Wahl Berlin

Sicherheit, Kultur, Erinnern

Für unsere Umfrage haben wir vier Berliner Parteien befragt. Foto: Illustration: Marco Limberg

Am 18. September wird in Berlin gewählt. Zu den Top-Themen, die für viele Wähler ausschlaggebend sein dürften, gehören Bildung, Wohnen, Arbeit, Sicherheit und Integration. Insbesondere bei Sicherheitsfragen, aber auch bei Positionen der Parteien zu Themen wie Erinnerungskultur und Förderung jüdischen Lebens schauen viele jüdische Wahlberechtigte genauer hin.

Wie wollen SPD, CDU, Linke und Grüne die Vielfalt jüdischen Lebens weiter fördern – angefangen beim Sanierungsbedarf jüdischer Einrichtungen bis zur Kulturförderung? Was planen die jeweiligen Parteien, gegen Antisemitismus zu unternehmen? Wie muss Erinnerungsarbeit gestaltet werden, um zukunftsfähig zu sein?

vielfalt Alle befragten Parteien begrüßen die lebendige jüdische Vielfalt in der Hauptstadt. »Dieses Vertrauen ist ein großes Glück und ein Gewinn für ein weltoffenes und tolerantes Berlin«, sagt etwa Grünen-Spitzenkandidatin Ramona Pop. Klaus Lederer von der Linken betont, jüdisches Leben sei heutzutage »zum Glück nicht vom ›Leben in Berlin‹ zu trennen«.

Die SPD sieht ihr Bekenntnis zum wiedererstarkten jüdischen Leben in der Tradition von Willy Brandt und Klaus Schütz. Die Stadt profitiere von den vielen neu zuziehenden Menschen, insbesondere aus Israel, die sich hier schnell zu Hause fühlen. Berlin gelte bei jungen Menschen in Tel Aviv als Hotspot und umgekehrt. »Vor allem den Austausch zwischen den Gründerszenen Berlin und Tel Aviv fördern wir auch wirtschaftspolitisch«, so die SPD-Maxime.

Auch die Berliner CDU tritt dafür ein, jüdisches Leben in Berlin weiter zu fördern. »Allein das kulturelle Angebot, wie etwa das Jüdische Filmfestival oder die Ausstellungen im Jüdischen Museum, ist groß und ein Zeichen dafür, dass das jüdische Leben ein bereichernder und nicht wegzudenkender Teil Berlins geworden ist«, so die Position der CDU.

Für dringend erforderliche Neubau- und Sanierungsmaßnahmen bei Berliner Schulen sieht die Partei insgesamt drei Milliarden Euro aus dem Landeshaushalt vor und will zudem Finanzierungspartnerschaften ermöglichen. »Wir stehen für ein systematisches und schnelles Vorgehen bei der Schulsanierung.«

Förderung Besondere Verpflichtung aus der Vergangenheit ist die Stärkung und Förderung der jüdischen Kultur in Berlin – auch darin stimmen die Parteien überein. Im Berliner Haushalt seien laut SPD »allein für dieses Jahr 10,7 Millionen Euro für die Jüdische Gemeinde eingestellt. Hinzu kommen unter anderem die Zuschüsse für die weitere Sanierung der Synagoge in der Joachimstaler Straße mit 400.000 Euro und das Centrum Judaicum mit 520.000 Euro«.

Bei Bekenntnissen dürfe es nicht bleiben, fordert Linken-Politiker Klaus Lederer. Hier müsse »aktiv gefördert werden«. Dabei sei auch privates Engagement wichtig. Beim Sanierungsbedarf verweist die Linke auf den »Sanierungsstau« in Berlins Schulen in Höhe von fünf Milliarden Euro. »Wir haben konkrete Pläne, da endlich aktiv zu werden; ein besonderes Augenmerk liegt natürlich auf historisch und kulturell bedeutsamen Orten.« Dazu gehören laut Lederer Einrichtungen des jüdischen Lebens.

Auch die Grünen setzen sich für die Unterstützung und Sicherung jüdischen Kulturlebens ein, »sowohl durch den Bund als auch durch das Land Berlin«. »Vor einigen Tagen haben wir noch die 150-Jahr-Feier der Einweihung der Neuen Synagoge gefeiert«, sagt Ramona Pop. Die Überarbeitung und Ausweitung der Ausstellung im Centrum Judaicum werde von den Grünen unterstützt.

