Streaming

Senden für die Gemeinschaft

Zum Schluss kann es dann immer noch einmal hektisch werden. Ein bereits weit im Voraus angekündigter Ausstrahlungstermin hat etwas Erbarmungsloses. Dieses Mal fiel dieser auf den 11. Mai, und der rückte immer näher. An diesem Tag sollte die fünfte Sendung von JC-TV über den Schirm flimmern. JC-TV steht für Jewish Challenge Television; die Länge der Sendung beträgt 90 Minuten, pro Sendung werden etwa zwölf Beiträge gesendet, und das einmal im Monat.

Das Motto ist jedes Mal ein anderes. Bisher ging es um Themen wie »Alltag – jüdisches Gemeindeleben heute«, »Helden und Heldinnen«, »Zukunft« und »Freiheit«. Und für die aktuelle Sendung sollte – passend zu Schawuot – »Aufsteigen« der Leitgedanke sein.

moderation Die Moderation, die durch die anderthalb Stunden begleitet und von Sendung zu Sendung wechselt, hält alles schön zusammen. Wobei die Moderatoren durchaus auch ihre eigenen Geschichten mit- und einbringen oder auch gleich das nächste Interview führen.

Junge, engagierte Leute bewerkstelligen das, wie zum Beispiel Sofija Pavlenko (21), die unter anderem auch für »Masa Israel« tätig ist, ein Programm, das jungen Juden einen Israelaufenthalt ermöglicht, der Schauspieler Alexander Wertmann (23), der im prämierten Film Masel Tov Cocktail den Dima gegeben hat, oder die Sozialwissenschaftlerin Anastassia Pletoukhina (33), die in Berlin unter anderem für die Jewish Agency arbeitet.

Der Beitrag über den ungarisch-israelischen Künstler und Sofer Moran Haynal, der seit einigen Jahren in München lebt und arbeitet, muss heute noch abgedreht werden. Sonst wird’s eng.

IDEE Die Entstehungsgeschichte von JC-TV, dessen erste Sendung im Juni vergangenen Jahres ausgestrahlt wurde, hat, man kann sich das schon denken, auch mit der Pandemie zu tun. Ins Leben gerufen wurde das Netzformat von der Münchner Europäischen Janusz Korczak Akademie (EJKA) sowie der Jewish Agency (JAFI).

»Im März des vergangenen Jahres haben wir uns erst einmal alle zusammengesetzt und gefragt, was wir jetzt mit und aus dieser Pandemie-Situation machen«, erinnert sich Stanislav Skibinski, Direktor der EJKA und der Bildungsprogramme der JAFI. »Und dann haben wir beschlossen, sie als eine Challenge, eine Herausforderung, anzunehmen.«

Also einfach, wie das alle machen, mit dem eigenen Angebot auf die üblichen und mittlerweile wohlbekannten Online-Formate umsteigen? »Wir waren uns sicher, dass das den Leuten, vor allem den jungen, die wir ja gerne ansprechen wollen, nicht reichen würde«, sagt Skibinski. »Wir mussten uns etwas Neues ausdenken.« Und zwar etwas, das im Vergleich zu den wackeligen, provisorisch wie spontan anmutenden Zoom- oder Skype-Treffen durch maximale Professionalität« auf sich aufmerksam machen würde. »Das war die Geburtsstunde von JC-TV.«

Veränderungen »Dabei lässt sich gut erkennen«, ergänzt Eva Haller, Präsidentin der EJKA, »dass kleine, engagierte Teams viel schneller auf Veränderungen reagieren können.« »Wir haben auf die Pandemie kreativ reagiert«, fügt sie hinzu, »aber mit unserem JC-TV soll es natürlich auch dann noch weitergehen, wenn das Leben wieder einigermaßen normal läuft; die Ideen gehen uns jedenfalls nicht aus.«

Junge Juden, etwa aus den Jugendzentren, zeigen ihr Zuhause in Deutschland aus ihrer Perspektive.

