Sedermahl

Selbst gemacht

Mammes Küche contra Fertiggerichte – eine fast wahre Geschichte

von Noemi Berger  03.04.2012 07:40 Uhr

Die Liebe zur jüdischen Speisetradition geht durch den Magen. Foto: Fotolia

Mammes Küche contra Fertiggerichte – eine fast wahre Geschichte

von Noemi Berger  03.04.2012 07:40 Uhr

Liebe geht durch den Magen! Dieser Ausspruch stammt nicht von mir, sondern ist ein altes, deutsches Sprichwort. »Aber das ist doch nicht mehr zeitgemäß«, erklärt mir die junge Frau, die gerade in Stuttgart weilt und die wir zum Schabbat eingeladen hatten. »Entschuldigen Sie, aber das ist wirklich sehr altmodisch.« Ich schmunzele und frage mit meinem naivsten Gesichtsausdruck: »Ach, Sie meinten in der Beziehung zwischen Mann und Frau?« »Ja, natürlich!«, entgegnet sie mir.

»Ich hatte aber an etwas anderes gedacht«, sage ich. »Ich dachte eigentlich mehr an die Liebe zu unseren Speisetraditionen, die mit unseren Feiertagen zu tun haben. Der Magen ist ein guter Erinnerer. Und der erinnert sich ganz genau daran, zu welchen Gelegenheiten wir was essen, wie wir essen, mit wem wir essen und erinnert uns daran, warum wir das essen, was wir essen.«

Ein ganz verdutztes Augenpaar blickt mich an. »Mögen Sie einen Tee?«, frage ich. »Ja, bitte.« Ich serviere Tee und dazu eine Torte mit glänzender Glasur. »Das Mittagessen war köstlich, und ich bin so satt, aber dieser Torte kann ich einfach nicht widerstehen«, sagt sie und nimmt den ersten Bissen in den Mund, wobei sie ihre Augen schließt, wahrscheinlich, um den Augenblick zu genießen und den zarten Schmelz auf ihrer Zunge zergehen zu lassen. »Selbst gemacht?«, fragt sie.

Fertiggerichte »Ja. Es ist ganz einfach. Der Trick dabei ist nur, dass man eine Torte selbst backen will. Sie besteht nur aus Eiern, Nüssen und Mazzemehl. Und die Glasur ist im Handumdrehen gemacht.« »Habe ich noch nie probiert«, meint sie. »In ein paar Tagen ist Pessach. Da ist alles doch schon kompliziert genug. Das ganze Haus putzen, sich den Kopf über das Menü zu zerbrechen. Nein, nein. Das ist nichts für mich. Es gibt ja Fertigkuchen, Fertigkneidlach, Fertig … Fertig … Fertig …«

Ich, die leidenschaftliche Köchin, stehe vor einer Herausforderung. Und die ist, die junge Frau dazu zu bringen, einmal, das erste Mal in ihrem Leben, ihr Pessachfest so zu gestalten, dass es nicht nur aus Aufreißen von Fertiggerichtspackungen besteht, sondern ihr klarzumachen, welche Befriedigung das Kochen und Backen zu den Feiertagen sein kann, wenn man es nur will, und wie man aus einfachen Zutaten möglichst schnell die köstlichsten Speisen herstellen kann.

Listen Nun, denken Sie bitte nicht, dass ich den ganzen Tag nichts anderes zu tun hätte, als zu kochen, zu backen und zu putzen. Der Tag einer Rebbetzin ist sehr ausgefüllt, zumal sie auch die Sekretärin und Managerin ihres Mannes in einer Person ist. Aber Organisation ist alles. Organisation im Falle Pessach heißt: Listen anfertigen, und zwar schon einige Wochen vor dem Fest.

Eine große Hilfe bietet in unseren modernen Zeiten das Internet. Mit einem Klick findet man dort unter »Pessach organisieren« eine Putzliste, eine Einkaufsliste, eine »Wer-macht-was-Liste«, eine »Was-koche-ich-Liste«. Und, wenn wir uns vornehmen, all das mit Begeisterung und Liebe zu unseren Traditionen zu machen, dann müsste es auch mit dem organisiertesten aller Pessachfeste klappen.

»Ach, übrigens«, sage ich, »hätten Sie vielleicht Lust, das Pessachfest mit uns zu verbringen? Wir würden uns sehr sehr freuen.« Sie schaut mich mit ganz großen Augen an. »Sie meinen ... wirklich?« »Aber natürlich!« Ich weiß ganz genau, dass sie sich vor allem darüber freut, sich nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen zu müssen, was und wann sie kochen soll oder muss. Aber da kennt sie mich schlecht. Wie gesagt: Herausforderung lautet das Motto.

Sie muss wieder nach Hause fahren, erklärt sie mir. Sie arbeitet nicht allzu weit von Stuttgart bei einem renommierten Buchverlag. Aber zwei Tage vor Pessach könnte sie schon wieder in Stuttgart sein. »Wunderbar«, entgegne ich. »So machen wir’s.« Und wirklich, zwei Tage vor dem Fest klingelt sie an der Türe und geht, wie selbstverständlich, in »ihr altes« Zimmer.

Unsere Wohnung ist bereits ganz und gar »pessachdik«. Alles glänzt und duftet nach Frische. Unsere Kinder werden auch kommen, wie in jedem Jahr. Unsere Familie hat sich bereits um sechs Enkelchen vergrößert. Ich freue mich wie ein Schneemann, falls man das vor Pessach, dem Frühlingsfest, überhaupt sagen kann.

