Das letzte Mal traf ich Heinz Galinski am 12. Juni 1992, um mit ihm Details der für den Herbst geplanten jüdischen Kulturtage zu besprechen. Er war damals schon seit 1949 Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin – und seit 1988 auch Zentralratsvorsitzender, bis zu seinem Tod 1992.
Schon von 1954 bis 1963 war er der erste Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland gewesen. Er verstarb am 19. Juli 1992, dem Geburtstag seiner Frau Ruth, nach einer Herzoperation im Berliner Herzzentrum.
Öffentlichkeit Meine frühesten Erinnerungen an Heinz Galinski reichen in die späten 5oer-Jahre zurück. Wenn von ihm die Rede war, dann klang darin immer ein Stück Furcht mit: Er sprach in aller Öffentlichkeit aus, was andere hinter vorgehaltener Hand, aber niemals einem Nichtjuden und schon gar nicht in der Öffentlichkeit sagen würden.
Lange Zeit meinte ich, Heinz Galinski wäre Rechtsanwalt, denn er sprach so, wie ich mir in meinen Kindertagen immer Anwälte vor Gericht vorstellte. Tatsächlich war er Kaufmann von Beruf, hatte keine Universität besucht. Es schien mir aus seinem Bauch zu kommen, das Gefühl für Risches und für Rosches – heute würde man sagen, für Antisemitismus und Antisemiten.
Aber seine Argumentation dagegen kam aus dem Kopf: glasklar und eiskalt. Das war seine Autorität, gefürchtet von den einen, bewundert, auch schaudernd bewundert, von den anderen. Er war längst vor der Zeit, als er wieder zum Zentralratsvorsitzenden gewählt wurde, von allen anerkannter Sprecher der Juden in Deutschland.
Schutz Seit Ende der 60er-Jahre war er das Ziel linksextremer Terroristen geworden. Er konnte nicht mehr, wie es seiner bescheidenen Lebensweise entsprach, mit dem Bus aus seiner kleinen Wohnung in der Geisenheimer Straße im Bezirk Wilmersdorf, die er seit Ende der 4oer-Jahre bewohnte, in die »Gemeinde« fahren, sondern stand unter Personenschutz und musste ein gepanzertes Fahrzeug benutzen.
Lange Zeit meinte ich, Heinz Galinski wäre Rechtsanwalt, denn er sprach so, wie ich mir in meinen Kindertagen immer Anwälte vor Gericht vorstellte.
Als er 1987 Ehrenbürger (West-Berlins) wurde, bin ich zur Zeremonie der Verleihung ins (West-Berliner) Rathaus Schöneberg gegangen. Zufällig traf ich auf Heinz Galinski, als er gerade mit seinem schweren, gepanzerten Fahrzeug vor dem Rathaus Schöneberg eintraf. Es ist ein Bild, das ich nie vergessen werde. Ich habe schon viele an dieser Stelle ihrem Dienstwagen entsteigen sehen, aber noch keinen, der den »Aufbau nach dem Untergang«, der Auschwitz und jüdisches Leben im Nachkriegsdeutschland so in seiner Haltung, in seinem Gang, in seinem Gesichtsausdruck verband.
Aufmerksam hörte er sich, neben seiner Frau Ruth sitzend, die Laudatio an, ihm gegenüber saßen die drei westlichen Stadtkommandanten, und dann ging ein Ruck durch den kleinen, zierlich wirkenden Mann, und er ging, nein, er schritt zum Rednerpult im Parlamentssaal und begab sich in sein Element.
reden Er hielt eine seiner Reden, in denen er, tibetanischen Gebetsmühlen gleich, gegen erstarkenden Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Anti-Israelismus immer das Gleiche sagte, ohne jemals dasselbe zu sagen; er las ohne Furcht auch anwesenden Politikern die Leviten und schaffte es, immer wieder gute Reden zu halten, nicht wie einige andere jüdische Honoratioren sich bei seinen Zuhörern anzubiedern, sondern die auf den Nägeln brennenden Probleme beim Namen zu nennen.
Auch im Zusammenwirken mit starken Rednern hielt Heinz Galinski immer die beste Ansprache. Seit drei Jahrzehnten ist die Stimme Heinz Galinskis verklungen: Seine mahnenden Worte klingen noch immer in mir und fehlen mir heute mehr denn je.
Der Autor ist Historiker und Rabbiner in Berlin sowie Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).