In Norddeutschland steigt die Angst vor gewalttätigen Übergriffen auf jüdische Einrichtungen. Obwohl die Polizei Schleswig-Holsteins betont, dass es in den vergangenen Jahren keine Angriffe auf jüdische Institutionen oder Bürger gegeben habe, halten es viele Gemeinden für notwendig, zusätzlich zu den bestehenden Sicherheitsmaßnahmen eigene Vorkehrungen zu treffen, um ihre Mitglieder zu schützen.
Die Gemeinde in Pinneberg, knapp eine halbe Stunde nördlich von Hamburg gelegen, hat sich nun dazu entschlossen, das bisher offene Gemeindegelände durch einen eigenen Zaun zu schützen. In der Kleinstadt gab es wiederholt Drohungen aus der Neonazi-Szene. Aber die Aggressionen kommen nicht nur aus dieser Ecke, denn auch die Salafisten sind in Pinneberg recht stark vertreten. Mit der muslimischen Gemeinde besteht zwar ein guter Kontakt, betont Gemeindevorsitzender Wolfgang Seibert. Trotzdem entschloss man sich, das Areal einzuzäunen.
Hindernis Auch in Bad Segeberg entschied die Gemeinde, lieber auf Nummer sicher zu gehen und einen Zaun zu ziehen. Der Vorsitzende der schleswig-holsteinischen Gemeinden, Walter Blender, sieht die erhöhte Vorsicht durchaus als begründet an. »Unsere Zäune bauen wir, weil wir uns vorbereiten wollen auf angespanntere Zeiten, die sich andeuten. Mit einem Zaun verhindert man zumindest das Annähern von Unbefugten und schafft ein Hindernis, auch psychologisch.« Konkrete Anschlagspläne seien zwar nicht bekannt, dennoch gab es in letzter Zeit vermehrt besorgniserregende Vorkommnisse.
Immer wieder hätten sich arabischstämmige Personen vor dem Gebäude aufgehalten und es fotografiert. Und sie hätten sich erst nach mehrfacher Aufforderung entfernt. Strafrechtliche Relevanz haben diese Ereignisse nicht, weiß Blender, der selbst Kriminalbeamter ist. »An das Friedhofstor unseres jüdischen Friedhofes in Bad Segeberg wurden mehrere alte Fahrräder gekettet, wie soll man das bewerten? Letztlich ist es nicht mehr als eine Verhinderung der berechtigten Nutzung ohne großen Schaden.«
Furcht Vor dem Gemeindehaus in Kiel fand sich ein abgestellter Koffer. Er sei zwar nur mit Zeitungsschnipseln gefüllt gewesen, trotzdem habe er Schrecken eingejagt. Die Gefühlslage sei unübersichtlich und bedrohlich. Schon jetzt blieben Mitglieder aus Furcht den Gottesdiensten fern. In der Landeshauptstadt hat sich die kleine Jüdische Gemeinde momentan verschanzt. Sie ist anonym in einem Wohnhaus untergebracht, herein kommt nur, wer sich über die Sicherheitskamera identifizieren lässt. »Dennoch«, so Blender, »es darf nicht der Grund sein, dass unser Plan, in Kiel eine Synagoge zu bauen, beeinflusst wird. Und sie wird auch von außen erkennbar sein, nicht nur anhand eines Zauns.«
In der größten norddeutschen Gemeinde, in Hamburg, kennt man die Schwierigkeit der Balance zwischen Offenheit und Sicherheit seit Langem. Dort geht es auch darum, sich gegenüber der Nachbarschaft und der nichtjüdischen Gemeinschaft offen zu zeigen und für Austausch zu sorgen. Zäune und Sicherheitsschleusen schrecken da natürlich ab. Man hatte sich deshalb beim Sommerfest vor zwei Monaten ganz gezielt dazu entschlossen, keine sichtbaren Sicherheitsmaßnahmen zu treffen. Dennoch gab es auch dort natürlich in enger Absprache mit der Hamburger Polizei ein Sicherheitskonzept. Und auch in der Hansestadt sind nach wie vor alle Einrichtungen der Gemeinde durch Polizeibeamte und eigene Securityleute geschützt.
Kontakt Den Verlust von Austausch durch die Absicherung bedauert Blender: »Unsere Mitglieder finden das schade, weil wir damit von der bewährten Offenheit und dem positiven Kontakt zur Bevölkerung, zu jedermann, ein wenig abrücken.« Politik und Polizei sind kooperativ, letztlich aber kaum handlungsfähig ohne konkrete Anlässe. »Uns bleibt nur, zu melden und gemeinsam sensibel zu beobachten«, sagt Blender.
Es ist ein Zeichen, das deutlich macht, dass zwar kein akutes Bedrohungsszenario vorliegt, dass sich aber doch das gesellschaftliche Klima in Deutschland in einem immer häufiger schamlos zur Schau gestellten Antisemitismus manifestiert. Die Zäune um jüdische Einrichtungen sind nun ein sichtbares Zeichen dieser Veränderung.