Ein Frühlingstag im Hafen von Marseille, es ist der 4. April 1947. Die letzten jüdischen Passagiere haben soeben die »Providence« bestiegen und ihr Gepäck verstaut. Kurz danach wird der Anker gelichtet, das Schiff nimmt Kurs auf Haifa. Es ist ein besonderer Tag. Am Abend beginnt mit dem Seder das Pessachfest 5707. Für rund 400 Schoa-Überlebende wird der traditionelle Wunsch »Nächstes Jahr in Jerusalem« bald in Erfüllung gehen.
Die Passagiere sind ehemalige Bewohner des Camps für Displaced Persons (DPs) Belsen. In diesem jüdischen Auffanglager, in unmittelbarer Nachbarschaft des vormaligen KZs Bergen-Belsen, drängten sich in der Nachkriegszeit zeitweise mehr als 10.000 Holocaust-Überlebende. Vehement forderten sie immer wieder die freie Einreise nach Eretz Israel. Doch die britische Mandatsmacht in Palästina verweigerte die jüdische Zuwanderung. Deswegen machten sich zahlreiche Juden auch ohne Erlaubnis auf den Weg übers Mittelmeer. Aber nur wenige schafften es, die meisten ihrer Schiffe wurden abgefangen und die Passagiere auf Zypern interniert.
Einwanderungszertifikate Um den politischen Druck etwas zu mildern, gestatteten die Briten ab Ende 1946 einigen unbegleiteten Kindern die Übersiedlung nach Eretz Israel, später wurde das Programm, das unter dem Namen »Operation Grand National« in die Geschichtsbücher einging, auf Erwachsene ausgeweitet. Von den rund 1500 Einwanderungszertifikaten, die monatlich weltweit ausgestellt wurden, waren nun 375 für jüdische DPs aus der britischen Besatzungszone reserviert.
Im März 1947 erreichte eine erste Gruppe von Palästinasiedlern das Camp Bocholt, ein Lager für baltische DPs, in dem die Militärregierung einige Baracken für Juden reserviert hatte. Die meisten von ihnen waren Mitglieder verschiedener Kibbuzim, Jugendliche und junge Erwachsene. Sie konnten es kaum erwarten, endlich ins Land ihrer Träume auszuwandern. Im »Palestine Transit Camp«, so der offizielle Name der an der deutsch-niederländischen Grenze gelegenen Einrichtung, wurden sie registriert, erhielten Personaldokumente, Einreisepapiere und die Transitvisa für die Weiterfahrt nach Marseille.
Hilfe Die Versorgung mit Lebensmitteln übernahmen jüdische und internationale Hilfsorganisationen. Moralische Unterstützung und praktische Hilfe leisteten aber auch Vertreter des deutschen Judentums, darunter etwa Karl Marx, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf und Herausgeber der heutigen »Jüdischen Allgemeinen«.
In der französischen Hafenstadt wartete die »Providence« auf die ersten Passagiere, die nun im Rahmen der »Operation Grand National« legal nach Eretz Israel einwandern durften. Voller Ungeduld bestiegen die Menschen das Schiff – endlich hatten sie die letzte Etappe ihrer Reise erreicht. Als die Nacht hereinbrach und der Dampfer den Anker lichtete, feierten die Schoa-Überlebenden den traditionellen Sederabend. Unter der Flagge mit dem Davidstern tanzten die Passagiere Hora und sangen die Hatikwa.
Haggada Das Schiffsdeck war mit den Fahnen der verschiedenen zionistischen Organisationen geschmückt – von Betar bis Hashomer Hatzair. Dann versammelten sich alle zum Sedermahl, lasen die Haggada, aßen die vorgeschriebenen Speisen und erinnerten sich damit an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten.
Diese Zeremonie wurde unterschiedlich durchgeführt, einmal in der strikten religiös-traditionellen Form und ein weiteres Mal in der von den Kibbuzniks favorisierten modernen Ausgestaltung. Zum Ende der Feier wünschten sich jedoch alle ein vielstimmiges »Leschana haba’a bijeruschalajim«. Die Erfüllung des Wunsches war zum Greifen nahe, nur noch eine Schiffsreise entfernt. Für sie war ein Wunder geschehen.