Bereits im Juli war die 8. PT-Convention in den sozialen Medien groß angekündigt worden: »In der historischen Stadt Nürnberg, 70 Jahre nach den Nürnberger Prozessen!« Ein Run auf die Gästeliste brach aus. Die Erwartungen waren nach den Treffen in Israel, Budapest, Maastricht und Warschau entsprechend hoch.
Es kamen rund 300 Teilnehmer aus ganz Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland sowie Israel. Sie erlebten eine feierliche Eröffnung im Neubau der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg mit Grußworten von Michael Yedovitzky von der Jewish Agency, der ungarischen Philosophin Ágnes Heller und Oberstaatsanwalt Jens Rommel.
NS-Verbrechen Das Thema des 70. Jahrestages der Nürnberger Prozesse ist ein schwieriges, so Jens Rommel, Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. Da viele Unterlagen gefehlt hätten, sei die Schuld oft juristisch kaum zu beweisen gewesen. Für die Teilnehmer, so Rommel, sei es demnach eine besondere Herausforderung, Ergebnisse dazu auszuarbeiten und eine Lösung zu finden. Sie versuchten es in den vorher gewählten Tracks: Grassroots, Zeitgeschichte, Medien, Medizinethik und Recht. Bis spätabends diskutierten sie über die Erinnerung in der heutigen Zeit.
Der zweite Tag begann mit einer Exkursion zum Originalschauplatz der Nürnberger Prozesse, dem Schwurgerichtssaal 600, ideal geeignet für die Podiumsdiskussion zum Thema »Wie lässt sich die Vergangenheit aufarbeiten? Erinnern als Herausforderung in der heutigen Zivilgesellschaft«. Besetzt war sie mit Fachleuten wie der Ägyptologin und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, Gerd Hankel vom Hamburger Institut für Sozialforschung, der Schoa-Überlebenden Ágnes Heller und Yehoshua Chmiel, Vizepräsident der IKG-München. Moderiert wurde die Diskussion von dem Historiker Oren Osterer.
Keiner der Referenten tat sich mit der Beantwortung leicht. Gedenken sei oftmals zum reinen Ritual geworden. Ágnes Heller bedauerte: »Treblinka ist ein Ort für die, die sich sowieso erinnern. Das macht langfristig keinen Sinn.« Gerd Hankel führte als positives Beispiel für mögliche Versöhnung den Strafgerichtshof in Ruanda auf: »Durch die ständige Präsenz der Prozesse wurde das Leid des anderen anerkannt und somit ein friedliches Zusammenleben möglich.«
Stolpersteine Chmiel entgegnete, dass eine ständige Präsenz der Erinnerung eher schade und damit einen fremdbestimmten, nicht vom Zivilbürger ausgehenden Erinnerungskult auslöse. Ein falsches Zeichen seien seiner Meinung nach auch die sogenannten Stolpersteine, da man hierbei auf das Gedächtnis der Opfer trete und ihrer nicht auf Augenhöhe gedenke. »Jetzt wird es spannend. Endlich jemand mit klarer und nonkonformer Position«, flüsterte eine Teilnehmerin. Die Referenten blieben jedoch bei ihren wissenschaftlichen Ausführungen, sodass viele Zuhörer auch nach eineinhalb Stunden Diskussion kaum ein Stück weiter waren.
Neben der harten Kost der Workshops brach sich das Temperament der 18- bis 35-jährigen Zielgruppe in den Pausen Bahn. Gemeinsame Mahlzeiten waren eine ideale Möglichkeit, um die neu gewonnenen Bekanntschaften ungezwungen nach Beruf und Zukunftsplänen zu fragen. Oder es wurde einfach gesungen: »Birkat Hamason«, nach jeder Mahlzeit, laut beklatscht. Höhepunkt der ausgelassenen Stimmung war die gemeinsame »Mesiba« in der dafür eigens angemieteten Diskothek »Indabahn«.
Zeitzeugen Dass nach dieser durchzechten Nacht die meisten Teilnehmer mittags trotzdem das Abschlussplenum zum Thema »Aus der Geschichte lernen. In die Zukunft blicken« besuchten, bewies Durchhaltevermögen und Verantwortungsbewusstsein der jungen Erwachsenen.
Neben einigen Reden, unter anderem von Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly, Israels Generalkonsul Dan Shaham, dem CDU-Bundestagsabgeordneten Stephan Mayer und dem Knessetmitglied Amir Ohana, fragte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: »Wie können wir die Erinnerung an die Opfer der Schoa wachhalten für die Zukunft – in einer Zeit, in der es immer weniger Zeitzeugen gibt?« Eine Antwort darauf sei, sich selbst intensiv mit der Vergangenheit zu beschäftigen.
»Die Erinnerung an die Vergangenheit bleibt eine wichtige Quelle unserer kollektiven Identität.« Schuster rief die junge Generation dazu auf, KZ-Gedenkstätten zu besuchen, Überlebende zu befragen und die Relativierung der Schoa zu verhindern. »Denn nur, wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft«, betonte Schuster.
»Erinnerungskultur« ist ein komplexes Thema. Doch jüdische Identität ist vielleicht das, was, oft übersehen, auf solchen Veranstaltungen deutlich wird: die Suche nach Gleichgesinnten und nach Fortbestehen des jüdischen Glaubens.