Sowohl EJKA als auch JAFI nutzen den Sender als eine Art Erweiterung einzelner Projekte, Ideen und Initiativen. So liefert zum Beispiel auch YouthBridge, ein soziales Leadership-Projekt der EJKA, Beiträge, ebenso »Nevatim«, ein Programm der JAFI, »das Initiativen für jüdische informelle Bildung in Deutschland fördert«. Auch einzelne finanzielle Unterstützer haben den Switch ins Netz mitgemacht, wie zum Beispiel das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, das das EJKA-Projekt »Mit Davidstern und Lederhose. Jüdische G’schichtn on Tour« fördert.

Mittelpunkt dieses Projekts bildet eine »interaktive Wanderausstellung«, die »jüdisches Leben in Bayern bewusst sichtbar machen soll« und die jetzt erst einmal physisch auf Halde liegt. Darüber berichten lässt sich aber durchaus. Man kann sie mit der Kamera abfahren, zu einzelnen Stationen Beiträge liefern. Zum Beispiel zu dieser Bergkette aus Holz, über der bald eine Wolke, eine Chuppa schweben wird, zu der man hochsieht und dann bemerkt, dass da etwas steht.

AUTHENTIZITÄT Nach »Babel TV«, einem jüdischen Fernsehkanal aus Berlin, der auf YouTube sendet, ist JC-TV ein neuer jüdischer TV-Sender mit einem jungen dynamischen Ansatz. Das könne ruhig einmal klar und deutlich gesagt werden, auch um die – vor allem – jungen Leute, die viel Energie, Kraft, Zeit und Engagement in die Sache stecken, ein wenig aufs Podest zu hieven. Sie tun das im Großen und Ganzen ehrenamtlich und selbstverständlich zusätzlich zu ihrem sonstigen Alltagsgeschäft. »Ohne sie ginge das alles nicht«, sagt Stanislav Skibinski und möchte das als großen Dank verstanden wissen. »Diese jungen Menschen leisten Großartiges.«

Drei von ihnen haben sich ein bisschen verspätet, und dann wird es in der Wohnung von Moran Haynal wirklich eng. Da ist der Kameramann Maksym Gorchakov (30), der ansonsten zum Beispiel auch als Posaunist fürs Bayerische Polizeiorchester tätig ist, da ist die Regisseurin Ivetta Urozhaeva (32), Studentin der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film, und da ist Konstantin Boas (32), Assistent und noch viel mehr, der in Sankt Petersburg und Moskau Regie und Medienprojektmanagement studiert hat.

Sie verwandeln die kleine Wohnung in einer der höheren Etagen eines Hochhauses in einem von Münchens Satellitenstädten zu einem Set, sind frisch getestet oder auch schon geimpft. Trotzdem trägt man Maske, reißt ab und zu die Tür zum kleinen Balkon auf, auch für die Zigarettenpause, und staunt dann erst einmal.

ALPEN »Sind das da hinten wirklich die Alpen?« »Ja«, sagt Haynal ein bisschen stolz, »und an manchen Tagen sieht man die sogar noch viel besser.« »Die nehmen wir mit«, entscheidet Ivetta, was bedeutet, dass die Alpen ihren Auftritt bekommen werden. Passt ja auch wunderbar zu Schawuot und dem Thema »Aufsteigen«.

Die Frage, was ein jüdischer TV-Sender eigentlich ist, gehört zu den Fragen, über die es sich lohnt nachzudenken, auf die es aber am Ende nicht wirklich eine klare Antwort gibt. JC-TV versteht sich als ein Netzformat »von und für Juden«. Und das ist ja schon einmal eine ziemlich deutliche Ansage. »Natürlich senden wir erst einmal für unsere Gemeinschaft«, sagt Eva Haller, »aber natürlich sind uns die Leute außerhalb genauso wichtig.«

Außendarstellung gehöre dazu, und so gehe die PR-Arbeit für den Channel auch »in beide Richtungen«. Skibinski ergänzt: »Bei JC-TV kommen jüdische Stimmen, vor allem junge jüdische Stimmen, zu jüdischen Themen zu Wort. Das vermittelt Authentizität. Und genau das macht die Sache für die jüdische Community attraktiv, aber eben auch für die nichtjüdische interessant.«

»Du hast etwas zu sagen? Teile deine Geschichte«, heißt es im Trailer.

