Itamar Cohen führt den Einzug der Rabbiner in die Synagoge Rykestraße an. In ein paar Minuten wird der 39-Jährige seine Urkunde erhalten, und die Freude ist ihm bereits anzusehen. Ihm folgen die anderen zukünftigen Rabbiner und Kantoren und schließlich die bisherigen Absolventen. »Ich freue mich, denn ich habe etwas Großartiges erreicht«, sagt Cohen später, nachdem ihm ein Gebetsschal über seine Schultern gelegt worden war. Nun ist er Kantor.
Und Eliyahu Schleifer, der ihm als ehemaliger Leiter der Kantorenausbildung des Abraham Geiger Kollegs (AGK) in Potsdam die Urkunde überreichte, findet dabei lobende Worte: »Du hast eine schöne Stimme.« Cohens Stimme werden nun die Beter der Jüdischen Kultusgemeinde Erlangen regelmäßig hören, denn dort wird er künftig amtieren.
Zeremonie Die Synagoge Rykestraße bietet einen würdigen Rahmen für die Zeremonie der Amtseinführung der vier Rabbiner und zwei Kantoren, die am AGK studiert haben. Zu dem feierlichen Anlass sind zahlreiche Gäste, unter ihnen auch Politiker, Gemeindevertreter, Rabbiner, Kantoren, Freunde und Familienangehörige gekommen.
Es ist die erste Ordination seit dem Bekanntwerden von Vorwürfen des Machtmissbrauchs gegen den Gründer des AGK, Rabbiner Walter Homolka. Doch während der Feier geraten die Probleme in den Hintergrund, zu sehr freuen sich die Absolventen auf diesen Moment. Auch Alexander Kovtun ist gerührt, als er zu seiner Ordination schreitet. Der derzeitige Leiter der Kantorenausbildung, Isidoro Abramowicz, legt ihm den Tallit über die Schultern, die Urkunde erhält er von Rabbiner Edward van Voolen. Voller Energie streckt der zukünftige Rabbiner der Liberalen Gemeinde in Hannover die Urkunde nach oben. Die Besucher applaudieren – wie bei jedem anderen Absolventen.
Zum Öffnen des Toraschreins wird auch Zentralratspräsident Josef Schuster eingeladen.
Zum Öffnen des Toraschreins wird auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, eingeladen. Er gratuliert den Absolventen: »Als Rabbiner und Kantoren nehmen Sie eine zentrale Rolle für das Leben der jüdischen Gemeinschaft wahr. Sie werden gebraucht.« Zugleich versichert er, dass der Zentralrat sich dafür einsetzen wird, dass die liberale und konservative Rabbinerausbildung in Potsdam eine Zukunft hat.
Zukunft Die neuen Rabbiner wissen bereits, wo sie in Zukunft tätig sein werden. Doyle-Du Breuil aus Schottland wird bei der International Jewish Community IJC in Brüssel im Einsatz sein, David Leo Eisencraft aus Brasilien geht in seine Heimat zurück, und zwar an die Neshamá Minyan at Congregação Israelita Paulista in São Paulo, Alexander Kovtun aus der Ukraine zieht es nach Hannover, und Shimon Nikitenko aus Belarus wird nach Südafrika auswandern, um an der Bet David Synagogue in Sandton, Johannesburg, zu amtieren.
Kovtun hat sich in den vergangenen Monaten bei Hilfsaktionen für ukrainische Geflüchtete engagiert. Ein Rabbiner müsse für die Menschen da sein, sagt er. Er sei eine Art Vermittler zwischen der jüdischen Tradition und der modernen Welt.
Ihre Investitur erhielten der aus Israel stammende Itamar Cohen und Ivan Kohout aus Tschechien. Cohen wird, wie erwähnt, in Erlangen amtieren, Kohout wird Kurator im Jüdischen Museum Prag und Kantor in Bejt Simcha Prag und Decin in Tschechien.
Jeder Absolvent stellt seinen Leitsatz aus dem Tanach vor.
Jeder Absolvent stellt seinen Leitsatz aus dem Tanach kurz vor. »Wir haben uns bewusst dafür entschieden, dass sie zu Wort kommen und im Mittelpunkt stehen, denn es ist ihre Feier«, so Isidoro Abramowicz. Den Segen spricht jeder in seiner Muttersprache – Russisch, Spanisch, Tschechisch, Hebräisch und Englisch – und anschließend gemeinsam auf Hebräisch. Es singt der Chor der Synagoge Pestalozzistraße, der vom Organisten Jakub Stefek begleitet wird.
Vorwürfe Kurz vor der Feier gab die derzeitige Leitung des Abraham Geiger Kollegs unter Interimsdirektorin Gabriele Thöne eine Pressekonferenz und kündigte an, dass sich das Rabbinerseminar neue Strukturen geben will. Diese würden derzeit erarbeitet. Weiterhin setze man sich mit den Vorwürfen auseinander. »Wir stellen uns den Fragen, die diese Krise aufwirft«, sagte Thöne. Der »Geist der Institution« sei nicht verletzt. Es gelte nun, im Gespräch zu bleiben, Transparenz zu schaffen und nicht in Sprachlosigkeit zu verfallen.
Im Frühjahr waren Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegen AGK-Gründer Rabbiner Walter Homolka öffentlich geworden. Eine Untersuchung der Universität Potsdam hatte Ende Oktober Vorhaltungen in Teilen bestätigt. Welche Rolle Homolka zukünftig haben werde, ließ Thöne offen: »Wir machen unsere Struktur ohne Ansehen der Person.« Am Montagabend informierte das AGK darüber, dass eine Ausbildungsstiftung Trägerin der Rabbinerausbildung werden solle. Homolka werde der Stiftung nicht angehören. Er selbst wird in der Pressemitteilung mit den Worten zitiert, dass er seinen künftigen Tätigkeitsschwerpunkt in der wissenschaftlichen Forschung und als Professor der Universität Potsdam sehe.
Der Zentralrat der Juden hatte für Mittwoch die Zusammenfassung des vorläufigen Untersuchungsberichts der Kanzlei Gercke Wollschläger zu Vorwürfen des Machtmissbrauchs und der sexualisierten Belästigung am Abraham Geiger Kolleg angekündigt.