Ein weißes Pappschild, auf dem drei Wörter stehen: »Omas gegen Rechts«. Zu sehen ist das schlichte Schild überall dort, wo es gilt, den Mund aufzumachen und sich nicht wegzuducken. So wie vor Kurzem bei einem Protest gegen den AfD-Parteitag in Riesa, bei einer Aktion von »Laut gegen Nazis« in Bremen oder bei einer Gedenkveranstaltung zum Internationalen Holocaustgedenktag in Bochum.
Ein lila Trikot, auf dem vier Wörter stehen: »CURA Opferfonds rechte Gewalt«. Damit wollten die Fußballer des Traditionsvereins Tennis Borussia Berlin beim Heimspiel gegen den FSV Union Fürstenwalde Ende Juli 2021 eigentlich auflaufen. Doch der Nordostdeutsche Fußballverband untersagte es ihnen. »Politische Aussagen jeglicher Art« seien auf der Spielerkleidung nicht erlaubt. So wurden die Trikots zwar nicht getragen, verkauften sich im Fanshop anschließend aber sehr gut.
HINSCHAUEN Weiße Schilder, lila Trikots: Dahinter stehen Menschen, die sich politisch engagieren, die hinschauen und sich für die Schwächeren in der Gesellschaft starkmachen. Am Sonntag wurden Tennis Borussia Berlin und die »Omas gegen Rechts«, vom Zentralrat der Juden in Deutschland mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet. Die »Omas«, wie sie sich selbst nennen, waren bereits 2020 damit bedacht worden, die Auszeichnung konnte damals jedoch bislang coronabedingt nicht überreicht werden. TeBe Berlin ist der Preisträger des Jahres 2022.
Der Preis wird seit 2009 in Erinnerung an den früheren Zentralratspräsidenten Paul Spiegel sel. A. und dessen Engagement gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sowie für eine starke Bürgergesellschaft vergeben. Er ist mit 5000 Euro dotiert. Spiegels Witwe Gisèle und ihre Tochter Leonie hatten eigentlich geplant, an der Preisverleihung teilzunehmen, mussten aber krankheitsbedingt absagen.
Zentralratspräsident Josef Schuster würdigte beim Festakt in Berlin die aktuellen und bisherigen Träger des Paul-Spiegel-Preises, wie beispielsweise Vertreter des Vereins »Gesicht Zeigen!« und der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus. Gleichzeitig merkte er an, dass es neben den nun Ausgezeichneten »viele Millionen Menschen in unserem Land gibt, die für die Demokratie eintreten. Das sollten wir nicht übersehen, wenn die Gegner der Demokratie gerade besonders laut sind.«
Zugleich warnte Schuster vor einer wachsenden Radikalisierung der Bevölkerung durch die Corona-Pandemie und appellierte: »Wir brauchen eine mutige Zivilgesellschaft, die Haltung zeigt und sich in ihrer demokratischen Überzeugung nicht beirren lässt.« Dafür benötigten allerdings die Initiativen, »die so tapfer ihre Arbeit machen« eine ausreichende Unterstützung des Staates. Er forderte die Bundesregierung dazu auf, »höchste Priorität auf die Erarbeitung des Demokratiefördergesetzes zu legen«.
»Wir brauchen eine mutige Zivilgesellschaft, die Haltung zeigt«, betont Josef Schuster.
Das, erwiderte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), würde auch »hochprioritär« getan, um das Projekt »in diesem Jahr noch zum Abschluss zu bringen«. Zugleich machte sie klar, dass es wichtig sei, »eindeutig Haltung zu beziehen, zu formulieren, zu handeln« und »ausdrücklich keinen Raum für Mehrdeutigkeiten lassen, wenn es um Zivilcourage geht, erst recht, wenn es gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus geht«.
Paus dankte den Preisträgern für ihr Engagement. »Sie tragen ihren Mut und ihre Leidenschaft für Vielfalt und Demokratie in die ganze Breite unserer Gesellschaft. Sie sind wahre Vorbilder.«
SYMPATHIE Eine kleine silberne Schleife, ein schwarzes Shirt mit zwei Tischtennisschlägern: Fans der »Omas gegen Rechts« und von TeBe Berlin können ihre Sympathien sichtbar durch ein kleines Stück Stoff und ein größeres zeigen. Die Publizistin Carolin Emcke, die am Sonntag die Laudatio hielt, trat mit beiden gleichzeitig auf, mit TeBe-Shirt und Omas-Schleife.
In ihrer Rede betonte Emcke, dass sie »nicht allein mit Freude, sondern zugleich mit Unbehagen und zornigem Schmerz« spreche. Es gebe einen tief sitzenden, machtvollen Antisemitismus, und es brauche bürgerlichen Mut, um dagegen einzuschreiten. Man müsse klar aussprechen, so Emcke, »dass der Grund für diese Auszeichnung im wachsenden Antisemitismus in dieser Gesellschaft liegt.« Das Thema sei keineswegs erledigt oder bewältigt. Es brauche den wachen Einspruch »nicht nur vom Zentralrat der Juden und von Jüdinnen und Juden, sondern von allen in dieser demokratischen Gesellschaft«.
