Corona

Singen mit Abstand

Bis zu 1,50 Meter reichen die Aerosole, die beim Singen ausgestoßen werden. Das beweist diese Sängerin in einem Versuch. Foto: dpa

Chorleiter Ludwig Böhme musste extra eine Fortbildung besuchen, bei der er darüber informiert wurde, unter welchen Bestimmungen sich der Leipziger Synagogalchor wieder zu seinen Proben treffen kann.

»Der Raum muss groß genug sein, maximal zehn Leute dürfen dabei sein, die Stehplätze der Sänger sind im Zickzackkurs auf den Boden markiert und werden dokumentiert, und nach dem Singen muss der Boden gewischt werden«, erklärt Katharina Schubert die ungewöhnlichen Maßnahmen des Synagogalchores in Corona-Zeiten. Seit einem Monat treffen sich die Sänger wieder – und sind froh, dass sie wieder singen dürfen.

Superspreader Corona hat die Chöre schwer getroffen, denn nachdem im Berliner Domchor ein Superspreader 60 von 80 Chormitgliedern und den Domkantor angesteckt hatte, war offensichtlich, dass das Singen in Gemeinschaft derzeit eine gefährliche Angelegenheit werden kann.

Grund sind die Aerosole, die beim Singen ausgestoßen werden und in denen Coronaviren enthalten sein könnten. Diese halten sich über einen längeren Zeitraum in der Luft. Vor ein paar Tagen kam eine neue Studie heraus, aus der hervorgeht, dass die Aerosole beim Singen bis zu eineinhalb Meter weit fliegen. Deshalb heißt es weiter: Abstand halten.

Forscher empfehlen Chören, Stellwände zwischen den Sängern aufzustellen.

Die Forscher empfehlen, Stellwände zwischen den Sängern aufzustellen.
Jedes Bundesland hat eine eigene Corona-Eindämmungsverordnung, in Sachsen dürfen sich Chöre in geschlossenen Räumen treffen. In Berlin hingegen ist sie besonders streng, dort ist in geschlossenen Räumen schon das Singen zu zweit verboten. Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) empfahl daher den Chören, sich Gärten zum Singen zu suchen.

innenhof »Das haben wir auch getan«, sagt Regina Yantian, die in Berlin das Synagogal Ensemble Berlin und den Re’ut-Chor leitet. Ebenso ist sie die künstlerische Leiterin des Louis-Lewandowski-Festivals. Eine erste Probe fand in einem Garten statt, »aber das fanden die Nachbarn nicht so toll«. Glücklicherweise kann ein Chormitglied über einen Innenhof verfügen – wo nun Stimmbildung gemacht wird und Stücke einstudiert werden.

Der Innenhof sei akustisch viel besser geeignet als ein Garten, »denn da hatten wir uns wesentlich schlechter gehört«, so die Chorleiterin. Außerdem gebe es hier eine Steckdose, sodass sich das Keyboard anschließen lässt. Neue Sänger seien herzlich willkommen. Geprobt wird immer montags.

Die Proben per Zoom kamen in den meisten Fällen nicht gut an.

Als der Lockdown Mitte März kam, wurden alle Proben abgesagt. »Lieber vorsichtiger sein als krank werden.« Dann wurde auf Zoom geprobt, was aber bei den meisten nicht gut ankam, denn wegen der akustischen Verzögerung kann man nicht gemeinsam singen. Nun also der Innenhof. »Es gibt Menschen, die brauchen das Singen für ihre Seele«, sagt Yantian.

Ansteckungsgefahr Andere haben Bedenken und fürchten sich vor einer möglichen Ansteckung. »Das muss man natürlich respektieren und akzeptieren.« Etwa die Hälfte der Mitglieder des Re’ut-Chores kommt jeden Montag zur Probe. »Es geht uns im Übrigen ums gemeinsame Singen, nicht um die Auftritte.« Natürlich werden alle Corona-Regeln eingehalten.

Nach 35 Minuten Probe gibt es die erste Unterbrechung, da heißt es dann Lüften.

Wie es dann im Herbst und Winter weitergehen soll, wenn es kalt ist, wissen weder Virologen noch Politikern und natürlich auch keine Musiker. Die Hoffnung gibt es, dass sich die Lage entspannt und auch in Berlin in großen geschlossenen Räumen wieder gemeinsam gesungen werden darf. Der nächste Auftritt soll bei der Gedenkveranstaltung im September an dem Ort sein, wo früher die Köpenicker Synagoge gestanden hat.

