Einen Tag nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle an Jom Kippur, dem 9. Oktober 2019, war Gemeindevorsitzender Max Privorozki aufgebracht und beruhigt zugleich. Es sei ein Wunder, dass die Synagogentür den Schüssen widerstanden habe, sagte er den zahlreichen Politikern, die einen Tag später ihre Solidarität mit der Gemeinde zeigten.
Andererseits war Privorozki aufgebracht: Er habe die Polizei informiert, wenn es Feiern und Feiertage in der Gemeinde gab, doch dies sei immer negativ beschieden worden. Eine Gefahr gebe es nicht, habe es geheißen. Eine regelmäßige Bestreifung von jüdischen Einrichtungen war im Bundesland Sachsen-Anhalt ohnehin nicht vorgesehen.
Untersuchtungsausschuss Nach dem Untersuchungsausschuss im Magdeburger Landtag am Mittwoch vergangener Woche wiederholte Privorozki die Vorwürfe an die Polizei, sie hätte von dem Feiertag Jom Kippur, dem Tag des Anschlags auf die Synagoge in der Stadt, wissen können. »In jedem Jahr versendet der Landesverband Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt den aktuellen jüdischen Jahreskalender.« Diesen hätten auch das Landesinnenministerium und die Stadt Halle bekommen.
Zuvor hatte die Leiterin des Polizeireviers Halle, Annett Wernicke, im Untersuchungsausschuss gesagt, der Polizei sei nicht bekannt gewesen, dass 2019 am 9. Oktober der höchste jüdische Feiertag Jom Kippur begangen werde.
»Neben allen jüdischen Feiertagen enthält dieser Kalender Erklärungen zu den wichtigsten jüdischen Festen und Hohen Feiertagen sowie Darstellungen des Gemeindelebens«, betonte Privorozki. Deswegen habe es vor der Feier keinen gesonderten Hinweis an die Sicherheitsbehörden gegeben.
Am 16. Juni hat die Landesregierung 2,4 Millionen Euro für bauliche und technische Sicherungsmaßnahmen bewilligt.
Laut Wernicke hatte die Polizei keine Anzeichen für Gefahren. »Und es lag keine Anforderung durch die Jüdische Gemeinde vor«, so die Polizistin.
Gefahrenlage Auch der Chef der Polizeiinspektion Halle, Mario Schwan, sagte dem Ausschuss, dass es »keinen einzigen Hinweis auf eine Gefahr am Jom-Kippur-Feiertag« gegeben habe. Die Inspektion ist für den Süden Sachsen-Anhalts zuständig und erstellt auch Sicherheitskonzepte für religiöse Einrichtungen. Der Einsatzleiter am Tattag, Christian Baust, gab an, nicht gewusst zu haben, dass Jom Kippur ist.
Privorozki hält den Sicherheitsbehörden zugute, dass unmittelbar nach dem Anschlag »wesentliche Schutzmaßnahmen« eingeleitet worden seien. Derzeit führten alle jüdischen Gemeinden und der Landesverband Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt intensive Verhandlungen über ein tragfähiges Sicherheitskonzept. Am Dienstag hat die Landesregierung 2,4 Millionen Euro für bauliche und technische Sicherungsmaßnahmen bewilligt.
Am 9. Oktober vorigen Jahres hatte ein schwer bewaffneter Mann versucht, an Jom Kippur in die gut besuchte Synagoge in Halle einzudringen. Als das misslang, erschoss er in der Nähe zwei Menschen und verletzte auf seiner Flucht weitere Menschen schwer, ehe er festgenommen wurde.
Der 28 Jahre alte Stephan B. sitzt seit der Tat in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm zweifachen Mord und 68-fachen Mordversuch »aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus« vor. dpa/ja