Chanukka 1950 in der Reichenbachstraße – ein Schwarz-Weiß-Foto. Daneben »Chanukka on Ice« 2010 im Prinzregentenstadion – in Farbe. Ein fotografischer Streifzug mit Aufnahmen aus der Geschichte der jungen Menschen damals und heute ist noch bis Ende Juli im Foyer des Münchner Gemeindezentrums ausgestellt. Präsidentin Charlotte Knobloch eröffnete die Ausstellung mit den Worten: »Wenn ich mir die Fotos anschaue, geht mir das Herz auf. Wir werden noch einmal Zeugen einer zwar noch nicht so langen, aber elementar wichtigen Epoche unserer Gemeinde.«
Ausgangspunkt der Recherche für das außergewöhnliche Projekt Zurück in die Zukunft – eine Reise durch die Geschichte des Jugendzentrums der IKG München war das Buch von Roman Haller ... und bleiben wollte keiner. Jüdische Lebensgeschichten im Nachkriegsbayern. Die Projektmanagerin des Jugendzentrums, Galina Ivanizky, ließ sich davon inspirieren.
Es hat sie »persönlich interessiert, wie das jüdische Leben in der Bundesrepublik nach der Schoa entstanden ist, wie die Kinder und Jugendlichen während des Wartens auf die Auswanderung im DP-Lager ihre Freizeit verbracht haben, welche Interessen sie hatten und wie sie unter diesen Umständen Lebensmut und Kreativität entwickeln konnten«.
Und so begann die Suche nach alten Fotos und Dokumenten. Das Jugendzentrum »Neshama« führte Interviews mit Menschen, die die Jugendarbeit in München geprägt haben. Das Ergebnis: die Fotoausstellung und die dabei entstandene Erinnerungsmappe Das Buch.
Stationen Zur Eröffnung der Ausstellung wurde von Jugendlichen ein Konzert, Aufführungen des Showballetts »Genesis« und der Theatergruppe »Lo-Minor« vorbereitet. Zudem beleuchteten Sandmalereien und eine Schattenshow die Stationen des Jugendzentrums. Interviews mit den Aktivisten der Jugendarbeit, David Leshem, Louis Lewitan, Gady Gronich, Stanislav Skibinski, Lorin Netzer und Marat Schlafstein, dem heutigen Leiter des Jugendzentrums, führte der 14-Jährige Alexander Wertmann.
Roman Haller, der zu den ersten Mitgliedern des damaligen jüdischen Klubs gehörte, erinnerte in seiner Rede bei der Ausstellungseröffnung daran, dass der Scheliach Uri Bar-Kochba 1957 aus Israel nach München kam und den jüdischen Jugendklub »Maon Hanoar« (hebr.: Heim der Jugend) gründete.
In diesem Jahr, 1957, hatte sich das DP-Lager Föhrenwald aufgelöst. Die Kinder der Schoa-Überlebenden fanden hier ein jüdisches Umfeld. »Es gab damals die Münchner Juden und die Juden aus Föhrenwald«, erinnert sich Haller, »Juden saßen damals noch auf gepackten Koffern. Die Eltern waren vom Krieg traumatisiert. In dieser Zeit war es sehr wichtig, dass die Juden zusammenhielten, wir haben das gebraucht.«
Partys Eine neubarocke Villa in der Möhlstraße war ab 1957 der Raum für die Münchner jüdische Jugend – mit Fotolabor, Bastel- und Tennisraum sowie einem Jazzkeller. »Anfangs ging man nicht immer aus eigenem Antrieb ins Jugendzentrum«, erinnert sich Moritz Rajber, »aber im Nachhinein, als Erwachsener, ist man dem sanften Druck der Familie dankbar.« Man traf sich samstags von 15 bis 20 Uhr, lernte jüdische Geschichte und feierte Partys im Jazzkeller. Zahlreiche Fotos aus dieser Zeit stammen aus dem Privatarchiv von Leibl Rosenberg.
In den 60ern leiteten den Klub Ditta Sinai, dann David Blumenthal und Dubi Shkolnik, der politisch engagiert war. Ein Zeitungsartikel vom 6. Juni 1967 berichtet, wie junge Juden sich zum Einsatz für Israel melden. Aus dem Privatarchiv von Leibl Rosenberg stammt auch die Zeitung Atid, die in der Zeit von Dubi Shkolnik herausgegeben wurde. Unter dem Artikel »NPD« steht bei der Autorenzeile der Name Nathan Kalmanowicz, ein aktives Mitglied des Jugendklubs und späterer Vizepräsident der IKG.
»Die Jugend von damals war deutlich politisch interessierter«, erinnert sich Armand Presser. Als eine der wichtigsten Persönlichkeiten des Jugendklubs nennt er Adi Heimann, Jugendleiter zwischen 1972 und 1982, »für mich die prägendste Figur«.
Engagement Aus dem Archiv von Louis Lewitan, Jugendleiter von 1984 bis 1986, stammen Fotos und Zeitungsartikel, die von dem politischen Engagement in den 80ern zeugen. Ein Foto von 1980 zeigt Jugendliche bei der Aktion »Let my people go«, die gegen die Unterdrückung und Verfolgung jüdischer Bürger in der UdSSR demonstrieren. Daneben sind Fotos von 2010 zu sehen, auf denen Jugendliche von »Neshama« abgebildet sind und Unterschriften für eine Petition zur Freilassung des israelischen Soldaten Gilad Schalit am Marienplatz sammeln. Politisches Engagement damals und heute.
Ellen Presser, die Leiterin des Kulturzentrums, hat für die Erinnerungssmappe Das Buch auch Erinnerungen an Luba Mischutin beigetragen, einer Persönlichkeit, die in den 80ern die Arbeit des Jugendzentrums sehr bereichert hat. Weitere der rund 200 Bilddokumente haben neben vielen anderen Moritz Rajber, Benno Salamander, Dubi Shkolnik, David Leshem, Adi Heimann und Daniel Targownik beigetragen.
Das Projekt Zurück in die Zukunft ist für Charlotte Knobloch ein Auftrag: »Die Freude an Gemeinsamkeit, die Lebenslust, das Zusammengehörigkeitsgefühl, das aus diesen Bildern spricht, soll uns motivieren, so weiterzumachen.«