Einkauf Sie hat ausgepackt. »Es wäre mir eine Freude, wenn sie mich zum Markt begleiten. Mögen Sie?« »Oh, ja. Gerne.« Mit einer großen Einkaufsliste in der Hand machen wir uns auf den Weg. Die schönste und renommierteste Markthalle der Welt erwartet uns mit all ihren Köstlichkeiten und ihrem bunten Treiben. Obst aus aller Welt, Gemüse, frisch aus israelischen und deutschen Landen, Gerüche, Farben, all das wirkt auf uns ein.

Ihre Augen glänzen. Wir kaufen Suppengrün, denn kein Pessach ohne Suppe. Ich werde Bœuf Stroganoff und eine gefüllte Kalbsbrust kochen. Das bestellte Fleisch ist schon im Kühlschrank. Dazu gibt es selbst ge-machte Ferfel aus Mazzemehl und süßem Karottenzimmes, als Nachtisch exotischen Obstsalat und eine Nusstorte mit Schokoladencreme.

Kochen Ich erzähle ihr von dem Menü und frage, ob es ihr auch zusagt. »Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen«, sagt sie. Voll bepackt steigen wir ins Auto und fahren nach Hause. Bei einer Tasse Tee frage ich sie ganz nonchalant, ob sie Lust habe, mir beim Kochen zu helfen. Naja, das kam zwar nicht so gut an, aber sie ist ein höflicher Mensch und stimmt zu, wenn auch etwas gequält: »Ja, natürlich.«

»Womit fangen wir denn überhaupt an?« »Das ist ganz einfach«, sage ich. »Wir fangen mit der Suppe an. Der Topf ist gleich in der ersten Schublade links. Hier ist ein Huhn, hier das Gemüse. Ich helfe Ihnen beim Schälen.« »Sie helfen mir?«, fragt sie verdutzt. »Aber ja. Die Suppe machen Sie ganz allein. Sie wird köstlich, das weiß ich schon jetzt.«

Ich gebe ein paar diskrete Anweisungen, und schon köchelt die Suppe auf dem Herd vor sich hin. Sie hat ganz rote Backen bekommen, hebt den Deckel alle zehn Minuten hoch, um zu sehen, was sich in dem Topf so tut. »Wissen Sie was?«, sage ich. »Ich schreibe immer Menükarten für den Pessachtisch. Die Suppe werden wir Hühnerbrühe à la Rachel nennen.« Unsere Besucherin heißt nämlich Rachel.

Speise »Nach mir wurde noch nie eine Speise benannt.« »Na, dann ist es ja höchste Zeit«, schmunzele ich. »Wir könnten auch die Hauptspeisen zubereiten, und dann war’s das für heute. Was meinen Sie?« »Und meine Mitwirkung ist erwünscht, nehme ich an?« Aber sie lächelt, während sie das sagt. Ich war immer schon ein Optimist.

Irgendwie ist die sogenannte Herausforderung doch keine. Sie schält die Zwiebeln und summt dabei das Ma Nischtana. »Sie sind überaus begabt«, sage ich. »Ich glaube, Sie bekommen drei ›Berger-Sterne‹ von mir, und morgen machen wir dann weiter.«

Am Vorabend vor Pessach sind unsere Kinder und Enkelchen eingetroffen. Ich bin überglücklich. Die Kleinen sind wieder ein großes Stück gewachsen, und jedes der sechs will der Omi erzählen, was es in der Schule und im Kindergarten gelernt hat.

Die kleinen Stimmchen überschlagen sich vor Eifer und Begeisterung. Rachel ist bald der Liebling in der Runde. Der Tisch mit der blütenweißen Tischdecke und dem Sederteller darauf wurde von Rachel vorbereitet. Sie hat die Servietten künstlerisch gefaltet. Das Silberbesteck glänzt und wetteifert mit dem Glanz der Gläser. Festtagskleider werden von den Kindern vorgeführt. »Wann fangen wir an, Omi?« »Bald, bald, wenn Opi und Eure Papas aus der Synagoge nach Hause kommen.«

Geschichte Der Sederabend nimmt seinen Verlauf, und wie immer bin ich ziemlich aufgeregt und lausche gebannt, während unsere Geschichte aus der Haggada verlesen wird und wir nachdenklich, aber auch fröhlich die traditionellen Lieder singen. Das Essen wird serviert. Ahhhhs und Oooohs erfüllen den Raum. »Rachel hat das meiste gekocht und den Charosset gemacht«, erzähle ich und denke mir, dass sie es immer noch nicht fassen kann, was sie da Köstliches produziert hat. Wir alle lachen herzlich über ihre Geschichten vom Aufreißen von Kartons, Fertigkuchen und »Fertigallerlei«.

»Sie haben mich inspiriert«, sagt sie. »Ich hätte niemals gedacht, dass ich so kochen kann.« Im nächsten Jahr mache ich den Seder selbst und Sie alle werden die Ehrengäste sein. Es wird auf jeden Fall Suppe mit Mazzekneidlach geben, aber der Rest des Menüs wird nicht verraten. Jedoch, eines weiß ich: Es wird alles selbst gemacht sein. Wie heißt es in der Haggada? ›Kol Dichfin‹: Alle, die hungrig sind, mögen kommen, essen und mit uns feiern.«

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