Angesprochen auf den Sanierungsbedarf bei jüdischen Gemeinde- und Schulbauten sagte die Grünen-Politikerin: »Scherzhaft könnte man sagen, das sei ein Zeichen dafür, dass das jüdische Leben voll in Berlin angekommen ist. Mit anderen Worten: Ganz Berlin leidet unter einem massiven Investitions- und Sanierungsstau. Wir Grüne wollen den Investitionsstau dringend anpacken.«

gewalt Nach wie vor gibt es Vorurteile, Hass und Gewalt gegenüber Menschen, die sich als Juden zu erkennen geben. Die CDU verweist in diesem Zusammenhang auf ihren Spitzenkandidaten, Innensenator Frank Henkel. Er habe es verboten, auf der »Al-Quds-Demonstration« für die Terrororganisation Hisbollah zu werben und deren Symbole zu zeigen, und angeordnet, konsequent gegen Hetzparolen vorzugehen.

»Wer die Vernichtung eines ganzen Volkes propagiert und Krieg und Gewalt gutheißt«, missbrauche das Versammlungsrecht, so die Position der CDU. Die Partei will verstärkt in Anti-Terror-Ausrüstung der Polizei investieren.

Die SPD verweist in Sicherheitsfragen darauf, dass entsprechende Maßnahmen seit Jahren eng mit der Jüdischen Gemeinde abgestimmt werden. »Wir werden die hohen Sicherheitsvorkehrungen aber niemals als Normalität hinnehmen«, so die SPD-Position. Neben einer »zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz durch erstarkte rechtskonservative, nationalistische und rechtsradikale Kreise« beobachten SPD-Politiker »mittlerweile entsprechende Aktivitäten von islamistischen Gruppen«.

Für die SPD ist klar: »Straftaten müssen konsequent verfolgt werden, und Antisemitismus muss ohne Wenn und Aber bekämpft werden.« Gleichzeitig wollen die Sozialdemokraten die Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus ausbauen. »Bei den Haushaltsberatungen haben wir uns dafür starkgemacht, dass die Mittel für die Umsetzung des Landesprogramms gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus im Vergleich zum Jahr 2010 um circa 65 Prozent gestiegen sind.« Antidiskriminierungsarbeit sieht die SPD »als Aufgabe für alle Lebensbereiche«. In städtischen Betrieben setze sich die Partei für »Betriebsvereinbarungen gegen Diskriminierung« ein.

konzepte Der SPD-geführte Senat fördere zudem im Rahmen des Landesprogramms gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus das Opferberatungsprojekt »ReachOut« sowie die Berliner Register- und Dokumentationsstellen zu antisemitischen und antiziganistischen Vorfällen. Zudem habe der Verein für demokratische Kultur in Berlin (VDK) im Auftrag des Senats die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) als Meldesystem für antisemitische Vorfälle gegründet, um Betroffenen von Antisemitismus den Zugang zu Beratungsstellen zu erleichtern.

Aus Sicht der Grünen sind die Sicherheitskonzepte für jüdische Einrichtungen »nicht überall ausreichend«. So warte etwa das Touro-College »leider noch immer auf eine Antwort des Innensenators Henkel zur Einrichtung einer Sicherheitszone rund um ihr Gebäude«. Denn Antisemitismus trete ihre Partei »energisch und konsequent entgegen, egal ob er kulturell geprägt ist, aus der vermeintlichen Mitte unserer Gesellschaft oder von Rechtspopulisten kommt«, unterstreicht Ramona Pop.

Auch für die Linke stehen die Sicherheit jüdischen Lebens in Berlin und die Frage nach dem Stand der Gewährleistung dieses Schutzes regelmäßig auf der Tagesordnung. Eine »Einschränkung aus Sicherheitsgründen bis zur Aufgabe eines freien, bunten und vielfältigen jüdischen Lebens« wäre aus ihrer Sicht jedoch »nicht der richtige Weg, sondern eine Bankrotterklärung der offenen und vielfältigen Gesellschaft der Gegenwart«.

projekte Es sei ein »dramatischer Zustand«, so die Linke, »dass über 70 Jahre nach dem Holocaust moderne Formen des Antisemitismus in der Mehrheitsgesellschaft wie auch in manchen migrantischen Communitys nach wie vor eine solche Verbreitung und Resonanz erfahren«.

Für Antisemitismus gebe es »keinerlei Entschuldigung«, so Linken-Politiker Lederer. Antisemitische Einstellungsmuster und Praktiken in der Gesellschaft müssten »ohne Ansehen der Personen und ihres religiösen, politischen oder ethnischen Hintergrunds geächtet werden, mit aller Kraft«.

Lederer warnt aber auch vor »pauschalisierenden Verdächtigungen«. Es gelte vielmehr, »die Projekte und Initiativen der Zivilgesellschaft zu sichern und zu stärken, die sich der Auseinandersetzung, Bildung, Prävention und Aufklärung über Antisemitismus und völkisches Gedankengut mit großem Engagement widmen« – etwa die Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus oder RIAS.

