Ich möchte die jüdische Gemeinschaft von innen stärken. In einer Welt, die zunehmend von kultureller Vielfalt und interkulturellem Verständnis geprägt ist, sehe ich es als meine Berufung an, innerhalb unserer Gemeinschaft Brücken zu bauen.
Meine Reise begann während meines Studiums, als ich mich von den interkulturellen Themen faszinieren ließ, die meine Neugierde auf die Verbindung von Menschen und Kulturen weckten. Doch es war nicht nur akademische Neugier, die mich antrieb.
Ich begann auch, meine eigene jüdische Identität zu erkunden, und fand dabei eine tiefe Verbindung zu unserer Gemeinschaft. Diese persönliche Reise verwandelte sich schnell in ein tiefes Engagement. Dabei wurde mir klar, dass Stärkung und Identitätserkundung von entscheidender Bedeutung sind, bevor wir uns anderen interkulturellen Themen zuwenden können.
Herausforderung des Antisemitismus
In meinem Streben stoße ich immer wieder auf die Herausforderung des Antisemitismus. Doch sehe ich Prävention und Bekämpfung nicht in der Verantwortung der jüdischen Community. Ich glaube fest daran, dass wir einen Schritt weitergehen müssen. Um effektiv gegen diese Bedrohung anzugehen, müssen wir zuerst verstehen, was es wirklich bedeutet, jüdisch zu sein, und das auch leben. Ich möchte jedem ermöglichen, diese Reise der Selbstentdeckung zu erleben, in dem Wissen, dass wir nicht allein sind.
Einige bezeichnen mich als »Berufsjüdin«, da ich mich als jüdische Aktivistin engagiere und mich für jüdische Belange einsetze, indem ich in entsprechenden Projekten tätig bin. Meine Reise führte mich zu verschiedenen und zahlreichen Organisationen: Taglit, Morasha, Europäische Janusz Korczak Akademie, Jewish Agency, Lavi, Masa, Chabad. So konnte ich ein breites Netzwerk aufbauen.
Besonders berührt mich die Arbeit mit Taglit. Dort erleben junge Menschen Israel und entdecken die Verbindung zu ihrem eigenen familiären Hintergrund. Gleichzeitig erfahren sie auch hier in Deutschland Gemeinschaft und Zusammenhalt. Es erfüllt mich mit Freude zu sehen, wie meine Arbeit dazu beiträgt, dass sie erkennen, dass sie nicht allein sind mit ihren Herausforderungen und Ängsten. Wir mögen zwar eine Minderheit sein, aber wir bilden eine starke Gemeinschaft, die sich gegenseitig unterstützt.
Während meines Bachelorstudiums der Kulturarbeit, einer praxisorientierten Kombination aus Kulturwissenschaften und BWL, konnte ich wertvolle Erfahrungen sammeln. Nach Praktika bei Yad Va-shem und der Europäischen Janusz Korczak Akademie habe ich sechs Jahre lang das Nevatim-Programm bei der Jewish Agency for Israel mit aufgebaut und geleitet.
Mein Fokus liegt auf jüdischen Programmen, Projekten und Identitätsentwicklung.
Jüdisches Empowerment liegt mir besonders am Herzen. Durch meine berufliche Tätigkeit konnte ich junge jüdische Menschen in Deutschland und anderen europäischen Ländern fördern und sie dabei unterstützen, ihre Projektideen umzusetzen und damit die Gesellschaft mitzugestalten. Dies gibt mir unglaubliche Motivation und Kraft. In diesem Rahmen habe ich auch die Online-Community »Instajews« aufgebaut. Seitdem liegt mein Fokus auf jüdischen Programmen und Projekten, Identitätsentwicklung und dem Aufbau von Gemeinschaften.
Masterstudium in »Deutschland- und Europastudien« in Haifa
Mein Masterstudium in »Deutschland- und Europastudien« in Haifa war während der Corona-Pandemie eine ganz besondere Erfahrung. Als eine der wenigen jüdischen Studierenden auf dem Campus unter internationalen und arabischen Kommilitonen hatte ich die Möglichkeit, Nichtjuden in jüdische und israelische Kultur einzuführen. Es war eine ähnliche Erfahrung wie in Deutschland, jedoch noch internationaler.
Seit meinem dritten Lebensjahr bin ich begeisterte Schachspielerin. Mein Großvater brachte mir die Kunst des Spiels bei, und seitdem hat es einen festen Platz in meinem Leben eingenommen. Ich war Leistungssportlerin, habe mehrfach den Titel der Landesmeisterin errungen, spielte in der Frauen- und Jugendbundesliga und nahm an zahlreichen Schachturnieren teil. 2015 konnte ich bei den European Maccabi Games einige Medaillen mit nach Hause nehmen, 2017 war ich Teilnehmerin bei den weltweiten Maccabi Games.
