Berlin trägt Kippa» – unter diesem Motto hatten sich am Mittwochabend vergangener Woche rund 2500 Menschen zu einer Kundgebung gegen Antisemitismus vor dem Zentrum der Jüdischen Gemeinde zu Berlin in der Charlottenburger Fasanenstraße versammelt.
Zu der Aktion hatte ein breites Bündnis aus jüdischen Organisationen, Kirchengemeinden, Parteien und muslimischen Vereinen aufgerufen. Viele Teilnehmer trugen aus Solidarität mit der jüdischen Community die traditionelle religiöse Kopfbedeckung Kippa. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, wertete dies als ein «überwältigendes Signal der Solidarität».
«Es ist fünf vor zwölf. Es wird in Berlin langsam ungemütlich. Aber noch haben wir nicht solche Verhältnisse wie in Frankreich oder Belgien», sagte Joffe mit Blick auf den Umstand, dass in den beiden Ländern jüdische Schüler aus Furcht vor Übergriffen nur selten öffentliche Schulen besuchen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte, Berlin stehe «unverbrüchlich an der Seite der jüdischen Gemeinde und des Staates Israel». Berlin sei «die Stadt der Freiheit und der Toleranz». «Antisemitismus hat bei uns keinen Platz», betonte Müller.
signal Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, forderte «100 Prozent Respekt für Juden, Muslime, für Ausländer, für Homosexuelle und für alle Hautfarben. Nicht mehr – aber auch nicht weniger». Ein «Weiter so!» dürfe es nicht geben. «Wer sich nicht an die Spielregeln des Grundgesetzes halten will, darf nicht mit Toleranz rechnen», so Schuster.
Der evangelische Bischof Markus Dröge erhielt viel Applaus für seine Aussage, Antisemitismus stelle im Christentum eine Form der Gotteslästerung dar. Volker Kauder, CDU-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, betonte, Deutschland werde Judenhass niemals akzeptieren: «Deutschland wehrt sich gegen all diejenigen, die Juden auf unseren Straßen attackieren.»
Von den Kundgebungen in Berlin und anderen Städten solle ein Signal ausgehen, betonten viele der Teilnehmer aus Politik und Gesellschaft, darunter auch der neue Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein. Er wolle sich für eine zentrale bundesweite Erfassung antisemitischer Straftaten und Vorfälle einsetzen. Der Ex-Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir fragte: «Wieso musste die Jüdische Gemeinde zu einer Solidaritätskundgebung aufrufen? Wieso haben nicht wir von der Mehrheitsgesellschaft das gemacht? Da liegt doch schon der Fehler.»
kippa David Wojahn, einer der Teilnehmer der Kundgebung, war direkt von seiner Arbeit zum Gemeindehaus gekommen. «Die Gesellschaft muss gegen alle Formen von Antisemitismus zusammenstehen», sagte der 21-Jährige. Der Student ist Christ. Am Mittwoch trug er eine hellblaue Kippa, die er sich von seinem letzten Besuch aus Israel mitgebracht hatte.
«Wer einen Mann mit Kippa angreift, der stellt sich auch gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung», sagte Wojahn. Sein Freund Cederic Zehden war davon angetan, dass so viele Berlinerinnen und Berliner zu der Kundgebung gekommen waren. «Die Gesellschaft entwickelt sich spürbar in eine falsche Richtung. Es muss endlich aktiv gegen Antisemitismus vorgegangen werden», sagte der 24-Jährige.
Der Agnostiker Niklas Klausen war aus Wedding zur Kundgebung gekommen. «Antisemitismus ist eine gesellschaftliche Krankheit, gegen die wir uns alle gemeinsam stellen müssen», sagte Klausen mit grün-weißer Kippa auf dem Kopf. Der Kampf gegen Judenhass könne seiner Meinung nach nur erfolgreich sein, wenn er über bloße Lippenbekenntnisse und symbolische Aktionen hinausgehe.
zwischenfall Wie groß der Handlungsbedarf ist, zeigte sich in Berlin noch am selben Abend. Während die Veranstaltung in Charlottenburg friedlich zu Ende ging, kam es während einer kleineren Kippa-Solidaritätsaktion im Bezirk Neukölln zu einem Zwischenfall. Auf dem Hermannplatz wurden Teilnehmer der Veranstaltung beleidigt und bespuckt. Eine Israelfahne wurde gestohlen.
Ein Video davon stellte das Jüdische Forum für Demokratie und Antisemitismus (JFDA) ins Internet. Die Veranstalter brachen die Aktion nach 15 Minuten vorzeitig ab. JFDA-Sprecher Levi Salomon verurteilte den Angriff auf die Kundgebungsteilnehmer. «Jüdische und nichtjüdische Menschen sollten gerade jetzt die Kippa tragen. Wir dürfen den öffentlichen Raum weder islamistischen noch rechtsextremen Antisemiten überlassen», forderte Salomon. Der Kampf gegen Antisemitismus müsse in Deutschland als eine nationale Aufgabe gesehen werden.
Mike Samuel Delberg, Repräsentant der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, sagte der Jüdischen Allgemeinen: «Während auf der Kundgebung am noblen Kurfürstendamm ein wichtiges Zeichen gesetzt werden sollte, kam die wahrscheinlich wichtigere Botschaft zeitgleich aus Neukölln: Solidarität allein reicht nicht aus!» Solange die Worte der Politik nicht auf den Straßen Gehör fänden, bleibe Antisemitismus in Deutschland ein unlösbares Problem, sagte er.
aktion Die Solidaritätskundgebungen in Berlin waren Teil einer bundesweiten Aktion unter dem Motto «Deutschland trägt Kippa». Hintergrund war der brutale Übergriff auf zwei Kippa tragende Männer in Prenzlauer Berg Mitte April.
Eine Gruppe hatte die 21 und 24 Jahre alten Männer beschimpft. Einer der Angreifer hatte die Männer attackiert und auf eines der Opfer mit einem Gürtel eingeprügelt. Der 19-jährige Angreifer hatte sich später der Polizei gestellt. Gegen den aus Syrien stammenden Mann wurde Haftbefehl wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung erlassen. Er sitzt in Untersuchungshaft.