Das Hupen war infernalisch, die Nachbarn schnell am Fenster, das Geburtstagskind (wie mit seiner Gattin vorab hinterrücks verabredet) pünktlich vor der Haustür – und die Überraschung vollauf gelungen. Daniel hatte seine Party zum 40. Geburtstag ursprünglich zwar deutlich anders geplant, aber der girlandenbeschmückte Autokorso mit fliegenden Luftballons und »Happy Birthday« singenden Freunden ließ den Corona-Genervten dann doch glücklich dreinblicken.
Das war Anfang Mai. Mittlerweile dürfen in Hessen – natürlich nur mit ausgefeiltem Hygiene- und Abstandskonzept – wieder Feiern mit bis zu 250 Personen stattfinden. Aber noch läuft es eher nach dem Zitat aus der Serie Friends: »Ich wünschte, ich könnte. Aber ich will nicht.«
Geburtstag So auch bei Daniel. Die Geburtstagsparty will er erst nachholen, »wenn wir uns alle unbesorgt treffen können. Zumindest viel unbesorgter, als es derzeit noch möglich ist«.
Aktueller Klassiker: kleines kurzes Event zum Termin und dann irgendwann die große Party. Zumindest, wenn DJ Sivan Neuman in seinen Terminkalender schaut, sieht es danach aus: Bis Ende Juli ist er quasi leer. Für August hat er wieder einige Aufträge, allerdings eher in Österreich und in der Schweiz. »In Deutschland sind viele psychisch noch nicht bereit. Es ist alles sehr wackelig«, sagt der Musiker, dem die Live-Auftritte fehlen.
Der Applaus kam für DJ Sivan Neuman per Facebook-Kommentar.
»Drei Monate ohne Publikum, das hatte ich zuletzt als Teenager. Nicht live performen zu können, das fühlt sich so an, wie wenn man wütend ist und es nicht rauslassen kann.« Zum Ausgleich hat er in der harten Corona-Zeit zumindest Livestreams gemacht. »Auch wenn ich nur meinen Kühlschrank als Publikum hatte.«
Facebook Wobei Letzteres nicht ganz stimmt. Zuschauer gab es jede Menge, nur eben für den DJ unsichtbar an Computern und Smartphones; zumindest der Applaus kam per Facebook-Kommentar. Zu Jom Haazmaut legte Neuman sogar im Auftrag der Jüdischen Gemeinde Frankfurt im leeren Gemeindezentrum auf; die Live-Übertragung nutzen die Zuhörer dann zur heimischen Israel-Party.
Aber wie ist es denn mit den klassischen Simches? Brit Mila, Bat- und Barmizwa, Hochzeit – kann man frei agieren, wie man will? »Bei der Brit Mila ganz klar: Nein!«, sagt der Frankfurter Gemeinderabbiner Julian-Chaim Soussan. »Ist das Neugeborene gesund, muss die Beschneidung am achten Tag stattfinden.« Praktisch: »Einen Minjan zu haben, ist dafür keine Bedingung.« Die Mizwa müsse erfüllt werden, die Feier indes könne man natürlich nachholen, das »L’Chaim« später ausgeben, »damit alle gesund sein sollen und auch das Kind seinen Segen und seine Wünsche bekommt«, erklärt der Rabbiner.
In die Corona-Bredouille geraten war beispielsweise die Frankfurter Chabad-Familie Mendelson. Der kleine Shmulik wurde am 25. März im kleinsten Kreis zu Hause beschnitten. Neben den Eltern, vier Geschwistern und dem Onkel als Sandak waren nur der Mohel, Rabbiner Landau aus Antwerpen und dessen Kollege anwesend. »Rabbiner Landau war extra einen Tag vorher angereist, damit wir Zeit hatten, falls er es nicht über die Grenze schafft«, berichtet Vater Moischi Mendelson. Damit die ganze Familie und Freunde ebenfalls dabei sein konnten, wurde die Brit unter dem Titel »Mendelson 5.0 pro« live auf Facebook und per Zoom übertragen.
minjan Zu Hause und ohne Minjan: Das lässt sich machen. Bei der Barmizwa sieht das anders aus. »Mädchen sind nach ihrem zwölften, Jungen nach ihrem 13. Geburtstag religionsmündig, und zwar unabhängig davon, ob sie feiern oder nicht«, betont Rabbiner Soussan. Alle Ge- und Verbote seien ab diesem Moment einzuhalten. Es sei damit vergleichbar, wenn man 18 Jahre alt wird. Dann sei man ja auch – ohne eine Party gefeiert zu haben – vor dem Gesetz mit allen Pflichten und Rechten volljährig.
Aus religiöser Sicht betrachtet, könne man die Bat- oder Barmizwa jederzeit feiern, für Mädchen gebe es ohnehin keine feststehende Form. Für Jungen kann der religiöse Teil, das erste Legen der Tefillin und das Vortragen aus der Tora, in Frankfurt seit dem 1. Mai wieder stattfinden. Seitdem sind – zumindest in der Westend-Synagoge – wieder Gottesdienste erlaubt.