Das Team, das als fester Kern für den TV-Channel zuständig ist, besteht aus acht Leuten, die sich regelmäßig treffen, die ihre Kompetenz, auch die technischen Gerätschaften wie Kameras oder Mikrofone für andere, die mitmachen wollen, zur Verfügung stellen. Im Trailer zum Channel heißt es entsprechend: »Du hast auch etwas zu sagen? Komm zu uns, teile deine Geschichte mit der Community und der Welt.«

ABSPANN Die jüdischen Gemeinden, vor allem die Jugendzentren, sollen sich aufgefordert fühlen, zum Beispiel bei einem Spaziergang durch ihre Stadt zu führen, sie den Zuschauerinnen und Zuschauern aus ihrer jüdischen Perspektive zu zeigen. »Dabei soll sichtbar werden, dass wir unser Zuhause mit einem Ort in Deutschland verbinden«, sagt Eva Haller.

Ziemlich exakt ein Jahr nach dem Anschlag auf die Synagoge führten in einem Beitrag von JC-TV zum Beispiel junge Jüdinnen durch Halle, um »sehr bewusst auf die schönen Seiten der Stadt hinzuweisen, zu denen auch ihre reiche jüdische Geschichte gehört«.

Mittlerweile, »kein Stress, aber schnell, schnell, schnell«, sitzt Moran Haynal an seinem Ateliertischchen und schreibt mit einer hundertprozentig koscheren Feder seinen Namen in hebräischer Druckschrift aufs Papier. Ivetta plant diese Sequenz für den Abspann. Haynal soll dafür extrem langsam schreiben. Gar nicht so einfach. Denn eigentlich bestimmen Konzentration und gewiss auch Spiritualität das Tempo der Hand.

Ein paar Meter weiter hängt über dem Esstisch in der kleinen Nische eine Leinwandbahn. Darauf steht in hebräisierten, blau schimmernden Buchstaben das zauberhafte Zitat von Rabbiner Samson Raphael Hirsch, des Begründers der jüdischen Neoorthodoxie: »Wenn ich vor Gott stehen werde, wird der Ewige mich fragen: ›Hast du meine Alpen gesehen?‹« Irgendwann wird die Leinwandbahn zu einer Wolke werden, einer Chuppa über einem Holzgebirgszug, zu der man aufsieht und dann liest.

KOCHSHOW Feste Rubriken innerhalb einer JC-TV-Sendung, an denen man auch in Zukunft festhalten will, sind: eine kleine Kochshow, mindestens ein Beitrag aus Israel, einer über Kunst, ein Porträt, ein Interview und natürlich »inter uns gedabbert«, ein jiddisch-kabarettistischer Kommentar zu Zeitphänomenen der kleineren oder größeren Art. Roman Haller, Schoa-Überlebender und Direktor der Claims Conference Nachfolgeorganisation, trägt sie vor, immer bestückt mit äußerst geschmackvollen Krawatten und Hosenträgern und einem netten, schief sitzenden Hütchen auf dem Kopf.

Wunderbar plappernd buk in der »Helden«-Sendung zu Purim Adam mit seinem Papa Hamantaschen, Hoffnung und Optimismus verbreitend berichtete in der »Freiheits«-Sendung die Kulturwissenschaftlerin Margaryta Paliy (26) aus Israel nach der Corona-Impfung. In derselben Sendung verschaffte uns Lydia Bergida, Programmdirektorin der EJKA und fürs Fernsehprojekt assistierend wie koordinierend tätig, durch ein Interview mit Polens Oberrabbiner Michael Schudrich einen ernsten Einblick in den jüdischen Alltag unserer Nachbarn.

Es ist geschafft. Der Beitrag über Moran Haynal ist im Kasten. Morgen steht fürs Team noch ein Termin in Nürnberg an. Ein Stadtspaziergang für die nächste JC-TV-Folge.

www.jchallenge.de

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