Auszeichnung

»Sie rettete Leben«

Als Sir Konrad Schiemann acht Jahre alt war, nahm ihn seine Urgroßtante Elisabeth Schiemann auf. Denn das Waisenkind hatte gerade seine Mutter verloren. Mehr als 70 Jahre später sitzt Konrad Schiemann, Jahrgang 1937, im Dahlemer Harnack-Haus der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und lauscht gemeinsam mit etwa 30 weiteren Familienangehörigen den Berichten über die Taten seiner Urgroßtante, der Botanikerin und Nazi-Gegnerin.

Elisabeth Schiemann und ihre Schwester Gertrud retteten den jüdischen Schwestern Andrea und Valerie Wolffenstein das Leben, indem sie Andrea vorübergehend bei sich aufnahmen und Valerie bei Freunden versteckten. Dafür wurde Elisabeth Schiemann (1881–1972) postum schon 2014 von der Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Yad Vashem als »Gerechte unter den Völkern« geehrt; nun erhielten die Angehörigen die Urkunde und die Medaille. »Sie hat nie mit mir darüber gesprochen, und auch ihr Bruder, mein Großvater, hat nie ein Wort darüber verloren«, sagt Konrad Schiemann tief bewegt.

mut »Sie stellte sich den Realitäten entgegen, ließ sich nicht den Mund verbieten und rettete Leben«, sagte Israels Botschafter Jeremy Issacharoff. MPG-Präsident Martin Stratmann betonte, dass Elisabeth Schiemann eine ausgezeichnete Wissenschaftlerin war. Immer wieder hatte sie Mut bewiesen.

So bemühte sie sich hartnäckig um eine Stellungnahme der Bekennenden Kirche, der sie angehörte, gegen die staatliche Judenverfolgung, schrieb eine Eingabe an den Minister gegen die unmenschliche Behandlung im Auswanderungsbüro und protestierte lautstark gegen den Rassismus im Kollegenkreis – übrigens als Einzige, wie Sandra Witte, Mitarbeiterin der israelischen Botschaft, in ihrer Laudatio betonte.

Schiemann hielt zudem Kontakt zu ihrer Freundin, der Kernphysikerin Lise Meitner, die 1938 ins schwedische Exil ging. Wegen »Zweifeln an ihrer politischen Zuverlässigkeit« wurde Schiemann 1940 die Professur entzogen.

Als ihre Schwester Getrud ihr erzählte, dass Andrea und Valerie Berlin nicht mehr rechtzeitig würden verlassen können, stand für Elisabeth Schiemann fest, dass sie ihnen helfen würde – trotz ihrer eigenen schwierigen Lebenslage. Die jüdischen Schwestern mussten Zwangsarbeit leisten, und es drohte ihnen die Deportation. Deshalb beschlossen sie unterzutauchen. Sie schrieben Abschiedsbriefe in der Hoffnung, dass die Gestapo sie daraufhin nicht suchen würde. Bis Mitte 1944 versteckten sie sich in Berlin, dann konnten sie mit gefälschten Papieren die Stadt verlassen.

kontakt Andrea und Valerie Wolffenstein blieben auch nach der Schoa in Deutschland und hielten den Kontakt mit den Schiemann-Schwestern. Ein Foto zeigt die vier Freundinnen in den 60er-Jahren. Während Elisabeth kein Aufhebens davon machte, ihr Leben riskiert zu haben, berichteten Andrea und Valerie Wolffenstein später davon.

»Sie hat gezeigt, dass man doch etwas tun konnte«, sagte Sandra Witte. Elisabeth Schiemann hätte wahrscheinlich gesagt, dass sie so eine Ehrung nicht benötige. »Aber wir brauchen sie, denn die Geschichten müssen erzählt werden«, sagte Sandra Witte. Und Kai Diekmann, Vorsitzender des Freundeskreises Yad Vashem in Deutschland, betonte: »Lassen Sie uns nie aufhören, diese Geschichten zu erzählen.«

»So viele Familienangehörige hatten wir noch nie bei einer Ehrung«, sagte Sandra Witte. 601 Namen aus Deutschland stehen nun auf der Erinnerungswand in Yad Vashem in Israel für Menschen, die während der Schoa Juden gerettet haben.

Forschung

Vom »Wandergeist« einer Sprache

Die Wissenschaftlerinnen Efrat Gal-Ed und Daria Vakhrushova stellten in München eine zehnbändige Jiddistik-Reihe vor

von Helen Richter  14.01.2025

Nachruf

Trauer um Liam Rickertsen

Der langjährige Vorsitzende von »Sukkat Schalom« erlag seinem Krebsleiden. Er war ein bescheidener, leiser und detailverliebter Mensch

von Christine Schmitt  14.01.2025

Porträt der Woche

Keine Kompromisse

Rainer R. Mueller lebt für die Lyrik – erst spät erfuhr er von seiner jüdischen Herkunft

von Matthias Messmer  12.01.2025

Familien-Schabbat

Für den Zusammenhalt

In den Synagogen der Stadt können Kinder und Eltern gemeinsam feiern. Unterstützung bekommen sie nun von Madrichim aus dem Jugendzentrum »Olam«

von Christine Schmitt  12.01.2025

Köln

Jüdischer Karnevalsverein freut sich über großen Zulauf

In der vergangenen Session traten 50 Neumitglieder dem 2017 gegründeten Karnevalsverein bei

 11.01.2025

Vorsätze

Alles neu macht der Januar

Vier Wochen Verzicht auf Fleisch, Alkohol und Süßes? Oder alles wie immer? Wir haben Jüdinnen und Juden gefragt, wie sie ihr Jahr begonnen haben und ob sie auf etwas verzichten

von Brigitte Jähnigen, Christine Schmitt, Katrin Richter  09.01.2025

Würdigung

»Vom Engagement erzählen«

Am 10. Januar laden Bundespräsident Steinmeier und seine Frau zum Neujahrsempfang. Auch die JSUD-Inklusionsbeauftragte Jana Kelerman ist dabei

von Katrin Richter  09.01.2025

Gedenktag

Uraufführung mit den »Violins of Hope«

Ein besonderes Konzert anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz hat sich das Rundfunk-Sinfonieorchester vorgenommen. Es interpretiert ein Werk für die Geigen, die die Schoa überstanden haben

von Christine Schmitt  08.01.2025

Universität

Preise der »World Union of Jewish Students« in Berlin vergeben

Die weltweite Vertretung jüdischer Studierender hat ihr 100-jähriges Bestehen gefeiert und besonders verdienstvolle Personen und Verbände ausgezeichnet

 07.01.2025