Europa hat zum Glück noch mehr gemeinsam, als mancher derzeit glauben möchte. Ein verbindendes Element etwa ist die jüdische Kultur: Egal ob in Deutschland, Frankreich, Spanien oder Portugal – überall haben Juden durch ihre Religion, ihr Brauchtum und ihre Sprachen Spuren hinterlassen. Auf diesem Fundament steht der Europäische Tag der jüdischen Kultur, der seit 1999 jährlich Anfang September in rund 30 europäischen Ländern begangen wird.
»Jüdische Sprachen« An diesem Aktionstag finden zahlreiche Veranstaltungen statt, die Geschichte und Gegenwart der Juden in Europa einer breiten Öffentlichkeit vorstellen. Koordiniert wird der Veranstaltungstag von der Europäischen Vereinigung für die Bewahrung und Förderung von Kultur und Erbe des Judentums. Dem Verein sind sechs Organisationen aus verschiedenen Ländern angeschlossen. Der Tag steht jedes Jahr unter einem anderen inhaltlichen Schwerpunkt. In diesem Jahr findet er am 4. September statt, und alles dreht sich um das Thema »Jüdische Sprachen«.
Viele jüdische Gemeinden, Kunst- und Kulturschaffende, Vereine, Museen und Freunde der jüdischen Kultur haben europaweit Programme auf die Beine gestellt, mit Ausstellungen, Vorträgen, Konzerten, Synagogenführungen, Friedhofsbesuchen und Filmvorführungen – auch in Deutschland. Mit dabei sind nicht nur die großen und größeren Gemeinden: Gerade kleinere Gemeinden, die seltener im Rampenlicht stehen, nutzen den Europäischen Tag der jüdischen Kultur, um sich der breiten Öffentlichkeit zu präsentieren.
Baden-Württemberg/Elsass Besonders aktiv sind die Baden-Württemberger, und zwar über die Landesgrenzen hinaus. Die baden-württembergische Landeszentrale für politische Bildung hat ein gemeinsames Programmheft für das deutsche Bundesland und das Elsass herausgegeben.
Im Elsass machen beim Europäischen Tag der jüdischen Kultur etwa 30 Kommunen mit, auf deutscher Seite sind es sogar mehr als 40 Orte, von Wiesloch im Norden bis Lörrach im Süden. Das Programm verweist auf die jahrhundertealten Beziehungen der jüdischen Gemeinden in der Region und auf deren Verflechtungen mit der lokalen Kultur.
»In Baden hat dieser Tag ein besonderes Gepräge und Gewicht durch die räumliche Nähe und gewachsene Verbundenheit mit Frankreich und der Schweiz«, bestätigt Rami Suliman, Vorsitzender der IRG Baden. Die Gemeinden nutzten den Tag für den Austausch und das Gespräch mit der nichtjüdischen Bevölkerung, Synagogen und Gemeindezentren seien für alle geöffnet, so Suliman.
Konstanz Mit dabei ist zum Beispiel die Jüdische Gemeinde Konstanz. »Wir sind mit unseren 334 Mitgliedern eine kleine Gemeinde, aber dafür machen wir viel«, unterstreicht Peter Stiefel, der erste Vorsitzende der Synagogengemeinde. Das Programm richtet sich das Jahr über zwar eher an die Gemeindemitglieder. Darüber hinaus sucht die Gemeinde aber immer auch den Kontakt zur nichtjüdischen Bevölkerung, etwa durch öffentliche Konzerte.