Während meines Studiums, insbesondere während der Auslandsaufenthalte, blieb mir kaum Zeit für intensives Training. Dennoch fand ich wieder zurück zu meiner Leidenschaft, begann erneut zu trainieren und jetzt auch zu unterrichten – ohne den Druck des Leistungssports. Das macht mir nun besonders viel Freude. Aktuell stehe ich vor der Überlegung, welcher Schachverein zu mir passen könnte, da ich erst kürzlich nach Düsseldorf gezogen bin. Die meisten Vereine trainieren freitagabends, was für mich als Jüdin nicht infrage kommt.
Zusätzlich zu meinen anderen Aktivitäten habe ich mich in den vergangenen Monaten dem Schreiben als Autorin gewidmet und insgesamt sechs Bücher veröffentlicht. In meinen Werken behandele ich sowohl jüdische als auch nichtjüdische Themen und versuche, eine Vielfalt von Perspektiven und Erfahrungen einzubeziehen. Mein erstes Buch ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, die die verschiedenen Jahreszeiten des Lebens metaphorisch erkunden. Das zweite Buch handelt von einer fesselnden Entdeckungsreise durch die Facetten des Lebenssinns.
Das Schachspiel und die Herausforderungen des echten Lebens
In meinem dritten Buch habe ich das Schachspiel mit den Herausforderungen des echten Lebens verwoben. Die weiteren drei Bücher bilden eine Trilogie, bei der die Traditionen und Legenden des jüdischen Volkes zum Leben erweckt werden. Jedes Buch bietet den Lesern eine einzigartige und inspirierende Erfahrung, die dazu einlädt, über das Leben nachzudenken und die Schönheit der jüdischen Tradition zu entdecken.
Das vergangene halbe Jahr war für mich auch von privaten Veränderungen geprägt.
Das vergangene halbe Jahr war für mich auch von privaten Veränderungen geprägt: Ich habe geheiratet – und das gleich in mehreren Etappen. Zunächst standesamtlich in Georgien, gefolgt von der Chuppa-Feier in Potsdam und schließlich der siebentägigen Nachfeier, der Schewa Brachot, die sowohl in Berlin als auch in Düsseldorf stattfand.
Für uns war es von großer Bedeutung, eine jüdische Hochzeit zu feiern. Mir persönlich war es wichtig, in meiner Heimat zu heiraten. Als Kind habe ich in Brandenburg an der Havel, als Jugendliche in Potsdam gelebt. Daher war es für mich entscheidend, ein Zeichen für jüdisches Leben in Brandenburg zu setzen.
Unsere Hochzeit sollte ein Moment der Vereinigung zwischen zwei Menschen sein und zugleich eine Feier unserer kulturellen Identität und Tradition. Wir wollten ein Zeichen setzen für das jüdische Leben, insbesondere in Regionen wie Brandenburg, in denen es nicht immer präsent ist. Es war eine bewusste Entscheidung, die uns daran erinnerte, wer wir sind und woher wir kommen. Und gleichzeitig eine Botschaft der Hoffnung und Inspiration für andere, die sich vielleicht ebenfalls mit ihrer kulturellen Identität auseinandersetzen.
Kein Druck, etwas zu verpassen
Die gesamte Hochzeitsfeier empfand ich als perfekt. Wir haben jeden Moment genossen, besonders da die Feierlichkeiten über mehrere Tage gingen. Dieses längere Fest hat mir besonders gut gefallen, da es keinen Druck gab, etwas zu verpassen. Wir hatten die ganze Woche Zeit. Das hat dazu beigetragen, dass wir jeden Moment noch mehr auskosten konnten.
Ein wichtiger Bestandteil der Hochzeitsvorbereitungen war die Zusammenarbeit mit dem Rabbiner und seiner Frau. Shifra und Yaakov Rabinowitz kommen aus Amerika und leben seit zwei Jahren in Deutschland, wo sie für die Lauder-Community in Berlin tätig sind. Ich finde Yaakov und seine Frau äußerst interessant. Beide sind Psychotherapeuten, und Yaakov ist zusätzlich Koch. Obwohl er orthodox ist, ist er sehr weltoffen. Durch Online- und persönliche Gespräche erhielten wir sozusagen eine Ehe-Vorbereitung. Dabei ging es um spezifisch jüdische Themen, aber auch um psychologische Aspekte.
Wir haben uns mit verschiedenen Sichtweisen auseinandergesetzt und jüdische Ansätze zu Themen wie Zusammenleben, Intimität und Kindererziehung kennengelernt, zudem haben wir über die einzelnen Elemente der Chuppa-Zeremonie gelernt. Es war nie der Druck vorhanden, dass wir uns einem bestimmten Lebensstil unterwerfen müssen, sondern vielmehr ein Angebot mit Raum für persönliche Entfaltung.
Obwohl ich mich nicht als religiös bezeichnen würde, befinde ich mich noch auf der Suche. Ich betrachte mich eher als Kulturjüdin. Seit meinem 16. Lebensjahr trage ich eine Davidsternkette. Damit möchte ich der deutschen Mehrheitsgesellschaft zeigen, dass jüdische Menschen hier leben und Teil der Gesellschaft sind. Die Kette trage ich nicht für mich selbst, denn ich brauche sie nicht, um zu wissen, wer ich bin.
Sie ist ein Symbol, das meine Identität nach außen trägt.
Aufgezeichnet von Annette Kanis