Die CDU erwartet »von den Menschen, die zu uns kommen, sich an Recht und Gesetz zu halten, und darüber hinaus eine Demokratieerklärung«, so der Standpunkt der Partei. Sie nehme »das gesamte Spektrum des politischen und religiösen Extremismus in den Blick« und wolle ein »berlinweites Register für extremistische Vorfälle jeglicher Art schaffen«. Die bisherige Praxis in den Bezirken, »lediglich rechtsextremistische Vorfälle zu registrieren«, solle auch »auf Vorfälle mit linksextremistischer und religiös-extremistischer Motivation und Vorfälle im homophoben und antisemitischen Bereich ausgedehnt werden«.

integration Integration sei dann gelungen, so Grünen-Spitzenkandidatin Pop, »wenn wir friedlich und mit Respekt voreinander in Vielfalt zusammenleben, wenn Chancengerechtigkeit herrscht und alle Menschen ihr eigenes Leben gestalten können«. Bildung, Arbeit, Aufstiegschancen seien das eine; die »Freiheit, ohne Angst die eigene Identität, Kultur oder Religion offen leben zu können, das andere. Beides geht nicht ohne einander. Integration verlangt Beweglichkeit in der Aufnahmegesellschaft und bei denjenigen, die neu ankommen«, so Pop.

Auch Klaus Lederer will, »dass Jüdinnen und Juden ohne Angst vor Diskriminierung, Anfeindungen oder gar körperlicher Gewalt durch die Straßen gehen können«. Ausgrenzung beginne da, »wo wir von anderen und uns sprechen – und genau dort müssen wir bei der Integration ansetzen: in der Bildung, von der Kita an« müsse Aufklärung geleistet werden.

Für die CDU Berlin besteht Integration aus »Fördern und Fordern«. Integration sei »ein Angebot, aber auch eine Verpflichtung zu eigener Anstrengung«. Die CDU will die Finanzierung für Sprachkurse sichern und den Einstieg von Zuwanderern ins Arbeitsleben erleichtern. Dazu will die CDU unter anderem kleine und mittlere Unternehmen subventionieren, die Flüchtlingen Praktikums- und Ausbildungsstellen anbieten.

Die Integration in Arbeit und Ausbildung ist auch für die SPD zentrales Ziel. Sie verspricht, »ausreichende Sprachkurse und auskömmliche Ressourcen für die nötigen Bildungsabschlüsse aller Schülerinnen und Schüler« zur Verfügung zu stellen. Zur Integration gehöre auch der Ausbau der sozialen Infrastruktur. Ihre Aufgabe sieht die SPD darin, Zuwanderern »alle Möglichkeiten zu geben, um am Leben unserer Gesellschaft teilzunehmen«. Denn gelungene Integration sei erreicht, »wenn aus Fremden unsere Nachbarn werden«.

Erinnerung Um das Gedenken an die Schoa wachzuhalten und zugleich nachhaltig zu verankern, setzen die Parteien auf verschiedene Konzepte. Die SPD will die nationalsozialistischen Verbrechen in den Mittelpunkt »einer langfristigen Erinnerungskultur« stellen. »Wir sehen uns verpflichtet, in Zusammenarbeit mit den Zeitzeugen eine Gedenkkultur zu erhalten und mit Gedenkstätten, Schulen sowie Bildungsträgern weiterzuentwickeln, welche uns stetig mahnt, dass die Opfer des Faschismus niemals vergessen sein dürfen.« Dazu gehöre auch, dass sich die SPD »für die Errichtung eines Gedenk- und Lernortes Tempelhofer Feld mit Schwerpunkt auf der NS-Zeit« einsetze.

Erinnerung lebendig zu halten, erfordere »finanzielle Sicherheit und gute pädagogische Konzepte«, sagt Ramona Pop. »Dabei ist uns die Zusammenarbeit mit Lehrern, Museumspädagogen und jüdischen Verbänden wichtig«; Gedenken wollen die Grünen institutionell ebenso verankern wie im Alltag – »in den Schulen und Universitäten, bei den Stolpersteinen und Gedenktafeln an Häusern, in den bezirklichen Einrichtungen und bei Klassenfahrten«.

Die CDU setzt den Akzent bei der Erinnerungskultur auf Vermittlung von Geschichtsbewusstsein sowie den bewussten Umgang mit historischem Wissen und demokratischen Werten und Normen, und die Linke wirbt verstärkt dafür, dass Erinnern in Bildungsarbeit eingebettet wird. »In einem Zusammenspiel von staatlich organisiertem und finanziertem Gedenken, freien Räumen für die Kulturszene in ihrer ganzen Breite und dem Bildungsauftrag von Museen und Einrichtungen kann«, so hofft Klaus Lederer, »eine Gedenkkultur entstehen, die auffängt, dass Zeitzeugen weniger werden.«

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