Festival Das Lewandowski-Festival – dort hat Yantian die künstlerische Leitung inne – wird stattfinden, das weiß sie schon. Der Schwerpunkt wurde wegen Corona auf Instrumentalisten gelegt, und man lud ein Streichquartett und ein Saxophonquartett ein. Wenn alles gut geht, wird auch ein Chor aus Israel kommen.

»Die Sänger drängten schon, sie wollten wieder gemeinsam singen.«

Arkadi Pevtsov, Leiter des Nürnberger Synagogalchores

Immer wieder erreichen Arkadi Pevtsov Mails mit der Frage: »Wann können wir wieder gemeinsam singen?« »Nun sind sie froh, denn seit Ende Juni dürfen wir wieder«, sagt der Leiter des jüdischen Chores Nürnberg. Die Regeln heißen auch hier: Abstand, kleine Gruppen und regelmäßiges Lüften – denn der Chor trifft sich in einem geschlossenen Raum.

»Wir singen ohne Mundschutz, aber wenn einer aufsteht, um sich die Hände zu waschen, muss er den Mundschutz aufsetzen.« Maximal zehn Personen dürfen pro Einheit mitmachen. Nach 35 Minuten Probe gibt es die erste Unterbrechung, da heißt es dann Lüften.

Sopran In drei Gruppen (Sopran, Alt und Männer) sind die Laienmusiker eingeteilt. Vor Corona fanden die Proben in den Räumen der Jüdischen Gemeinde statt, aber da dort auch das Altersheim untergebracht ist, kamen diese Räume nicht mehr infrage, denn ein Risiko will keiner eingehen.

Nun treffen sich die Sänger donnerstags in den Räumen der Arbeiterwohlfahrt. Auf dem Probenplan stehen jüdische Lieder, die Arkadi Pevtsov extra arrangiert. Durch den Abstand seien die Proben für die Sänger anstrengender, denn man müsse nun konzentrierter zuhören und auf die anderen achten. »Aber das ist auch eine gute Übung«, sagt Arkadi Pevtsov. Das schon lange geplante Konzert im Januar möchte der Synagogalchor auf jeden Fall geben.

Woche DER BRÜDERLICHKEIT In Dresden hat es viele Infektionen gegeben, weshalb nun alle besonders vorsichtig sind. So sind die Gemeinderäume für die Öffentlichkeit noch geschlossen, sodass auch der Chor nicht in dem eigentlichen Zimmer proben kann, sagt die Leiterin Ursula Philipp-Drescher. Als der Lockdown kam, wurden die Feierlichkeiten im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit abgesagt – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sollte dort mit der Buber-Rosenzweig-Medaille 2020 geehrt werden. Corona verhinderte dies. Für die zwölf bis 14 Chormitglieder bedeutete dies: keine Treffen.

Dann gab es eine Begegnung per Zoom, »wo wir uns alle angeschaut haben«, und im vergangenen Monat fingen die Sängerinnen an, sich im Freien zu treffen. »Das hat aber mit einer Probe nichts zu tun, das war nur etwas für unsere Seele.«

Nun hat Ursula Philipp-Drescher einen Antrag beim Vorstand gestellt, in der Synagoge mit dem Chor proben zu dürfen, denn der Auftritt bei der Woche der Brüderlichkeit wird am 7./8. November nachgeholt. »Und im September können wir ja wegen der Feiertage nicht üben.« Sie hat sich ein anspruchsvolles Programm für den vier- bis fünfstimmigen Frauenchor überlegt und muss noch einiges arrangieren.

Abstand Mittlerweile hat der Chor eine Sondergenehmigung erhalten. »Natürlich sind die Regeln ein Muss – aber wir wenigen Frauen werden in der großen Synagoge kein Problem haben, Abstand zu halten.« Beide Türen werden offen bleiben.

Auch der Synagogalchor Leipzig hat Pläne für die nahe Zukunft: So soll demnächst ein Sommersingen in einem Garten stattfinden – allerdings ohne Publikum. Mit dem Gesundheitsamt sei dies bereits abgesprochen, so Katharina Schubert. Sie hofft, dass der Chor ab September wieder auftreten kann. Aber wie, weiß man noch nicht. Möglich wäre auch eine kleinere Besetzung.

Vor Corona trat der Chor ein- bis zweimal im Monat auf. Gegründet worden war er 1962 von Oberkantor Werner Sander. Fraglich ist nun, wie die nächsten Gedenktage gestaltet werden, denn bisher hat sie der Chor musikalisch bereichert.

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