Nach der Auflösung der Grabstätte des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß in Wunsiedel im Juli gilt Bad Nenndorf als einer der letzten »Wallfahrtsorte« von Neonazis. Eine zweifelhafte Ehre, vor allem für die dortige jüdische Gemeinde, an deren Zentrum der von den Neonazis initiierte sogenannte Trauermarsch am vergangenen Samstag erstmals vorbeiführte.
uniform Doch den uniform in weißen Hemden und schwarzen Hosen gekleideten Nazi-Trauernden setzten rund 1.000 Nenndorfer fröhliche Privatpartys entgegen. Sie hielten ökumenische Andachten ab, schwenkten Israelfähnchen und zogen mit Spruchbändern wie »Bunt statt Braun« oder »Nazis raus« durch den Ort.
Gäste und Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Bad Nenndorf, die unter Polizeischutz zur Synagoge gelangt waren, stellten sich nach der Schabbatfeier an den Straßenrand und empfingen die Neonazi-Demo mit Musik, Gesang und Applaus. Sichtlich irritiert vom Friedensgruß zogen die Rechten vorüber.
Marina Jalowaja, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Bad Nenndorf, begrüßte die Anteilnahme. Es sei ein gutes Gefühl, dass so viele Menschen auf die Straße gingen, um gegen Rechts ihr Gesicht zu zeigen, sagte sie. Sie könne allerdings nicht verstehen, dass es in dem Land, in dem sich der Holocaust ereignete, wieder Nazis gibt.
Widerstand Solidarität mit den Nenndorfer Juden bekundeten auch kirchliche Würdenträger und Politiker. »Das christliche Kreuz hat keine Haken«, sagte der evangelisch-lutherische Superintendent Andreas Kühne-Glaser. »Es verpflichtet uns, deutlichen Protest und Widerstand zu leisten.« Die Bürgermeisterin von Bad Nenndorf, Gudrun Olk, bekundete ihren Abscheu gegenüber Neonazis: »Ein normales gesellschaftliches Leben ist in dieser Stadt heute nicht möglich.«
»Eure sogenannten Trauermärsche sind eine Verhöhnung der Opfer, die eure Vorbilder abgeschlachtet haben«, sagte der Vorsitzende der DGB-Region Niedersachsen-Mitte, Andreas Gehrke. Es sei untragbar, dass die Ideologie der Nazis durch die Meinungsfreiheit geschützt sei. »Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen«, sagt Gehrke.
Am Wincklerbad setzten die Gegendemonstranten der Nazi-Kundgebung eine schrille Geräuschkulisse entgegen. Das Bad gilt den Rechten, von denen rund 700 aus ganz Deutschland gekommen waren, als Gedenkstätte. Hier seien – nach eigenen Angaben – führende Nationalsozialisten gefoltert worden.
Bis 2030 sind diese rechten »Trauermärsche«, die seit sechs Jahren in Bad Nenndorf stattfinden, bereits angemeldet. Eine Beobachterin meinte: »Wenn ich könnte, ich würde das Wincklerbad einfach abreißen.« Dann wäre den Nazis wieder ein Pilgerziel genommen. Beim Grab von Rudolf Heß ging es ja auch.