Zu den Gottesdiensten kann das ganze Jahr über jeder kommen, ohne Voranmeldung. »Unsere Synagoge ist ein offener Raum«, betont Stiefel. Die Bodensee-Gemeinde nutzt den Europäischen Tag der jüdischen Kultur als weitere Chance, die Öffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen. »Die Sache ist ganz einfach«, erklärt Stiefel das Engagement: »Viele Leute wissen wenig über das Judentum. Das ändert sich erst, wenn sie direkten Kontakt zur Gemeinde haben.«
Die Resonanz sei immer sehr gut, nicht zuletzt dank der Werbung, die die Stadt, die Touristeninformation und die Hotels für den jüdischen Kulturtag machen. Und da im Spätsommer noch viele Touristen am Bodensee weilen, kommen neben den Konstanzern auch immer zahlreiche auswärtige Gäste. Ihnen allen wollen Peter Stiefel und die Mitglieder der Synagogengemeinde zeigen: »Liebe Leute, wir sind da! Judentum, das ist nicht nur Friedhöfe, Holocaust-Mahnmale und Museen!«
Ulm/Donau Dieser Meinung schließt sich Schneur Trebnik, der Ortsrabbiner für Ulm, an. Etwa 500 Mitglieder hat die Ulmer Gemeinde. »Ulm ist eine ziemlich kleine Stadt, die Bevölkerung ist sehr eng miteinander verbunden. Und unsere Synagoge und das Gemeindehaus liegen mitten in der Stadt – da können und wollen wir uns nicht isolieren.«
Groß sei zum Beispiel das Interesse der Bürger an der vor dreieinhalb Jahren eingeweihten Synagoge, etwa zehn Gruppen pro Woche werden durch das moderne Gotteshaus geführt. »Eigentlich bräuchten wir in Ulm keinen speziellen Tag, um uns zu präsentieren«, meint Trebnik. »Doch ein solcher Anlass weckt Interesse und bringt die Leute auf die Idee: Da gehen wir mal hin. Solche Angebote zur Begegnung sind ganz wichtig, denn einerseits ist das Interesse der Leute groß, andererseits ist im Alltag die Offenheit doch nicht immer gegeben.«
Emmendingen Beim Thema Europäischer Tag der jüdischen Kultur nimmt Monika Rachel Raija Miklis Fahrt auf: »Die Teilnahme an diesem Tag wollen wir nicht missen«, bekräftigt die Sprecherin der Jüdischen Gemeinde Emmendingen. Allerdings ist der Aktionstag für die jüdische Gemeinde mit 263 Mitgliedern nur ein weiterer Anlass, öffentlich aktiv zu sein, und keineswegs der einzige. »Wir sind in dieser Hinsicht nicht repräsentativ, denn durch die Kooperation mit dem Verein für jüdische Geschichte und Kultur Emmendingen und mit dem Jüdischen Museum sind wir generell sehr präsent, kulturell aktiv und gut vernetzt.«
Auch am 4. September gestalten der Verein, das Museum und die jüdische Gemeinde das Programm gemeinsam. Unter anderem gibt Rabbiner Yaakov Yosef Yudkowsky einen Einblick ins Jiddische und Hebräische und führt durch die Synagoge. Im alten Rathaus tritt das Galil Trio auf. Die drei Musiker aus Israel singen – passend zum diesjährigen Schwerpunkt des Projekttages – in verschiedenen Sprachen. Koschere Leckereien wie Challa, Kuchen, Wein und Sekt tischt die jüdische Gemeinde im Simon-Veit-Haus auf und wird ihre Gäste bei der Gelegenheit auch mit den jüdischen Speisegesetzen vertraut machen.
kooperation »Emmendingen ist zwar kleiner als die umliegenden Städte, aber wir haben ein riesiges Programmangebot, das sich um den Schlossplatz herum konzentriert. Deshalb ist der Aktionstag bei uns immer sehr gut besucht, es kommen zum Beispiel Leute aus Breisach, Basel und dem Elsass. Sogar der SWR berichtet regelmäßig über unseren Europäischen Tag der jüdischen Kultur«, freut sich Monika Miklis.
In diesem Jahr fügt sich das Kulturprogramm zudem nahtlos in die Veranstaltungsreihe »300 Jahre jüdisches Leben in Emmendingen« ein, das noch bis November läuft. Organisator ist der Verein für jüdische Geschichte und Kultur Emmendingen, unterstützt vom Fachbereich Kultur der Stadt Emmendingen. »Die Zusammenarbeit hier klappt wirklich bemerkenswert gut. Müssten wir das alles alleine erarbeiten, wäre es sehr viel schwieriger. Schon Charlotte Knobloch hat gesagt: ›Emmendingen ist das Paradies‹«, zitiert Monika Miklis die Münchner IKG-Präsidentin. Ob das stimmt, kann am 4. September jedermann nachprüfen. Am besten bei einem Gläschen koscheren Sekt.