschaft vielleicht viel zu selbstverständlich hingenommen haben – unser Zusammenleben.«
Pfarrer Torben W. Telder
Sie fand unter freiem Himmel am Denkmal für Graf Philipp Ludwig II. statt, das an der Ruine der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Wallonisch-Niederländischen Kirche steht. Der Hanauer Graf hatte 1603 eine Urkunde erlassen, die der Jüdischen Gemeinde die Existenz, religiöse Autonomie sowie Selbstverwaltung garantierte. Schon 1597 schloss er einen ähnlichen Vertrag mit den reformierten Wallonen und Niederländern. 1809 ermöglichte ein Dekret von Napoleon den Hanauer Katholiken wieder den Gottesdienst. Um daran zu erinnern, verlasen bei der Gedenkstunde Vertreter der drei Religionsgemeinschaften Ausschnitte aus den jeweiligen historischen Dokumenten. Für die Jüdische Gemeinde sprach Geschäftsführer Oliver Dainow.
Zusammenleben »Vor einem Jahr ist etwas zerbrochen, was wir als Gesellschaft vielleicht viel zu selbstverständlich hingenommen haben – unser Zusammenleben«, sagte Torben W. Telder, Pfarrer der Wallonisch-Niederländischen Kirche in Bezug auf den Anschlag vor einem Jahr. »Wir stehen zusammen und sind doch verschieden«, betonte er. Für den Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen sprach Alfred Jacoby. Er erinnerte unter anderem an die Hanauer »Tradition der Toleranz und des friedvollen Nebeneinanders«.
»Der 19. Februar 2020 war der schwärzeste Tag unserer Stadt seit 1945«, sagte Hanaus Stadtverordnetenvorsteherin Beate Funck (SPD). »Wir dürfen nicht vergessen«, mahnte sie nach der Verlesung der Namen der Anschlagsopfer. Anschließend las Funck die Präambel und mehrere Artikel des Grundgesetzes vor. Rabbiner Shimon Großberg und der katholische Diakon Philipp Schöppner sprachen Gebete für Frieden, Toleranz und die Opfer.
Gedicht Ihren bewegenden Abschluss fand die Gedenkstunde mit der erneuten Nennung der Namen der Getöteten und dem Vortrag eines Auszugs aus dem Gedicht, das Amanda Gorman bei der Amtseinführung des US-Präsidenten Joe Biden am 20. Januar vorgelesen hatte. Die von Sarah Ahouansou vorgetragenen Verse setzten einen hoffnungsvollen, kämpferischen Schlussakzent: »Denn es gibt immer Licht, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.«