Dass sich gerade ältere und erfahrene Menschen nicht zurückzögen, sondern sich trotz Mühen und vieler Anfeindungen für andere einsetzten, sei beeindruckend. »Es sind Menschen mit langen Leben, die da auf die Welt schauen. Es sind Menschen, für die Zeit eine knappe Ressource ist.« Dass diese Generation nicht aufgebe, nicht müde werde, es sich nicht bequem mache »trotz Schmerzen in den Füßen oder in den Gelenken«, sei, so die Laudatorin, eine große Inspiration.
Die Aktivistinnen von »Omas gegen Rechts« wie auch TeBe zeichne aus, dass sie »gehörigen Spaß« daran hätten, »dem rassistischen, homo- oder frauenfeindlichen, antisemitischen Gegenüber ihre humanistische Lebensfreude, ihren Witz, ihre Lust auf eine andere Gesellschaft entgegenzuhalten«.
TeBe Berlin habe für sich beschlossen, ein Verein zu sein, der hinsieht. Die lange Geschichte des 120 Jahre alten Berliner Sportclubs sei auch eine jüdische, und sie sei eng verbunden mit dem Showmaster Hans Rosenthal, der die Schoa versteckt in Berlin überlebte und später die Prominentenelf des Vereins gründete. TeBe schaffe ein Klima, in dem sich alle zugehörig fühlten, in dem niemand etwas von sich verbergen müsse, betonte Emcke. Tennis Borussia zeige, was möglich sei. »Das Atrappenengagement vieler anderer Vereine, die zwar bei allen symbolpolitischen Gesten und ritualisierten Bekenntnissen zu Respekt und Diversität dabei sind, es wird durch TeBe als verlogen und substanzlos entlarvt.« Der Verein beschäme alle anderen Clubs, »die so tun, als ließe sich gegen Hass nichts ausrichten«.
Die 120 Jahre alte Geschichte von Tennis Borussia ist auch eine jüdische Geschichte.
TeBe-Vorstandsmitglied Tobias Schulze verwies in seiner Dankesrede auf Institutionen, die sich für Zivilcourage aussprechen und dafür ausgebremst und entmutigt würden. »Und deswegen tut es dann umgekehrt so gut, wenn wir Bestätigung bekommen.« Die Nachricht von der Preisverleihung habe Rückenwind gegeben.
»Vereine und Verbände könnten es sich einfach machen und sagen: ›Politik geht uns nichts an, wir spielen nur Fußball.‹« Aber das stimme eben nicht, sagte Schulze. »Es gibt im Fußball Nazis und Rassisten, es gibt Hass und Diskriminierung. Wer dazu schweigt, überlässt ihnen den Raum. Wer Farbe bekennt, kann etwas verändern. Der Paul-Spiegel-Preis macht in diesem Jahr Mut, sich zwischen den beiden Optionen für die richtige zu entscheiden.«
WERTVOLL Für die »Omas gegen Rechts« sagte Gründerin Anna Ohnweiler, die gemeinsame Preisverleihung mit TeBe zeige auch den Zusammenhalt der Generationen und die gemeinsamen Ziele auf. »Wir wollen in einem Deutschland leben, in dem alle Menschen, unabhängig, woher sie kommen, unabhängig, welche Hautfarbe oder Religion sie haben, gemeinsam Zukunft gestalten.« Der Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage sei sehr wertvoll. »Er zeigt uns, dass wir wahrgenommen werden. Vor allem, dass es uns auch in unserem Alter noch gelingt, Zeichen zu setzen, auch wenn es nicht allen gefällt«.
Vertreter beider Vereine nahmen die Ehrung von Josef Schuster sowie den Zentralratsvizepräsidenten Mark Dainow und Abraham Lehrer entgegen. Wie verdient die Auszeichnung ist, hatte Schuster in seiner Rede zuvor nochmals deutlich gemacht: »Dass ich immer noch an Deutschland als Zuhause oder derzeit als Zufluchtsstätte für Juden glaube, das liegt an Menschen wie Ihnen«, betonte Schuster. »An älteren Damen – und auch Herren – pauschal genannt: Omas –, die sich Rechtsextremisten entgegenstellen. Das liegt an Sportvereinen wie Tennis Borussia Berlin, bei denen für Antisemitismus und Rassismus kein Platz im Stadion ist.«
ÜBERZEUGUNG Genau diese engagierten Menschen seien es, so Schuster, »die uns Juden sagen lassen: Deutschland ist unser Zuhause.« Er zitierte aus Paul Spiegels Rede vom 9. November 2000. Dieser hatte damals anlässlich des Gedenkens an die Novemberpogrome im Jahr 1938 gesagt: »Unsere Eltern haben sich nach dem schrecklichen Leiden entschlossen, wieder in Deutschland zu leben und jüdische Gemeinden zu gründen. Wir sind nach wie vor der festen Überzeugung, dass dieser Entschluss richtig und wichtig war. Wir brauchen aber deutliche Signale, dass die nichtjüdische Bevölkerung in ihrer Mehrheit uns und unsere jüdischen Gemeinden in diesem Lande haben wollen.«
Diese deutlichen Signale seien von Menschen, die sich bei den Omas gegen Rechts und bei Tennis Borussia Berlin engagieren, zu vernehmen, ergänzte Schuster. »Sie tun damit sehr viel für die jüdische Gemeinschaft. Aber noch viel mehr für Deutschland insgesamt.«