Berlin

Singen verbindet

Immer wieder montags kommen die Sängerinnen und Sänger zusammen, um zu proben. Foto: Joris Meyer

Wer montagabends am Lietzensee spazieren geht, der wird wahrscheinlich jiddische und israelische Lieder oder Werke aus der jüdischen Liturgie hören – denn der Chor LeKulam probt dort bei geöffneten Fenstern, sodass der Gesang auch auf die Straße dringt. Manch einer bleibt stehen, um ein paar Minuten zu lauschen.

»Ich freue mich auf jede Probe«, sagt Andrea. Auch wenn der Tag nicht optimal gewesen sei, weiß sie, dass sie spätestens nach der Probe wieder vergnügt sein wird. Die Musik, die Atmosphäre und das gemeinsame Singen seien eben eine große Freude für sie.

dirigent Der Dirigent Gad Kadosh sitzt bereits am Klavier, als an diesem Abend die Sängerinnen und Sänger eintrudeln. Noch unterhalten sich alle, wie sie in Berlin am Tag des Bahnstreiks zur Arbeit gekommen sind oder was sie am Wochenende gemacht haben. Doch dann beginnt die Probe mit Stimmbildung, und es geht die Tonleiter rauf und runter. Dazu werden Lockerungsübungen gemacht, bis die Stimmbänder frei schwingen. Dann werden die Noten in die Hand genommen, die Texte werden erst gesprochen, dann gesungen.

Vor fünf Jahren haben einige Musikbegeisterte beschlossen, gemeinsam zu singen. »Wir kannten uns bereits aus anderen Chören und trafen uns nun in einem Wohnzimmer«, erinnert sich Dagmar Otschik, Chormitglied der ersten Stunde.

Nach der Religion wird nicht gefragt,
jeder ist willkommen.

Doch mit der Zeit wurde auch das größte Wohnzimmer zu klein, weil immer mehr Soprane, Alte, Tenöre und Bässe dazukamen. Mittlerweile nehmen an den Proben mehr als 30 Sänger teil. Als Chorleiter konnte Gabriel Loewenheim, Kantor der Jüdischen Gemeinde, gewonnen werden, der an diesem Montag gerade in Israel als Opernsänger auf der Bühne steht und deshalb die Probe nicht leiten kann. Aber mit Gad Kadosh hat der Chor einen weiteren Dirigenten gefunden, der international gefragt ist. LeKulam bedeutet ihm viel.

KLAVIER Wenn Loewenheim dirigiert, begleitet er das Ensemble am Klavier. »Ich habe mich in den Chor verliebt. Er ist für mich wie eine Familie«, sagt Loewenheim. Alle verstehen sich gut und unterstützen sich, keiner möchte mit seiner Stimme andere übertönen. Das Zuhören sei beim Singen wichtig. Und die Proben seien auch dazu da, den Kopf freizubekommen und alles andere für die knapp drei Stunden zu vergessen. Jeder sei willkommen.

»LeKulam ist Hebräisch und heißt übersetzt ›für alle‹«, sagt Dagmar Otschik. »Und wir wollen, dass alle kommen und mit uns singen.« Nach der Religion werde auch nicht gefragt. Übrigens auch nicht nach dem Alter. Die Jüngste sei noch keine 30, der Älteste über 80 Jahre alt. »Es sind alle Altersstufen vertreten, und alle verstehen sich gut«, sagt Loewenheim.

Manche haben auch die Erfahrung gemacht, dass ihr Ursprungschor die Pandemie nicht überstanden hat und aufgelöst wurde – und sie schließlich auf der Suche nach einem neuen waren. Nun sind sie bei LeKulam gelandet.

BASAR Einige Bewohner des in der Nähe liegenden Seniorenzentrums der Jüdischen Gemeinde kommen regelmäßig zu den Proben und freuen sich an der Musik. Auch Beter aus den Synagogen der Rykestraße, Oranienburger Straße und der Pestalozzistraße sind Chormitglieder. Regelmäßig tritt der Chor auch dort auf. Den letzten großen Auftritt hatte LeKulam beim Basar in der Pestalozzistraße, in der Synagoge konnte der Chor auch schon Gottesdienste in der Zeit nach Jom Kippur mitgestalten.

Hebräische Texte übersetzt
der Kantor ins Deutsche.

»Wir singen ein israelisches Programm«, sagt Otschik. Die Sprache ist Hebräisch, die die meisten nicht beherrschen. Damit sie wissen, worum es geht, werden diese Texte übersetzt. Beim Singen wird an der hebräischen Aussprache gefeilt. Relativ neu ist, dass nun auch Lieder in Ladino ihren Weg ins Repertoire gefunden haben. Es sei ein »schönes altes Repertoire aus Israel. Alles ist sehr melodisch und tonal«, so Loewenheim. Vieles muss umgeschrieben werden, damit es für die drei bis vier Stimmen passt.

arrangements Hebräische Texte übersetzt der Kantor ins Deutsche. Für einige Arrangements setzt sich Gad Kadosh mit einem Stift an die Notenlinien, um es passend zu machen für die zur Verfügung stehenden Stimmen. Der Musiker versucht immer, sich den Montag freizuhalten.

Loewenheim erinnert sich noch gut an den Moment, als er gefragt wurde, ob er Lust hätte, den Chor zu leiten. »Ich zögerte, weil ich viel unterwegs bin«, sagt er. Aber der Chor blieb hartnäckig – und hat mit den beiden Musikern eine gute Lösung gefunden. Eines der Lieblingsstücke des Chores sei »LʼDor va-Dor« von Elliot Weiss. Übersetzt heißt es »von Generation zu Generation«, was »auch für uns sehr wichtig ist«, sagt Dagmar Otschik. Gesang verbindet eben.

Der Chor sucht noch Sängerinnen und Sänger.
Kontakt: dagmar-ot@web.de

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