Charmant familiär hat am Sonntag in Leipzig die 14. Woche der jüdischen Kultur begonnen. Oberbürgermeister Burkhard Jung begrüßte nicht nur den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde Leipzig, Küf Kaufmann, und den »frisch gebackenen Militärbundesrabbiner« mit »lieber Küf, lieber Zsolt«, sondern forderte auch alle handverlesenen Ehrengäste, unter ihnen der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Abraham Lehrer auf: »Ziehen Sie sich die Jacken aus.«
Das Publikum saß vor der Sonne geschützt zwar unter großen Zeltdächern, die Ehrengäste aber unter freiem Himmel auf dem Augustusplatz, mitten im Herzen Leipzigs.
HERZ »Mitten in der Gesellschaft«, im Herzen Leipzigs befindet sich auch die jüdische Gemeinschaft, betonte der Oberbürgermeister. Eingebettet in das Jahresmotto zu »1700 Jahren jüdisches Leben in Deutschland« wolle man jüdisches Leben auch inmitten der Gesellschaft begehen, sagte Jung, selbst inoffiziell in kurzärmeligen Hemd und sandfarbener Hose gekleidet.
»Wir tun gut daran, Weltoffenheit und Toleranz zu zeigen. Jüdisches Leben gehört in die Mitte der Stadt.«
Oberbürgermeister Burkhard Jung
So alt wie jüdisches Leben in Deutschland sei das jüdische Leben in Sachsen nicht, aber doch immerhin rund 700 Jahre, betonte Jung und sprach über die Entwicklung jüdischen Lebens in der Messestadt.
»Wir tun gut daran, Weltoffenheit und Toleranz zu zeigen. Jüdisches Leben gehört in die Mitte der Stadt«, sagte Jung. »700 Jahre lang haben sich Juden um Kunst und Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft verdient gemacht. Die Stadt hat Juden viel zu verdanken.«
PROGRAMM Das Ariowitsch Haus sei auch in diesem Jahr wieder Herzstück der rund 120 Veranstaltungen, die von mehr als 60 Akteuren auf die Beine gestellt wurden. »2021 ist anders, Covid lässt grüßen«, und doch freue man sich über viele Live-Begegnungen aber auch digitale Angebote.
»Begegnungen in Fleisch und Blut«, war auch das Stichwort für Zentralratsvize Abraham Lehrer, den vor allem das große sperrige Instrument Theorbe, faszinierte, das ein Mitglied der Band Simkhat Hanefesh zum Auftakt spielte.
Lehrer begrüßte neben dem OB, dem Militärbundesrabbiner, Vertretern von Kirchen, Bund, Land und Kommune auch die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley, die zufällig vorbeigekommen sei und es sich nicht nehmen ließ, an der Eröffnung unter freiem Himmel teilzunehmen.
»Es soll ein Fest für die Sinne, das Herz und den Verstand werden.«
Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
»Man ist geradezu ausgehungert nach Musik, Kunst, Kultur und menschlicher Begegnung«, sagte Lehrer, der sich sichtlich freute, ein so »großartiges Programm« der 14. Woche der jüdischen Kultur mit zu eröffnen. »Gemeinsam diskutieren, lachen, weinen und musizieren«, das mache Begegnung aus und sei eine gute Antwort auf Judenhass.
»Es soll ein Fest für die Sinne, das Herz und den Verstand« werden, betonte Lehrer, der die judenfeindlichen Vorkommnisse der vergangenen Wochen nicht unterschlug, aber im Sinne des Vereins »321–2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland«, zu dessen Gründern er gehört, wolle er auch das Positive betonen. »Mein Judentum kann nicht nur auf dem erhobenen Zeigefinger beruhen«, sagte Lehrer und rühmte die wichtigen jüdischen Protagonisten der Messestadt Leipzig, an deren Ruhm sie mitgewirkt haben.
WEHRHAFT »Blicken wir doch heute auf das Positive, dann werden wir nicht denen das Feld überlassen, die es durch Hass und Zwietracht zerstören wollen«, betonte Lehrer. »Wir verfügen über eine wehrhafte Demokratie. Die Gesellschaft ist dann widerstandsfähig, wenn jeder und jede bereit ist, für das Ganze einzustehen. Wenn sie bereit ist aufzustehen, laut zu sein und zu widersprechen, wenn menschenfeindliche Hetzer versuchen zu spalten und Hass und Hetze in das Internet und von dort auf die Straße zu tragen.« In der Vorbereitung auf diese 14. Woche der jüdischen Kultur hätten die Akteure das lobenswert unter Beweis gestellt, so Lehrer.
In der letzten Zeit werde er immer wieder gefragt, ob die jüdische Gemeinschaft in Leipzig Angst vor Antisemitismus habe. »Ja«, antwortet Kaufmann auf die Frage.
Gemeindevorsitzender Küf Kaufmann, selbst Künstler, Schauspieler, Kabarettist und Schriftsteller, ging auf den zu Beginn der Eröffnung gehörten »Gefangenenchor« aus Nabucco ein. Er sehe darin nicht nur den Ausdruck von Leid und Gefangenschaft, sondern den »Willen zur Freiheit, den Willen zu Geist, den Willen zum Glaube, den Willen zum Leben«.
FURCHT In der letzten Zeit werde er immer wieder gefragt, ob die jüdische Gemeinschaft in Leipzig Angst vor Antisemitismus habe. »Ja«, antwortet Kaufmann auf diese Frage, »ich fürchte für unsere Gesellschaft.« Gerade hier, wo die Eröffnung der Woche der jüdischen Kultur gefeiert wurde, sei vor Kurzem die israelische Fahne verbrannt worden. Dies bedrohe nicht nur »Juden, sondern alle, die in einer Welt der Toleranz und Offenheit leben wollen«.
Die jüdische Woche sei nicht nur ein Blick zurück, sondern auch in die Zukunft. »Lasst uns fröhliche Musik hören. Es ist Zeit dafür«, forderte er alle auf. Zum Abschluss der Eröffnung begeisterte das Jiddisch Swing Orchestra Ginzburg Dynastie und animierte die Gäste zum Mitklatschen.
Jüdische Woche in Leipzig: 27. Juni bis 4. Juli
Das Programm der Jüdischen Woche findet sich hier.