»Pessach im Schatten des Krieges«, so lautete der Titel einer Online-Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung am Montag dieser Woche. Darüber, was in diesem Jahr anders sein wird und wie die Geflüchteten aus der Ukraine das Fest erleben werden, diskutierten Rabbiner Zsolt Balla und die ehemalige Präsidentin des Verbandes Jüdischer Studierender Hessen, Tamara Ikhaev.
Militärbundesrabbiner Zsolt Balla berichtet, dass der Krieg in der Ukraine für die deutschen Soldaten ein großes Thema sei. »Sie sagen nicht, dass sie Angst haben, aber sie machen sich natürlich Gedanken über die nächsten Einsätze, es gibt einfach viele Fragen.«
Dass es wieder Krieg in Europa gebe, sei absolut beunruhigend, darin sind sich die Referenten einig. Und deswegen wird das erste Pessachfest, das seit Beginn der Corona-Pandemie wieder weitgehend unter Normalbedingungen stattfinden kann, auch keines sein, wie man es vor der Pandemie gewohnt war. In den jüdischen Gemeinden werden zum ersten Mal Geflüchtete aus der Ukraine mitfeiern, und nicht nur sie werden sich Sorgen um Angehörige und Freunde machen, die vom Krieg betroffen sind.
Spaltung Aber besteht nicht trotzdem auch die Gefahr, dass es wegen des Krieges zu Spaltungen zwischen russischen und ukrainischen Gemeindemitgliedern kommt? Während der Krim-Krise, so berichtet Rabbiner Balla, habe es doch sehr unterschiedliche Meinungen zur Situation gegeben. Das 2005 vom russischen Staat gegründete und finanzierte Auslandsfernsehprogramm »Russia Today« sei für viele der ehemaligen Kontingentflüchtlinge »die erste Nachrichtenquelle, und das hat Auswirkungen, wie wir heute wissen«.
Damals sei es in einer Gemeinde sogar passiert, »dass sich der Frauenklub auflöste, weil er keine gemeinsame Stimme fand«, aber heute sei dies durchaus anders, »alle verstehen, dass es eine Aggression gibt«, sagt Balla.
Freiheit und Verantwortung seien zwei wichtige Begriffe, und das nicht nur an Pessach. Der Satz, der »in der Nacht des Sederabends gesprochen wird, wonach wir sagen, wenn Gott uns nicht aus der Sklaverei gerettet hätte, wären wir Sklaven der Ägypter«, stehe für das erste Mal, dass der Begriff der Freiheit eingeführt worden sei. »Zu dieser Freiheit gehört Verantwortung für meine Umgebung«, betont Balla. »Freiheit ist kein Erbe, man muss sie persönlich erwerben«, ergänzt Tamara Ikhaev.
Sederabend Aber was wird nun konkret in den Gemeinden getan, um die Geflüchteten nicht nur zu Pessach einzubeziehen? In Frankfurt am Main, so berichtet Tamara Ikhaev, werde es zwei parallele Sederabende geben, »einen sozusagen für die Erwachsenen und einen für die Studierenden, an dem rund ein Viertel der Teilnehmer Geflüchtete aus der Ukraine sein werden«. »Die Tatsache, dass wir zusammen feiern, wird auch helfen, den Spirit der Menschen zu verstärken, die aus der Ukraine kamen.«
Kürzlich habe es bereits einen Familien-Schabbat gegeben, zu dem Geflüchtete und Gemeindemitglieder willkommen geheißen wurden. Im Jugendzentrum haben, so erzählt sie weiter, ohnehin viele Madrichim einen sozusagen sowjetischen Hintergrund, »das heißt, viele sprechen Russisch und können übersetzen. Das ist wichtig, denn wir wollen den geflüchteten Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit bieten, ganz normal dabei zu sein und mitzumachen«.
»Der Krieg ist für uns ein Drama, eine Tragödie.«
Küf kaufmann
»Alle wissen Bescheid, wir haben es öffentlich gemacht, dass jüdische Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, in der Gemeinde zu Pessach willkommen sind«, sagt Küf Kaufmann, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, »das war aber auch schon zu Purim so.« Gleichwohl überschatte der Krieg im Moment alles. »Wir hoffen alle, dass er schnell vorbei ist«, betont Kaufmann. Schließlich seien so gut wie alle Mitglieder der Gemeinde betroffen, »quer durch die Familien, den Freundeskreis, die Bekanntschaften, und deswegen ist man einer Meinung: Krieg ist keine Lösung.«
betroffenheit Diese Betroffenheit komme nicht von ungefähr, erzählt Kaufmann: »Nehmen Sie zum Beispiel mich, ich bin im heutigen Russland geboren, habe bis zu meinem 17. Lebensjahr in der heutigen Ukraine gelebt, und danach war ich in der ganzen Sowjetunion, von Ost bis West und von Nord bis Süd mit dem Theater unterwegs.« Und nun sei Krieg, »und das ist für uns ein Drama, eine Tragödie«.
So sei es eben aber auch ganz normal, dass die Hilfsbereitschaft unter den Gemeindemitgliedern »riesengroß« sei, »alle wollen etwas tun – und das auch für die nichtjüdischen Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, das ist uns wichtig«.
Die Hilfsbereitschaft unter den Gemeindemitgliedern sei »riesengroß«, sagt Küf Kaufmann.
In der jüdischen Gemeinde Düsseldorf wird es einen Sederabend geben, zu dem speziell die Geflüchteten aus der Ukraine eingeladen sind. Und der leider schon ausgebucht sei, wie die Gemeinde der Jüdischen Allgemeinen mitteilte. Die Sozialabteilung bietet bereits Sprachkurse an, die auf mehrere Klassen verteilt werden, weil die Raumkapazitäten begrenzt sind und die Zahl der zu Unterrichtenden natürlich auch nicht zu groß werden dürfe, um den Lernerfolg sicherzustellen.
In der Jüdischen Kultusgemeinde Trier wird der Sederabend sprachlich angepasst, sodass sich die Menschen, die vor dem Krieg aus der Ukraine geflohen sind, willkommen fühlen, sagt Jugendreferent Oskar Baraev. »Das ist unsere Aufgabe und Verantwortung: Die Menschen einzubinden, ihnen zu zeigen, dass wir eine lebendige und offene Gemeinde sind, die für sie da ist.« Wie viele Juden und Jüdinnen aus dem Kriegsgebiet genau nach Trier gekommen sind, lasse sich nicht sagen, »es kommen jeden Tag neue dazu«.
abläufe Um sie aufzunehmen und zu integrieren, werde »jede Menge gemacht«, berichtet Oskar Baraev. »Wir versuchen, sie in die Programme und Abläufe zu integrieren, wir machen Ausflüge, einmal in der Woche treffen wir uns mit den neu Hinzugekommenen, und die Sozialarbeiter beantworten dann nur deren Fragen.«
Auch das Jugendreferat versuche, die Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine einzubinden, Angebote und Informationen erfolgen daher nun zweisprachig, »denn es ist sehr wichtig, dass wir ihnen das Gefühl der Fremdheit nehmen«. Man merke deutlich, dass die aus ihrem Alltagsleben herausgerissenen, plötzlich mit einem Krieg konfrontierten und dann in ein fremdes Land geflüchteten Menschen traumatisiert seien, betont er. Einige der Familien wollten auch gar nicht mehr zurück, es sei einfach zu viel passiert.
Die Hilfsbereitschaft der alteingesessenen Gemeindemitglieder sei im Übrigen enorm, »und das praktisch vom ersten Tag an«.