Herr Shachar, noch bis zum 14. Mai ist in der St. Elisabeth-Kirche Ihr »The Cast Whale Project« zu sehen – ein lebensgroßer Wal. Was hat es damit auf sich?
Ich habe 2009 geträumt, dass ich einen Wal abgieße. Als ich aufwachte, machte ich eine Skizze von diesem Wal, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Drei Jahre habe ich dann damit gar nichts gemacht, denn ich wusste nicht, wie sich diese Idee verwirklichen lassen sollte. Trotzdem hat mich die Idee nicht losgelassen – ich wollte versuchen, sie doch zu realisieren.
Den Wal, den die Besucher nun ausgestellt sehen, gab es wirklich. Wie kam es dazu?
Dahinter steckt eine lange Vorbereitungsphase. Man braucht Genehmigungen, ein Team, das auf Abruf zur Verfügung steht. Ich hatte vor, das Projekt hier in Deutschland zu machen. Ich traf mich in Stralsund und Bremerhaven mit Meeresbiologen, aber schnell wurde klar, dass es sich hier nicht umsetzen lassen würde. Und irgendwann kam ich auf Südafrika.
Weshalb?
Dort stranden viele Wale, es ist näher als Neuseeland oder Australien, und in Südafrika sind Wale einfach ein großes Thema. Ich fuhr dann 2015 mithilfe der Kunststiftung NRW für drei Monate nach Südafrika – zur Walsaison. Ich hatte eine Liste mit Meeresbiologen recherchiert und ging mit dem Plan, eine Kooperation mit einem Museum oder einer Institution einzugehen, auf Reisen. Mithilfe eines Kurators des Naturkundemuseums in Kapstadt konnte ich Kontakt zu den für das Projekt relevanten Personen aufnehmen. Ich habe dann sukzessive alle Genehmigungen eingeholt. Es war ein Abenteuer, diese drei Monate.
Aber woher kam denn dann der Wal?
Wir haben zweieinhalb Jahre auf den richtigen Wal gewartet, denn wir hatten nur die Genehmigung erhalten, einen Abguss von einem Buckelwal zu machen. Unser Team wusste: Wenn der Wal kommt, dann muss alles sehr schnell gehen. Der Wal, den wir dann abgeformt haben, wurde bereits tot in Lamberts Bay, dem Ort, in dem unser Teamleiter lebt, angespült. Also passte irgendwie alles. Dann ging es sehr schnell: Donnerstag wurde er angespült, Freitag trafen wir die Entscheidung, ihn abzuformen, Samstag fing das Team mit der Arbeit an, Samstagnacht war ich in Südafrika, und Montag waren wir mit dem Abformen fertig. Schon am nächsten Tag war der Wal von der Flut wieder ins Meer zurückgeholt worden.
Der Wal ist ein symbolisches Tier, das auch in der Literaturgeschichte immer wieder vorkommt. Wofür steht er für Sie?
Ich sehe ihn vor allem als autonome Skulptur. Mir war wichtig, den Moment mit diesem majestätischen Tier einzufangen, bevor man Worte dafür findet. Den Augenblick vor der Interpretation. Man hat nie die Gelegenheit, eine so intime Begegnung mit einem Wal zu haben. Es ist eine physische Begegnung. Natürlich ist der Wal mythologisch und symbolisch aufgeladen, aber ich finde, seine Präsenz ist derart stark, dass er alleine wirkt. Der abgegossene Wal ist auch ein Dokument für die Zukunft. Wer weiß, ob es in 25 Jahren noch Wale geben wird?
Warum haben Sie eigentlich von einem Wal geträumt?
Ich denke, dass ein Wal nicht nur bei mir, sondern auch bei vielen anderen Menschen tief im Unterbewusstsein verwurzelt ist. Wir lesen in der Kindheit darüber, es gibt viele Märchen und Geschichten. Aber wir haben fast nie die Gelegenheit, Wale wirklich zu sehen. Sie sind wie ein unerreichbarer Traum. Sie leben in einer Parallelwelt. Ich finde, sie kommen aus einer anderen Zeit.
Wenn Sie nicht Wale abformen, dann machen Sie andere Abgüsse. Was ist das Besondere an dieser Kunst?
Ich habe mit Abgüssen angefangen, weil ich mit der Malerei eine Krise hatte. Ich fühlte mich von den einfachsten Entscheidungen, die ein Maler treffen muss, überfordert. Welches Bild sollte wie groß sein? Und Abgüsse waren meine Lösung der Probleme, die ich mit der Malerei hatte. Die Größe und die Form ist bereits vorgegeben. Das war eine echte Befreiung für mich.
Mit dem Künstler sprach Katrin Richter.