Bima Der äußere Rahmen allerdings ist gezwungenermaßen noch nicht richtig simchestauglich. Es liegt eine Teilnehmerliste aus, es wird empfohlen, Masken zu tragen, und das Abstandsgebot ist verpflichtend. An der Bima darf derzeit ausschließlich der Vortragende aus der Tora (Ba’al Kore) stehen. Wer einen Aufruf bekommt, sagt die Segenssprüche aus mindestens einem Meter 50 Entfernung. Das Küssen der Tora ist nicht gestattet, genauso wenig das Singen.
Trotz der Einschränkungen haben seit dem 1. Mai bereits zwei Jungen ihre Barmizwa gefeiert. »Wir haben das ›Siman Tov und Mazal tov‹ gesprochen statt gesungen«, berichtet Rabbiner Soussan, »auch getanzt wurde nicht.« Doch sieht er in dem verhaltenen Feiern auch Gutes. »Es ist für die Kinder immer schön, zu zeigen, was sie gelernt haben. Und wenn die Gäste nicht einfach einer Melodie folgen, haben sie mehr Zeit, sich mit den Inhalten zu beschäftigen.«
Ohne Singen, Tanzen, Umarmungen und vor allem ohne die Familie aus dem Ausland – das ist für Sabina, Barbara und Nava keine Option. Alle drei haben daher die Batmizwa-Feiern ihrer Töchter verlegt. Sabina hatte die Party zunächst für August angesetzt, aber da es »sehr unrealistisch ist, dass die Familie aus Kanada dann anreisen kann«, ist jetzt der Februar 2021 vorgesehen.
stornierungen Wer je eine große Feier geplant hat, weiß, was das an Umorganisation, Verschiebungen und Stornierungen nach sich zieht. Das schlägt bis auf die Dienstleister durch: »95 Prozent der Aufträge seit dem Corona-Lockdown wurden verschoben«, sagt DJ Sivan Neuman.
Komplett storniert wurde nur sehr wenig, wie etwa eine große Hochzeit. Finanziell hat Corona natürlich alle Anbieter kräftig gebeutelt, wobei Neuman »zum Glück hauptberuflich einen anderen Job« hat und sich freut, dass er viel Zeit mit seiner Familie verbringen konnte. Nächstes Jahr werde es dafür eng. »Es wird einen Wettkampf um die Hotspot-Daten geben«, prognostiziert er.
Wobei man Hochzeiten aus halachischen Gründen eigentlich nicht verschieben sollte. Denn erst, »wenn die Ehe geschlossen ist, kann sie auch ihren Zweck erfüllen«, wie Rabbiner Soussan diskret formuliert. In Israel haben daher auch während des Corona-Lockdowns Hochzeiten stattgefunden. In Minimalbesetzung: Brautpaar, Rabbiner und eine weitere Person als zweiter Trauzeuge.
Dor konnte die Hochzeit seines Bruders nur auf Zoom verfolgen.
Weil Aufschieben eben nicht infrage kommt, hat auch Dor, der derzeit in Wien lebt, die Hochzeit seines Bruders in Netanja nicht live miterlebt. Bis eine Woche vor der Trauung habe er noch gehofft, nach Israel fliegen zu können. Daraus wurde nichts, er konnte die Chuppa nur per Zoom verfolgen.
»Es hat sich sehr komisch angefühlt, und natürlich war ich sehr traurig darüber. Ich habe mich ex-tra schick angezogen und einen Wein gekauft, um von fern mit anstoßen zu können.« Nach der Chuppa habe ihn dann seine Schwester per Facetime angerufen – »so konnte ich wenigstens etwas von dem Tag und der Feier mitbekommen. Ich bin froh, dass die Technik mir das Gefühl geben konnte, dabei zu sein«. Dennoch freut er sich schon jetzt auf die Live-Nachfeier.
Schutz Auch in der Henry-und-Emma-Budge-Stiftung soll einiges nachgeholt werden, sobald die Schutzmaßnahmen das erlauben. Denn nicht nur die Stiftung selbst wird im November 100 Jahre alt. Im September soll dort eigentlich wieder eine Barmizwa-Feier stattfinden. Ob dies möglich sein wird, steht noch in den Sternen.
Aber wenigstens bewahrheitet sich hier die Lebensweisheit, dass nichts so schlecht ist, dass es nicht für irgendetwas gut wäre: Weil die Synagoge in der Budge-Stiftung in Corona-Zeiten zu klein fürs Gebet ist, wird sie derzeit renoviert. »Nach 17 Jahren war es ohnehin höchste Zeit«, sagt Rabbiner Andrew Steiman. Zumindest in Sachen Synagogen-Outfit steht den Simches dann nichts mehr im Weg.