Es ist gar nicht so einfach, dieser Tage ein Interview mit Amir Haddad zu ergattern: Seit seiner Teilnahme am diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC) reist der 32-Jährige um die Welt, hat Auftritte in Russland, Kanada und Israel. »Ich bin froh über die Bühne, die mir der ESC geboten hat, denn durch sie bin ich in der Lage, viele magische Orte zu sehen«, sagt Haddad, als es endlich doch gelingt, ihn kurz vor einem Auftritt für ein Gespräch zu erwischen.
In Deutschland hat er indes bislang noch kein Konzert gegeben. »Ich war zwar schon oft in Berlin und habe auch zu Schabbat gesungen, aber das war im privaten Kreis«, erinnert er sich. Für ihn hat seine Teilnahme am Gemeindetag 2016 in Deutschland dabei durchaus symbolischen Charakter, den er allerdings schon im nächsten Satz beiseite wischt: »Ich will die historischen Bezüge nicht in den Vordergrund stellen, sondern wie so viele andere Künstler das Leben feiern.«
ohrwurm Zum Feiern hat Amir Haddad allen Grund. Beim ESC in Stockholm erreichte er mit seinem entspannten Pop-Hit »J’ai cherché« (»Ich habe gesucht«) den sechsten Platz – das beste Ergebnis für Frankreich seit 2002. Für viele Zuschauer war der lebensfrohe Song mit Ohrwurm-Potenzial sogar Titelfavorit – bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass Frankreichs Beiträge im vergangenen Jahrzehnt meist die hinteren Plätze belegten.
»Der Erfolg war vorher überhaupt nicht absehbar«, ist Haddad immer noch erstaunt. So hätte sich seine Teilnahme am weltweit größten Musikwettbewerb auch als musikalischer Karrierekiller erweisen können. Ein Umstand, der ihn allerdings im Vorfeld nicht wirklich unter Druck setzte, da die Musik nur eines seiner Standbeine ist: Haddad ist ausgebildeter Zahnarzt. »Deswegen hatte ich beim ESC auch nichts zu verlieren und konnte mich ganz auf den Spaß konzentrieren«, sagt er lachend.
newcomer Das Mikrofon wird er auf absehbare Zeit nicht gegen den Bohrer eintauschen müssen, denn seine Karriere als Musiker hat seit seinem ESC-Auftritt ordentlich an Fahrt aufgenommen. »Innerhalb kürzester Zeit bin ich in Frankreich sehr bekannt geworden«, fasst er lachend zusammen. Mittlerweile ist er bei den französischen »NRJ Music Awards« als bester Newcomer nominiert, bei den »MTV European Music Awards« steht er als bester französischsprachiger Künstler zur Wahl. »Das alles überwältigt mich komplett«, so Haddad.
Dass er überhaupt einmal als Sänger Erfolg haben würde, überrascht angesichts der Tatsache, dass Haddad seit der Geburt auf dem rechten Ohr taub ist. Laurent Amir Khlifa Khedider Haddad, wie er vollständig heißt, wuchs in der Nähe von Paris auf. Sein Vater stammt aus Tunesien, die Mutter hat marokkanisch-spanische Wurzeln. Als er acht Jahre alt war, wanderte die Familie nach Israel aus. Hier nahm er 2006 an der Castingshow Kochav nolad teil, wenn auch ohne durchschlagenden Erfolg.
gehör Nach dem Militärdienst studierte er Zahnmedizin, wagte dann aber 2014 erneut den Schritt in die Öffentlichkeit und nahm an der französischen Ausgabe der Castingshow The Voice teil. In der Sendung gab er auch seine Höreinschränkung preis: »Ich finde es sehr schwierig, mit dem Orchester zu proben, vor allem, wenn es aus einer ganzen Batterie von Instrumenten besteht«, verriet er in einer Folge. »Das verwirrt mich.« Die Verwirrung scheint sich aber gelegt zu haben, denn Haddad schaffte es ins Finale von The Voice und erreichte den dritten Platz.
Schon zu dieser Zeit wurden dem attraktiven Sänger von der Boulevardpresse immer wieder Liebschaften angedichtet. Gerüchte, die er zum Verstummen brachte, als er im Promi-Magazin »People« erklärte: »Ich habe in meinem Herzen eine sehr schöne Israelin namens Lital. Sie ist meine Seelenverwandte, und ich werde sie diesen Sommer heiraten.«
Tatsächlich gaben sich Amir und Lital im Sommer 2014 vor 600 Gästen in Israel das Jawort. Privates Glück und beruflicher Erfolg gehen für Haddad seither Hand in Hand. »Ich lebe meinen Traum und versuche, das so lange wie möglich auszukosten«, sagt er.
Berlin Seinen Auftritt beim Gemeindetag in Berlin bezeichnet er als Herausforderung: »Ich weiß nicht, wie gut das Publikum meine Lieder kennt, das ist schon aufregend.« Neben den Stücken seines aktuellen Albums will er internationale Coverversionen präsentieren, vor allem aber viele hebräische Songs aus unterschiedlichsten Zeiten singen. »Gerade bei den hebräischen Liedern wird mir die Auswahl aber schwerfallen«, lacht er. »Ich mag so viele, da könnte ich acht Stunden am Stück singen.« Auf dem Programm könnten aber »Yahabibi Tel Aviv« und »Golden Boy« von Nadav Guedj, dem israelischen ESC-Teilnehmer von 2015, ebenso stehen wie ältere orientalische Stücke.
Der Kontext des Gemeindetags – eine Veranstaltung für die jüdische Community – ist Haddad wichtig: »Ich wurde als jüdischer Künstler geboren und erzogen, insofern ist mein Jüdischsein fester Bestandteil meiner Identität.«
Allerdings sei das Judentum als Religion etwas sehr Privates für ihn, das er auf sehr persönliche Art und Weise auslebe, betont Haddad, um dann hinzuzufügen: »Werde ich aber danach gefragt, antworte ich ohne Umschweife: Ich bin Jude und stolz darauf.«